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Ausgabe:

April/2021

Spalte:

271-272

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bremmer, Jan N.

Titel/Untertitel:

The World of Greek Religion and Mythology. Collected Essays II.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XXII, 564 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 433. Lw. EUR 179,00. ISBN 9783161544514.

Rezensent:

Christoph Auffarth

Während im ersten Band (vgl. ThLZ 144 [2019], 714–716) das frühe Christentum im Rahmen der antiken Religionsgeschichte im Vordergrund stand, bietet der zweite Band der collected essays Aufsätze von Jan N. Bremmer zur griechischen Religion und Mythologie.
B. hat sie in vier Teile gegliedert: (Teil I) gilt den Göttern und Heroen. Nachdem das Thema nach der paganen Theologie von Walter F. Otto (dazu die Aufsätze »Dionysos in 1933« [29–48] und »The Greek Gods in the Twentieth Century« [3–20]) in Verruf geraten war und anstelle von Göttern wieder Rituale und Feste mit Konglomeraten von Mythen untersucht werden, kann B. an Sonderfällen wie den seltsamen Götternamen auf den orphischen Grab-Pässen (61–84), dem Erdbeben- und Pferdegott Poseidon (21–28) oder dem schwitzenden Hephaistos (47–60) zeigen, dass Götter durchaus eigene, über die jeweilige Stadt oder Gemeinschaft hinausgehende panhellenische Charaktere besitzen. Dieser Frage hatte B. eine Tagung gewidmet, die 2010 in Edinburgh unter dem Titel »The Gods of Ancient Greece« erschien. Wichtig für den späteren christlichen Heiligenkult ist »The Emergence of the Hero Cult« (85–100). Der Teil endet mit den Zeugnissen, wie Götter-Statuen selbsttätig handeln (101–122). Teil II widmet sich Aspekten der griechischen Religion (das knappe Handbuch von B., Greek Religion 1996, 22006, erscheint gerade in dritter Auflage). Zunächst das heiß diskutierte Problem der Polis-Religion (125–146), ausbuchstabiert an der Rolle des Sehers (147–166) und des Geheimnisses (215–230), der Magie (165–174), der Mänaden (251–278), dem Status alter Frauen (231–250) sowie der Eschatologie. Der Teil schließt mit den Beziehungen zum Alten Orient (279–300), ein Thema, zu dem ein weiterer Band von Aufsätzen B.s schon 2008 erschien (Greek Religion and Culture, the Bible and the Ancient Near East). Teil III versammelt Aufsätze zum Opfer, nicht zuletzt zum Menschenopfer, und dabei ragt heraus das Opfer der Iphigenie (373–390.391–402.403–415). Eingeleitet ist der Teil mit dem ausgezeichneten Überblick zum Tieropfer unter dem Gesichtspunkt einer Kommunikation mit den Göttern (303–336). Teil IV wendet sich dem Mythos zu, eingeleitet mit der Frage »Was ist ein griechischer Mythos?« (419–426) und abgeschlossen mit einer kurzen Forschungsgeschichte (511–531). Während Mythen lange als zeitlose Archetypen verstanden wurden (etwa Karl Kerényi) oder als traditionelle Erzählungen, die teilweise Bezug auf ein Kollektiv haben, versteht B. sie einerseits als Forterzählung einer Tradition, andererseits sind sie nicht an diese Erzähltradition gebunden und können im Bezug auf Rituale, auf gesellschaftliche Veränderungen und auf Ereignisse neu erzählt werden. Daher beschäftigt sich B. mit den diskutierten Fragen nach dem Verhältnis von Mythos und Ritual (427–446), dem Verhältnis zur Geschichte am Beispiel der Gründung von Kyrene (447–462), mit dem Mythos als Propaganda, mit »Mythos und der griechische Roman« (491–496), mit »Mythos und Personifikation« am Beispiel der Jahreszeiten (497–510). Als Anhang zeichnet B. die Missachtung der britischen (Jane Harrison; Cambridge Ritualists) und französischen (Durkheim-Schule) in der deutschen Religionswissenschaft nach Useners Tod nach, bis Walter Burkert sie wieder ›entdeckte‹, während (der viel gescholtene Phänomenologe) Gerardus van der Leeuw in Groningen Glanz und Grenzen zu würdigen vermochte.
B. hat die Aufsätze vorsichtig überarbeitet und dabei vor allem bibliographische Ergänzungen vorgenommen und Querverweise eingefügt, um sich nicht zu wiederholen. Es gibt nur ganz wenige Altertumswissenschaftler, die so umfassend über die neueste Literatur in allen Sprachen verfügen und genauso souverän aus älteren Büchern und Aufsätzen das noch Bedeutende auszuwählen wissen. Das gilt nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Quellenkenntnis von der Epigraphik über Papyri bis zu Vasenabbildungen und archäologischen Ausgrabungen, nicht zuletzt ist B. ein Meister der Onomastik und Etymologie, weit über das Griechische hinaus. Und dann gilt es hervorzuheben, dass B. ebenso umfassend die Fragen seines jeweiligen Aufsatzes entwickelt und in die griechische Religionsgeschichte wie in die Wissenschaftsgeschichte einordnet. Seine Lösungen beschreibt er ebenso knapp wie präzise und verweist auf bestätigende oder alternative Forschungsmeinungen, aber immer direkt mit den Quellen belegt. Wenn er eine Hypothese äußert, die sich nicht sicher belegen lässt, dann macht er das deutlich.
Das Buch ist vom Verlag wieder mit großer Sorgfalt betreut, gedruckt, gebunden. Ein Index erschließt auf 24 Seiten Namen, Sachen und Stellen, gut differenziert etwa die 80 Einträge unter sacrifice. Auch wenige Wissenschaftler sind genannt, die großen auch der Gegenwart wie Walter Burkert, Fritz Graf, Henk Versnel, Martin West, mit denen B. auf einer Stufe steht. Dem Andenken an (die kürzlich verstorbenen) Walter Burkert, Albert Henrichs und Christiane Sourvinou-Inwood ist der Band auch gewidmet. Der Band erschien unmittelbar von Bremmers 75. Geburtstag. Ein dritter Band ist zu erwarten.