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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

240-242

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ökumenischer Patriarch Bartholomaios I.

Titel/Untertitel:

Begegnung mit dem Mysterium. Das orthodoxe Christentum von heute verstehen. Aus d. Engl. übers. v. R. Sbeghen.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schö­ningh 2019. XLVIII, 199 S. Geb. EUR 39,90. ISBN 9783506702777.

Rezensent:

Hacik Rafi Gazer

Der Band enthält insgesamt acht theologische Beiträge des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomaios I., in denen er in die Grundlagen der orthodoxen Theologie einführt. Der Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD), Metropolit Augoustinos von Deutschland, hält in seinem Vorwort zu der deutschen Ausgabe fest, dass Begegnung ein Leitmotiv im Leben des heute 80-jährigen Ökumenischen Patriarchen ist. Zum Geleit macht der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Dr. Heinrich Bedford-Strom, auf einen weiteren Zentralbegriff im Leben des Patriarchen, nämlich die »Erfahrung«, aufmerksam. Der Ökumenische Patriarch be­schreibe diesen Begriff »Erfahrung« als das Bewusstsein, das eigene Leben als Geschenk Gottes zu empfangen und den Schöpfer für diese Gabe zu preisen. Aus der so verstandenen »Erfahrung« des Dankes gegenüber dem Schöpfer speise sich das gesamte ökumenische, interreligiöse und soziale En­gagement des Ökumenischen Patriarchen.
Mit seinem Vorwort führt Metropolit Kalistos Ware von Diokleia aus Oxford in das theologische Denken des Patriarchen Bartholomaios I. ein (XV–XXVIII). Auch hier werden zentrale Begriffe im Leben und theologischen Denken des Patriarchen wie »Erfahrung«, »Mysterium«, »Freiheit«, »Beziehung«, »Ganzheitlichkeit«, »tiefe Fundamente« und »Hoffnung« anschaulich beschrieben. Ware nennt den Patriarchen einen eindeutigen Propheten der Hoffnung und nicht des Untergangs.
Erzdiakon John Chryssavgis skizziert (XXXI–XLVIII) die Lebensstationen des Patriarchen Bartholomaios I.: Er wurde am 29. Februar 1940 als Demetrios Archondonis auf der Insel Imroz (Gökceada) in der Türkei geboren. Nach dem Abschluss seines Theologiestu-diums an der Theologischen Hochschule von Halki (Heybeliada) in Istanbul 1961 wurde er zum Diakon ordiniert und erhielt den Namen Bartholomaios. 1969 folgte seine Priesterweihe. Er studierte in den Jahren 1964 bis 1968 in Rom am Orientalischen Institut und von 1967 bis 1968 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München mit dem Schwerpunkt Kirchenrecht. 1970 erschien seine in Deutschland und in Rom angefertigte Dissertation »Die Kodifizierung der Heiligen Canones und die kanonische Verfassung der Orthodoxen Kirche«. Diese Arbeit erschien 1970 in Thessaloniki. Von 1968 bis 1972 amtierte er als Prodekan in Halki in Istanbul. 1973 wurde er zum (Titular-)Bischof Metropolit von Philadelphia ernannt. 1990 wechselte er zur Metropolie von Chalkedon. Am 22. Oktober 1991 wurde er von dem Heiligen Synod zum Erzbischof von Konstantinopel und Ökumenischen Patriarchen gewählt. Seine Inthronisation erfolgte 2. November 1991. In seiner beinahe 30-jährigen Amtszeit erhielt er zahlreiche Ehrendoktortitel, u. a. am 16. Mai 2014 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU.
Im ersten Beitrag befasst sich Bartholomaios I. mit der Ge­schichte des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel: »Die Orthodoxe Kirche und das Ökumenische Patriarchat« (1–15). Hier liefert Patriarch Bartholomaios I. anhand einiger grundlegender kirchenhistorischer und konfessionskundlicher Eckdaten Informationen, die für das Kennenlernen der Orthodoxen Kirchen sehr hilfreich sind. Die Geschichte und Theologie sowie die Ekklesiologie der Orthodoxen Kirche werden sehr lebendig und anschaulich dargeboten. In den folgenden vier Beiträgen befasst er sich mit dem Themenkreis Theologie und Frömmigkeitspraxis der Orthodoxen Kirche, also Liturgie, Theologie, Mönchtum und Spiritualität. In dem Beitrag »Gesang und Raum, Kunst, Architektur und Liturgie« (17–30) wird die Theologie der Ikonen ausgelegt. Die Liturgie »of­fenbart die wesentliche, keineswegs sekundäre, Bedeutung der Ikonen, denn im Gottesdienst werden Ikonen aufgrund ihres spirituellen und nicht auf Grund eines künstlerischen Wertes verehrt« (24). Und in der Liturgie »›hört‹ die Gemeinschaft der Gläubigen ›mit ihren Ohren‹ und sieht ›mit ihren Augen‹ und betastet ›mit ihren Händen‹ das Wort des Lebens« (25). Patriarch Bartholomaios fährt fort: »Ich habe diese allumfassende Bedeutung der Göttlichen Liturgie mit überwältigender Eindringlichkeit erlebt, als ich die Gelegenheit hatte, die Eucharistie in der wunderschönen Kirche Sant’Apollinare in Classe (Ravenna) zu feiern. Die 1600 Jahre alten Mosaike der Kirche bieten ein einzigartiges Symbol der kosmischen Feier, die während der Liturgie geschieht und die ganze Schöpfung in einer gottesdienstlichen Atmosphäre abbildet.« (29)
Die Frage ›wer ist ein Theologe?‹ wird in dem Beitrag »Die Gabe der Theologie, Grundlegende Prinzipien und Perspektiven« (31–45) beantwortet. Innerhalb der Orthodoxen Kirche wird der Titel »Theologe« sparsam verwendet, nur drei Personen werden mit diesem Titel versehen: der Evangelist Johannes, Gregor der Theologe und Symeon der Neue Theologe. Diese sparsame Verwendung »offenbart die heilige Ehrfucht der Kirche gegenüber Angelegenheiten, die sich auf Gott beziehen« (35).
Das Thema Mönchtum spielt auch innerhalb der Orthodoxen Kirche eine sehr prägende Rolle: »Berufung der Liebe, Mönchtum als Wahl und Berufung« (47–60). Patriarch Bartholomaios I. be­schreibt den Weg der Askese folgendermaßen: »Wir müssen uns eine Art freiwilliger Selbstbeschränkung auferlegen, um die Be­quemlichkeit in unserem Lebensstil zu überwinden und die wichtige Unterscheidung zu treffen zwischen dem, was wir wünschen, und dem, was wir wirklich brauchen.« (54) Der Geist der Askese ist weniger ein Urteil über materielle Güter »als eine Art Befreiung von Stress und Angst, die sich aus dem Wunsch ergeben, ›mehr haben‹ zu wollen. Es ist der Schlüssel zur Freiheit von dem Systemkollaps des Konsumverhaltens (vgl. 1. Tim 6,9–10)« (54). Das Thema Gebet steht in dem Beitrag »Spiritualität und Sakramente, Gebet und spirituelles Leben« (61–72). Es beinhaltet ein Mehrfaches: »Das Gebet offenbart letztlich, wer wir im Verhältnis zu Gott und zu anderen Menschen sind.« (61) Zusammen mit dem Gebet ist das Fasten eine entscheidende Form der Askese: »Fasten bedeutet, den Weg der Demut zu gehen, die Kraft des Gebets anzunehmen und einen Sinn des Staunens wiederzugewinnen. Das heißt, Gott in allen Menschen und in allen Dingen zu erkennen; und alle Menschen und Dinge im Lichte Gottes zu bewerten.« (68) In diesem Beitrag wird die Welt der Sakramente, die in der Orthodoxen Kirche »Mysterien« genannt werden, beschrieben. »In dieser Hinsicht ist jeder Aspekt dieser Welt und des Lebens mystisch, und jeder Aspekt des göttlichen Lebens sakramental. Das Mysterium ist der heilige Ort, der Augenblick, wenn die Menschheit und die Schöpfung dem transzendenten Gott begegnen.« (69)
Neben dem Thema Spiritualität bildet die Wertschätzung der Umwelt ein zentrales Thema im Leben Bartholomaios I., weswegen er auch der »Grüner Patriarch« genannt wird. In dem Beitrag »Das Wunder der Schöpfung, Religion und Ökologie« (73–96) befasst er sich mit dem Umweltthema unter dem schöpfungstheologischen Aspekt. »Meine Wertschätzung für die natürliche Umwelt steht in direktem Zusammenhang mit der sakramentalen Dimension des Lebens und der Welt. Ich habe die natürliche Umwelt immer aus der Perspektive der orthodoxen Spiritualität betrachtet. Ich habe sie als einen Ort der Begegnung und Gemeinschaft mit dem Schöpfer respektiert.« (73)
In den letzten beiden Beiträgen, »Glaube und Freiheit, Gewissen und Menschenrechte« (97–116) und »Die Welt verändern 1. Soziale Gerechtigkeit: Armut und Globalisierung, 2. Religion und Gesellschaft: Fundamentalismus und Rassismus, 3. Krieg und Frieden: Konflikt und Dialog« (117–186), befasst er sich mit gesellschaftspolitischen Themen.
Im ersten Beitrag schreibt Bartholomaios I.: »Jeder Mensch ist im Bild und Ebenbild Gottes erschaffen; jeder Mensch ist Kind Gottes, ausgestattet mit der Freiheit zu leben und dazu vorherbestimmt, dies in Freiheit zu tun. Das bedeutet, dass es keine unterschiedlichen Normen auf Menschen in Europa oder in den Ver-einigten Staaten einerseits und Menschen in Afrika oder Asien an­derseits angewendet werden dürfen. Kultur mag relativ sein, Mitmenschlichkeit ist es nicht.« (109) Der Mensch wird aber bis zu der eschatologischen Vollendung in einer Welt geistlicher Spannung und unversöhnlicher Entscheidungen leben. »Das tiefe Ge­heimnis der Freiheit ist, dass sie sowohl die Quelle höchster Würde, als auch die Ursache extremen Leidens ist. Im orthodoxen Verständnis ist sie das endgültige Mysterium, in das sich Gott nicht einmischt und dem Gott auch nicht widerspricht.« (100)
Bei der Armutsbekämpfung fordert Bartholomaios I. jeden Menschen auf zu handeln. »Der Punkt ist doch, dass wir nicht länger nur Zuschauer bleiben können. Jeder von uns ist betroffen; jeder von uns muss angemessene Schritte unternehmen.« (133) Wenn auch diese Schritte auch nur ein Tropfen in einem Ozean sind, »tragen sie doch entscheidend zur Entwicklung einer mo­ralischen Gesinnung und eines sozialen Gewissen bei.« (133) Der Patriarch selbst versteht sich als Brückenbauer und Friedenstifter zwischen den Weltreligionen und Kulturen sowie Völkern und Nationen der Welt.
Mit dem »Epilog. Die Hoffnung in uns« (187–191) werden die Beiträge abgeschlossen. Dabei hat die Hoffnung das letzte Wort: »Selbst wenn alles um uns herum der Hoffnung, die in uns ist, zu widersprechen scheint, wird die Sonne durch die Gnade Gottes im­mer wieder aufgehen, und die tiefe der nächtlichen Finsternis wird dem Sonnenlicht des Tages weichen. Dieses Gefühl des Realismus ermöglicht uns, die Gegenwart in ihrer ganzen Fülle zu leben, getröstet durch unsere Vision der Ewigkeit.« (191)
Es liegt ein sehr fundiertes, verständliches, aber auch inspirierendes Buch über das orthodoxe Christentum vor, das nicht nur für ein Fachpublikum geeignet ist.