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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

231-233

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Destivelle, Hyacinthe

Titel/Untertitel:

Conduis-la vers l’unité parfaite. Œcuménisme et synodalité. Préface du Cardinal Kurt Koch.

Verlag:

Paris: Les éditions du Cerf 2018. 416 S. = Théologies. Kart. EUR 37,40. ISBN 9782204127844.

Rezensent:

Michael Quisinsky

Es ist durchaus paradox, dass viele Schwierigkeiten der Ökumene mit ihren großen Errungenschaften zusammenhängen: je ertragreicher die Entwicklungen, Begegnungen und Erkenntnisse, desto komplexer die Frage, wie es weitergeht. Für den sprichwörtlichen langen Atem benötigt es deshalb erstens eine Kenntnis der historischen Zusammenhänge, zweitens ein Verständnis der theologischen Implikationen der immer zahlreicher werdenden Einzelfragen und drittens ein Gespür für den Zusammenhang zwischen diesen. Last not least bedarf all dies einer spirituellen Einbettung, die keine Flucht vor der Realität ist, sondern im Gegenteil dazu ermutigt, sich mit Gottvertrauen auf diese einzulassen.
Vor diesem Hintergrund legt Hyacinthe Destivelle eine bemerkenswerte Veröffentlichung vor. Der französische Dominikaner ist nach Stationen als Direktor des ordenseigenen Studienzentrums Istina in Paris und Pfarrer in St. Petersburg nunmehr im Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen tätig. Zudem lehrt er mittlerweile auch am Angelicum in Rom Ökumene. Seine Dissertation über das Konzil von Moskau (Le concile de Moscou [1917–1918]. La création des institutions conciliaires dans l’Église orthodoxe russe, Paris 2006) und seine monumentale Studie über die theologische Erneuerung im Russland des beginnenden 20. Jh.s (Les sciences théologiques en Russie. Réforme et renouveau des acedémies ecclésiastiques au début du XX e siècle, Paris 2010) weisen ihn als umsichtigen Forscher und profunden Kenner der orthodoxen Welt aus.
In der vorliegenden Veröffentlichung sind 16 Beiträge versammelt, die zum Teil von der konkreten Verortung in praktischen und institutionellen Zusammenhängen zeugen. Dass sie insbesondere auch die orthodoxe Kirche und Theologie in den Blick nehmen, hängt zum einen mit der Spezialisierung D.s zusammen, ist zum anderen aber auch grundsätzlich für die französischsprachige Ökumene nicht untypisch. Während in Deutschland der ökumenische Dialog stark davon geprägt ist, dass zwei in etwa gleich große Konfessionen koexistieren und mittlerweile gut kooperieren, entwickelte sich in Frankreich nicht zuletzt aufgrund der zahlenmäßigen Vorherrschaft des Katholizismus schon früh ein Bewusstsein dafür, dass neben dem Protestantismus auch die Orthodoxie Teil der Ökumene ist. Umso aufschlussreicher sind die hier versammelten Beiträge für die deutschsprachige ökumenische Diskussion.
Der Titel ist dem Hochgebet während der Eucharistiefeier entnommen und zeigt die liturgisch-spirituelle Konzentration an, aus der D.s Grundlegungen erwachsen; der Untertitel, der die Ökumene mit der Synodalität verbindet, führt in die Weite von Kirche in Geschichte und Gegenwart. Dabei zieht D. eine Linie vom gemeinsamen Weg (syn-hodos) der Emmaus-Jünger bis zu Papst Franziskus, demzufolge die Einheit »nicht wie ein Wunder am Ende« kommen wird, sondern »auf dem Weg« (11; vgl. auch den Papst Franziskus und der »Ökumene auf dem Weg« gewidmete Beitrag, 115–152).
Die Beiträge sind in drei Teile gruppiert: zunächst werden historische Stationen der Ökumene in den Blick genommen, sodann gegenwärtige Herausforderungen bedacht und schließlich mit der Frage nach dem Verhältnis von Synodalität und Primat Wege in die Zukunft angebahnt (was erneute historische Untersuchungen einschließt). Die hiermit gegebene Verknüpfung der drei Zeitdimensionen verleiht – neben der zugrundeliegenden Intuition der Verknüpfung von Ökumene und Synodalität – dem Band eine große Kohärenz. Gleichzeitig sind die Beiträge so material- und reflexionsgesättigt, dass sie auch einzeln eine inspirierende Fundgrube sind. Im »historischen« Teil beispielsweise zieht D. ausgehend von den unveröffentlichten Memoiren des Ökumenikers Christophe-Jean Dumont (1897–1991) oder der Grundintuition Yves Congars (1904–1995), wonach es eine Verschiedenheit der Dogmatik in der Einheit des Glaubens gibt, Linien in Gegenwart und Zukunft aus. Im »gegenwartsbezogenen« Teil reflektiert er u. a. auf einen in ökumenischen Fragen notwendigen Umgang mit Geschichte und Ge­schichtlichkeit und erläutert seine These, wonach es in der wissenschaftlichen Ausbildung weniger einer »Lehre der Ökumene« als einer »ökumenischen Lehre« (199) bedarf. Dies betrifft nicht zuletzt auch die Kenntnis und das Studium der zahlreichen ökumenischen Dokumente der vergangenen Jahrzehnte, die nur so überhaupt ihre Wirkung entfalten können. Höchst anregend sind die Überlegungen zur »kulturellen Ökumene« in einer Zeit, in der nicht nur eine Exkulturation des Christentums im Sinne von Danièle Hervieu-Léger zu beobachten ist, sondern mit Olivier Roy auch eine Kulturlosigkeit einer angeblich »reinen« Religion Breitenwirkung entfaltet. Damit zusammen hängt ein weiterer Beitrag über den Zusammenhang von Territorialität und Ökumene. Zwar geht dieser vom konkreten Anlass der Errichtung katholischer Diözesen in Russland aus und mag zunächst etwas technisch wirken. Dass und wie es dabei um ekklesiologische Grundfragen geht, zeigt sich beispielsweise in D.s im Anschluss an Hervé Legrand entfalteten Analysen zur Territorialität als Garantin von Katholizität gerade in Zeiten der Globalisierung (vgl. 251). Hier erweist sich übrigens die ökumenische Dimension der Implikationen und Konsequenzen von Kirchenentwicklungsprozessen katholischer wie evangelischer Spielart, für die der Zusammenhang von Katholizität und Territorialität zentrale Herausforderung ist. Im dritten Teil klingen Perspektiven der Zukunft beispielsweise im Beitrag über das I. Vaticanum an, das für D. einer ökumenischen Relecture bedarf (282). Auch die Darstellung des Panorthodoxen Konzils von Kreta 2016, das in einem weiteren Beitrag mit dem Synodalitätsverständnis von Papst Franziskus und dem Dokument von Chieti verglichen wird, weist in die Zukunft. In gewissem Sinn gilt das auch für den auf den ersten Blick sehr theologiegeschichtlichen Beitrag über die Entwicklung einer eucharistischen Ekklesiologie im Russland des 20. Jh.s.
Der »französische« Charakter des Buches macht es aus »deutscher« Sicht zu einem erfrischenden, manchmal überraschenden, immer aber inspirierenden Beitrag zur ökumenischen Diskussion der Gegenwart, der insbesondere das in der deutschsprachigen Theologie nicht immer gehobene Potential eines katholisch-orthodox-protestantischen »Trialogs« vor Augen führt (freilich würde ein Register den Reichtum Buches noch besser zu erschließen helfen).
Hier und da lädt er natürlich auch zu einem weiteren »deutsch-französischen« Dialog ein, z. B. mit Blick auf neuere Forschungen zu Friedrich Schleiermacher (269) oder Jakob Frohschammer (270) oder auch den Suchbewegungen von Lukas Vischer bis Andreas Holzem und anderen hinsichtlich einer ökumenischen Kirchengeschichte. Aber dass die bei aller Weite des Horizonts konkrete Perspektivität nicht etwa ein notwendiges Übel ist, sondern überhaupt erst ermöglichende Einladung zu einem »Dialog der Liebe«, zu einem »Austausch der Gaben« und zu einer »Hermeneutik der Verschiedenheit« – alles von D. gerne und oft gebrauchte Motive –, ist eine Erkenntnis, die die Lektüre dieses Buches bei aller Komplexität der vielen miteinander zusammenhängenden Themen zu einer Ermutigung macht, auf dem Weg der Einheit weiterzugehen und dort Jesus Christus zu begegnen.