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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

230-231

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Johannes

Titel/Untertitel:

Gemeinde, Mission und Transformation. Beiträge zur Gemeindeentwicklung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2020. 212 S. = Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung, 30. Kart. EUR 45,00. ISBN 9783788734411.

Rezensent:

Elmar Nass

Nicht erst seit der Corona-Krise mit ihren einschneidenden Folgen auch für das Leben kirchlicher Gemeinden und Gemeinschaften befindet sich das Verständnis der Parochie auf dem Prüfstand. Mitgliederschwund, finanzielle und personelle Engpässe, gesellschaftliche Marginalisierung sowie Fragen nach dem Umgang mit Phänomenen wie Digitalisierung, Säkularisierung oder Ökonomisierung stellen gravierende Herausforderungen für die Kirche in der Welt von heute dar. Dies gilt konfessionsübergreifend, so dass eine ehrliche, tiefgründig theologische und praktisch zukunftsweisende Reflexion zum Selbstverständnis von kirchlicher Gemeindebildung heute eine zutiefst ökumenische Dimension hat. Nicht weniger als die glaubwürdige Umsetzung des jesuanischen Missionsauftrags steht auf dem Spiel. Zeichen der Zeit müssen erkannt werden, um darauf verstehbare Antworten wie begehbare Wege einer Gemeinde Jesu Christi aufzuzeigen und vorzuschlagen. Jo­hannes Zimmermann, Professor für Praktische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg mit langjähriger Erfahrung in Pastoral und Wissenschaft, wagt mit einer Zusammenstellung von Aufsätzen und Vorträgen als Kompendium der Gemeindeentwicklung (13) einen solchen wegweisenden Entwurf.
Nach Vorwort und Einleitung folgen in fünf großen Teilen (A. Gemeinde als Gemeinschaft, B. Missionarische Gemeinde, C. Ge­meinde im Horizont des »Reiches Gottes«, D. Gemeinde international und interkulturell, E. Gemeinde mit Profil) systematisch ge­gliedert zwölf eigenständige Abhandlungen, die mit ihren jeweiligen Perspektiven zugleich ein überzeugendes Gesamtbild ergeben. Der rote Faden kreist im gekonnten Rückgriff auf theologische Denker (Jüngel, Pohl-Patalong, Moltmann, Hofmann u. v. a. m.) und praktische Beispiele um folgende Begriffe: Gemeinde (als Le­bensort des Glaubens, der mehr ist als Kirchentheorie), Mission (als Missio Dei in der Welt) und Transformation (als die das Handeln Gottes einschließende Verwandlung mit Diskontinuität). Im Vordergrund steht angesichts von erlebten Abbrucherfahrungen eine starke Verheißungsperspektive, begründet im Glauben an Chris­tus.
In Teil A wird in zwei Beiträgen das biblisch-reformatorische Fundament des Gemeindebegriffs in der Postmoderne entfaltet als Synergie von individueller und sozialer Perspektive. Kirche als Geschöpf des Wortes Gottes soll als diasporafähige Gemeinschaft Ort von Beheimatung und Seelsorge sein. Sie müsse vielfältig, missionarisch und diakonisch wirksam sein. Teil B schärft in vier Beiträgen die Verständnisse von (umfassend sozial zu verstehender) Mission und einer ausdrücklich kerygmatisch zu deutenden Evangelisation und zeigt deren glaubwürdige Gesichter anhand praktischer Beispiele (etwa aus der anglikanischen Kirche). Ziel (etwa auch in Glaubenskursen) soll die Verstetigung des Glaubens als Nachfolge in der Jüngerschaft Jesu sein. In Teil C wird in zwei Beiträgen die Transformationstheologie (etwa am Beispiel von Riesi nach dem Roman von Tullio Vinay) im Horizont des Reiches Gottes verankert. Eschatologisch zu verstehende Transformation müsse dabei auf das Wirken Gottes setzen und für den Gemeindeaufbau auch nach innen wirksam sein. Teil D stellt in einem Beitrag verschiedene internationale und interkulturelle Praxisfelder des Ge­ meindeaufbaus vor, deren Vielfalt im Bekenntnis zu Christus geeint ist. Der abschließende Teil E diskutiert in drei praxisnahen Beiträgen zukunftsweisende Gemeindeformen, die der Koinonia etwa in Netzwerken oder Profilgemeinden vielfältige Gesichter einer im innersten verbundenen Glaubenseinheit (168) geben sollten. Milieusensibilität (als Kundenorientierung) und ausdrück-liches Bekenntnis seien stets zwei Seiten des einen Auftrags.
Kritisches kann allenfalls marginal angemerkt werden: Die Trennung zwischen Missions- und Evangelisationsbegriff lässt m. E. das Wesen von Mission als ausdrückliches Christusbekenntnis zurücktreten. Am Ende des Bandes hätte man sich eine Zusammenführung der Grundideen gewünscht. Damit könnte die überzeugend synergetische Verschränkung von Glaubenshaltung, theologischer Reflexion und praktischer Konsequenz noch deutlicher als herausfordernde Programmatik profiliert werden. Insgesamt ist die hier vorgestellte )raktische Theologie: 1. realistisch ohne jede Resignation, 2. neugierig für Unkonventionelles, 3. kritisch gegenüber Schwärmerei und im Glauben an die Verheißungen Christi voller Hoffnung auf eine Transformation zu wieder missionarisch evangelistischen Gemeinden der Zukunft, nicht in der Theorie, sondern in der gelebten Glaubensgemeinschaft. Das macht – auch in ökumenischer Weite – Mut zur wieder ausdrücklich am Herrn Jesus Christus orientierten (praktischen) Theologie einerseits, zum konkreten Mitglauben und Mitbauen an einer solchen Zukunft andererseits.