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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

224-226

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Enzner-Probst, Brigitte

Titel/Untertitel:

Frauenliturgien neu entdeckt. Performative Potenziale in der liturgischen Praxis von Frauen. M. e. Quellenanhang. 2., überarb. u. erw. Aufl.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2019. 466 S. = Ästhetik – Theologie – Liturgik, 72. Kart. EUR 49,90. ISBN 9783643142719.

Rezensent:

Katrin Kusmierz

Mit ihrer 2008 erschienenen Habilitationsschrift »Frauenliturgien als Performance. Die Bedeutung von Corporealität in der liturgischen Praxis von Frauen« legte Brigitte Enzner-Probst eine erste und längst überfällige liturgiewissenschaftliche Aufarbeitung der Frauenliturgiebewegung vor. Es ist sehr begrüßenswert, dass das Buch nun in einer überarbeiteten Fassung wieder zugänglich ist. Die Neuauflage ist in der Reihe »Ästhetik – Theologie – Liturgik« im LIT-Verlag erschienen. Die Vfn. hat den Textkorpus gekürzt und den Text insgesamt auf einfachere Lesbarkeit hin überarbeitet. Ergänzt wurde ein 168 Seiten starkes Quellenverzeichnis, das die Grundlage für die Untersuchung bildete.
Nach einer Einführung (I) und einigen methodischen Vorbemerkungen (II) führt die Vfn. in die Geschichte der Frauenliturgiebewegung in den USA, in Deutschland, der Schweiz und Österreich ein (III) und skizziert im folgenden Kapitel deren Rezeption in der (feministischen) Liturgiewissenschaft (IV). Kurz geht die Vfn. auch auf die ihrer Ansicht nach eher verhaltene Rezeption der Frauenliturgiebewegung in der »akademischen« Liturgiewissenschaft in Deutschland ein. Die folgenden Kapitel widmen sich sodann der Analyse von Frauenliturgien aus dem Zeitraum von 1990 bis 2003. Kapitel V arbeitet die Vielfalt an Themen heraus, die in Liturgien von Frauen aufgenommen werden. Kapitel VI beschreibt darauf die strukturellen Merkmale von Frauenliturgien wie beispielsweise deren besonderes Raumkonzept, das den Weg, den Kreis und die Mitte akzentuiert, Partizipation und geteilte liturgische Leitung sowie eine freiere liturgische Struktur der Feiern. Spezifische Ge­staltungselemente von Frauenliturgien stehen im Fokus des nächsten Kapitels, nämlich Berührung, Klang und Tanz (VII). Diese empirischen Erkundungen werden nun mit zwei Theoriekonzepten ins Gespräch gebracht: das Konzept der Performativität (Kapitel VIII) und jenes der Corporealität (IX).
Die Vfn. stellt diese Theorieansätze jeweils vor und nutzt sie dazu, die Praxis der Frauenliturgien zu analysieren. Drei Aspekte der Performativitätstheorie greift die Vfn. auf und sieht diese in den Liturgien repräsentiert: Frauenliturgien deutet sie als ein Präsenzgeschehen, das im konkreten Moment seinen Ausdruck sucht, performativ entfaltet wird und sich jeweils neu ereignet. Die Gegenwart, der Alltag kommen dabei in besonderer Weise in den Blick und werden in »transzendentaler Relation« (179) gezeigt. Deshalb lebt der Gottesdienst nicht von vorgegebenen Strukturen, sondern wird im Prozess, auf den Moment hin und entlang eines Themas gestaltet. Frauenliturgien werden darüber hinaus als »Übungsräume resonanter Kommunikation« beschrieben (schon eine geraume Weile, bevor das Konzept der »Resonanz« durch die Arbeiten von Hartmut Rosa Hochkonjunktur erlangt) sowie als ein Geschehen, das nicht von Einzelnen gestaltet und verantwortet wird, sondern bei dem eine möglichst intensive Partizipation der Feiernden angestrebt wird.
Frauenliturgien sind zudem dadurch gekennzeichnet, dass sie die Rolle des Körpers im gemeinsamen Feiern in besonderer Weise betonen. »Worte allein tun’s freilich nicht« (253): Körperlichkeit bildet die Basis für jede Weltwahrnehmung und -deutung (Corporealität), für die Wahrnehmung anderer Körper und damit für eine resonante Kommunikation (Intercorporealität). Der Körper – in unauflöslicher Verbundenheit mit Geist und Seele – bildet den Ausgangspunkt jeglicher theologischen Reflexion und damit auch der liturgischen Gestaltung. In den Gestaltungsweisen Berühren, Tönen und Tanzen findet dies einen besonderen Ausdruck.
Eine wesentliche Neuerung im Vergleich zur Originalausgabe ist, wie erwähnt, die Aufnahme des ausführlichen Quellenverzeichnisses. Hier finden sich u. a. sieben exemplarische Liturgien (I), eine thematische Auswertung von in Sammelwerken publizierten Frauenliturgien (II) sowie eine Auflistung von unveröffentlichten Liturgien verschiedener Liturgiegruppen (III). Auch wenn platzbedingt die Angaben zu einzelnen Liturgien oder Liturgiegruppen verständlicherweise sehr knapp gehalten sind, bietet das Verzeichnis Interessierten eine Fülle an Informationen. In der thematischen Zusammenstellung in Abschnitt II sind die theologischen, liturgischen, sozialen und politischen Themen abgebildet, die in den Liturgien aufgegriffen werden. Teil III führt der Leserin die Fülle an Akteurinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vor Augen, die in den 1990er Jahren Frauenliturgien gefeiert und gestaltet haben (Frauengruppen, Akademien, Tagungen, Netzwerke wie der Weltgebetstag der Frauen). Damit dokumentiert das Quellenverzeichnis einen wichtigen Zeitabschnitt der Kirchen- und Liturgiegeschichte im deutschsprachigen Raum und kann Studierenden und Forschenden als Ausgangspunkt weiterer Recherchen dienen.
Die vorgenommenen Kürzungen und Umstellungen haben zur besseren Lesbarkeit des Buches beigetragen. Insbesondere die Vereinfachung der Kapitel-Systematik erleichtert die Groborientierung im Buch. Allerdings haben sich in diesem sicherlich sehr zeit- und arbeitsintensiven Prozess der Überarbeitung einige Fehler im Text eingeschlichen. An manchen Stellen sind Fußnotenverweise weggefallen (z. B. auf S. 253 zu Bachtin). Dazu sind durch das Layout bedingt die Überschriften dritter Ordnung visuell schlecht erkennbar, was wiederum die inhaltliche Orientierung etwas er­schwert.
Seit der Publikation von 2008 sind zumindest Performancetheorien breit in der Liturgiewissenschaft rezipiert worden. Die Untersuchung der Vfn. zeigt jedoch – besonders auch im letzten, liturgietheologisch zugespitzten Kapitel –, wie ertragreich dieses Ge­spräch nach wie vor ist und dass bei Weitem noch nicht alle Themenaspekte erschöpfend aufgearbeitet sind. So laden ihre Ausführungen dazu ein, erneut über Partizipation im Gottesdienst nachzudenken und darüber, was es bedeutet, wenn eine Gemeinschaft Subjekt der liturgischen Gestaltung ist; über das Zusammenspiel von »Thema« und Struktur der Liturgie (also über Dramaturgie) und damit über das Verhältnis von freier strukturierten Liturgien zu vorgefassten Liturgien, und ebenso über die Rolle des Körpers der Mitfeiernden für die Wahrnehmung und das Erleben des Gottesdienstes – über das Sitzen, Hören und Singen hinaus. Die Publikation bietet reichhaltige Informationen über die Geschichte der Frauenliturgiebewegung und deren liturgische Reformanliegen, einen Einstieg in die theoretischen Konzepte der Performativität und der Corporealität, vielfältige Anregungen über Liturgie nachzudenken sowie eine Fülle an Quellenhinweisen. Bedauerlich ist lediglich, dass die Vfn. ausgehend von ihrer Expertise kein aktualisierendes Kapitel ergänzt hat. Wo steht die Frauenliturgiebewegung heute? Seit den 1990er bzw. frühen 2000er Jahren hat sich vieles verändert, sowohl was die Frauenbewegung generell als auch was die Praxis von Frauenliturgiegruppen anbelangt. Und ist es tatsächlich so, wie die Vfn. im Vorwort andeutet, dass die Er­kenntnisse und Anliegen der Frauenliturgiebewegung unbeachtet blieben oder haben diese sich nicht doch in der Gestaltung von Gottesdiensten wie auch in deren theoretischer Reflexion zumindest teilweise niedergeschlagen? Es ist sehr zu hoffen, dass die Vfn. diese Fragen bei anderer Gelegenheit aufgreifen wird.