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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

221-222

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Welte, Markus

Titel/Untertitel:

Die christologische Hermeneutik Bernhard Weltes. Christusverkündigung im Horizont des neuzeitlichen Seinsverständnisses.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2019. 335 S. = ratio fidei, 69. Kart. EUR 39,95. ISBN 9783791731063.

Rezensent:

Martin Hailer

Der Band geht aus einer Münchner Dissertation hervor, die von Bertram Stubenrauch betreut wurde. Ihr Autor Markus Welte ist Assistent des Generalvikars im Erzbistum Salzburg. Es handelt sich um die Untersuchung eines Hauptanliegens von Bernhard Welte (1906–1983), der zu den wichtigen Stimmen im Rahmen der Loslösung römisch-katholischer Fundamentaltheologie von neuthomistischen Paradigmen zählt.
Den Beginn macht eine krisenhafte Erkenntnis: Das Zeugnis von Christus wird nicht mehr verstanden. Im Gegensatz zum Neuthomismus, der zur Kur den Gang in eine frühere geistesgeschichtliche Epoche vorschlug, will Welte das gegenwärtige Seinsverständnis als im Menschen liegende Voraussetzung für den christlichen Glauben erheben (30). Das Anliegen ist also aggiornamento, die Herangehensweise durch Aufweis eines Anknüpfungspunkts im Menschen klassisch-katholisch, – die Gesprächspartner Jaspers und Heidegger waren freilich für die formativen Jahre von Weltes Theologie sehr ungewöhnlich.
Die Fundamentalentscheidung stammt direkt von Heidegger: Das neuzeitliche Seinsverständnis kennt einerseits sicherstellen-des (Fakten-)Wissen und andererseits vernehmendes und hörendes Denken. Das sicherstellende Wissen gewann aber weitgehend die Hoheit und verstellte damit systematisch die Möglichkeit von Gotteserfahrung, was direkt zur Relevanzkrise des christlichen Glaubens führt. Das gilt selbst für die philosophische Theologie Hegels, weil sie die Wahrheit des Glaubens in Wissen überführt und durch diese vermeintliche Rettung erst recht dem feststellenden Denken ausliefert (86).
Der Gegenzug bestreitet die Alleingeltung des feststellenden Denkens und weist danach auf, dass das vernehmende Denken transzendenzoffen ist: Insbesondere in Randlagen und Extrempunkten des Lebens wird klar, dass es offen ist auf Größeres hin. Diesen Punkt entwickelte Welte vor allem in der Auseinandersetzung mit Karl Jaspersʼ Spätwerk zur Religionsphilosophie. Er teilt die Ansicht, dass es ein unthematisches Innewerden des Umgreifenden gibt, auf das Menschen in besonderen Situationen gestoßen werden. Dies – philosophischer Gottesglaube genannt – ist jedes Menschen Möglichkeit. Er ist aber vermöge seiner Vagheit ein stets gefährdeter Glaube. Stützung würde er durch eine Zusage in personaler Form erhalten. Dass Menschen nach einer solchen Zusage suchen, lässt sich philosophisch zeigen. Dass es die Menschwerdung Gottes in Christus ist, die diese Zusage gewährt, wird dadurch verständlich und plausibel. Der Glaubenssatz, dass es sich so verhalte, ist aber philosophisch unerschwinglich, es »kann nur in der persönlichen Begegnung mit Jesus und Gott erkannt werden.« (133, vgl. 147 f.) Vom Neuthomismus, der die Vernünftigkeit des Glaubens betonte, wurde Welte für diese Grundlegungsfigur scharf angegriffen. Er resümierte, dass es für die Vernunft vernünftig sei, sich an ihrem höchsten Punkt nicht in sich selbst zu gründen (155).
Welte arbeitete nicht nur in Fundamentaltheologie und Reli-gionsphilosophie. Der Vf. analysiert deshalb seine Arbeiten zur Christologie, insbesondere einen bekannt gewordenen Aufsatz zum Chalcedonense und seine vielfachen Nachwirkungen (Gesammelte Schriften IV/2, 131–162). Für einiges Aufsehen sorgte hier, dass Welte die unterschiedliche Erklärabsicht zwischen biblischen Texten und dogmatischen Formulierungen deutlich machte und sich gegen die Idee eines kontinuierlichen Dogmenfortschritts wandte: Es gibt Epochenwechsel, bei denen sich auch die Verstehensbedingungen weitgehend ändern. Einen solchen diagnostizierte Welte auch für seine Gegenwart und übernahm den Heideggerschen Gedanken vom Ende der Metaphysik (188). An ihre Stelle sollen relationale Kategorien im Rahmen des vernehmenden Denkens treten (209).
Etwa ein Drittel der Arbeit ist Überlegungen zur Rezeption der mitgeteilten Welteschen Gedanken in der jüngeren römisch-katholischen Theologie und der Frage nach ihrer heutigen Relevanz gewidmet. Detailanalysen beleuchten u. a. die Nähen von Weltes christologischen Überlegungen zu denen Karl Rahners. Im Schlussabschnitt »Zur Bedeutung Weltes für die gegenwärtige Glaubensverkündigung« (266) empfiehlt der Vf. zunächst, das vernehmende Denken als heilsame Alternative zum im digitalen Zeitalter noch gesteigerten feststellenden Denken zu empfehlen. Weltes demonstratio religiosa und angedeutete demonstratio christiana werden also im Recht gesehen. Differenzierungen scheinen dem Vf. gleichwohl nötig, etwa bei zu holzschnittartigen Entgegensetzungen im Epochenbegriff. Zu danken ist Welte aber, die Möglichkeit pluraler Denkformen aufgezeigt zu haben, was in der Verkündigung zu beherzigen ist. Unabdingbar ist freilich die apologetische Grundeinsicht: Die »unbedingte Relevanz des Glaubens für das Leben des Menschen« (294) ist sichtbar zu machen, was nicht allein, aber eben auch über die Thematisierung der Transzendenzoffenheit des vernehmenden Denkens erreicht werden kann.
Die Untersuchung ist u. a. durch werkgeschichtliche Längsschnitte, die auch nicht-edierte Texte Weltes berücksichtigen, be­merkenswert gründlich gearbeitet. Sie stellt neben der Erinnerung an einen Wegbereiter postkonziliarer Theologie ein innerkatholisches Plädoyer für Pluralität dar: Der Vf. adressiert direkt Thomas Pröpper, der für seine freiheitstheoretische Grundlegung der absoluten Relevanz des Glaubens zeitweise Alternativlosigkeit beanspruchte (290.296). Aus evangelischer Sicht ist zu fragen, ob die Verkündigung nur dann Chancen hat, wenn die Relevanz des Glaubens zuvor mit Letztbegründungsanspruch demonstriert wurde. Der Vf. sieht das Problem in Weltes Fundamentaltheologie, Adressaten bei Grenz- und Mangelerfahrungen behaften zu müssen (271 f.). Manche Strömung der evangelischen Dogmatik würde daraufhin vorschlagen, auf vorgängige Apologetik ganz zu verzichten. Sinn und Grenze der vorgängigen Streitfreistellung des Glaubens stehen zur gelegentlichen ökumenischen Durchmusterung an.