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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

180-182

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Grahl, Martin

Titel/Untertitel:

Johann Spreter. Theologe im Schatten von Johannes Calvin in Konstanz.

Verlag:

Saarbrücken: Fromm Verlag 2020. 276 S. Kart. EUR 54,90. ISBN 9786138367642.

Rezensent:

Hans-Joachim Ramm

Johann Spreter ist einer der wenig bekannten Prediger, die zu Beginn des 16. Jh.s die Reformation der Kirche gewagt und zudem auch theologische Schriften hinterlassen haben. Martin Grahl, der bisher durch Studien über Thomas Kliefoth, zur mittelalterlichen Allegorie, zu Grundfragen der Theologie und kirchlicher Kunstgeschichte bekannt ist, hat es nun unternommen, diesen süddeutschen Theologen zumindest der Fachwelt bekannter zu machen.
Spreters Theologie ist bisher, sehen wir von einer Biographie 1 (Gustav Bossert) 1911 sowie der Untersuchung des so genannten Hexenbüchleins (Thomas Meyer 2019) ab, noch nicht untersucht worden. Drei Veröffentlichungen Spreters unterscheidet G.: Taufordnung 1526, Hexenbüchlein und Instructio von 1542/43, in die alle übrigen Schriften, die im Anhang (ab 231) dargestellt werden, »nahezu unverändert« einflossen, in seiner Studie (202). Spreter ist »ein gutes Beispiel dafür, dass es lohnt, sich auch einem weiteren Theologen« aus der Anfangszeit der Reformation anzunehmen (4), dessen Hauptschrift »Instructio« sich mit der »Institutio« von Calvin vergleichen lässt, obwohl sich beide kaum gekannt haben. Jedenfalls zitiert Spreter Calvin nicht und weist als Gewährsmänner seiner Theologie überwiegend – anders als Calvin – auf Kirchenväter wie z. B. Augustin, Tertullian, Origenes hin. Zudem hatte er seine we­sentlichen Gedanken bereits vor Calvin in einer Kurzfassung veröffentlicht. Nach einer biographischen Skizze des aus Rottweil stammenden Spreter (7 ff.), der als Chorherr des Konstanzer Kollegiat-stiftes wirkte, stellt G. die Schriften des Protagonisten vor. Er wen-det sich dann der in Konstanz (1526) entstandenen Tauf-, Trau- und Kausalbeichtordnung zu. Spreter kommt es darauf an, dass »das Geschehen des Glaubens und der Taufe für jeden auch einfachen Christen im Notwendigen verständlich und nachvollziehbar« ist (22). Es folgt die Darstellung des so genannten »Hexenbüchlein[s]«, in dem man nicht einen etwa vermuteten Aufruf zur Hexenverfolgung findet. Spreter sieht den beschuldigten Menschen als Opfer an, wo­bei eine strafrechtliche Verfolgung nicht mit Folter, »Gottes-urteil« oder Teufelsaustreibung einhergehen darf. Es gilt die Un­schuldsvermutung; »nicht die Hexen sind auszurotten, sondern die Hexerei« (60). Den größten Umfang dieser Studie nimmt das Kapitel »Die Instruktion« ein; ein Exemplar der Instructio, auf das G. sich be-zieht, liegt in der Staatsbibliothek in München liegt. In seiner um­fangreichsten Schrift (600 Seiten!) entwickelt Spreter seine keryg-matische Theologie, wobei er neben gottesdienstlichen Fragen (z. B. Messe, Abendmahl) seine Sicht von der Aufgabe der Kirche in der Gesellschaft vorstellt. Seine Gedanken richten sich an die Öffentlichkeit, nicht nur an die Oberschicht, »wie es sich um die Dinge des Glaubens verhält« (63). Es folgen die Darstellung der Abschnitte »Gottes Ordnung«, »Gott und Mensch«, »Kirche und Christenheit«, wobei »Kirche« für Spreter »die gemeine Versammlung der Auserwählten und Gemeinschaft der Heiligen« ist (102). Ein weiterer, für die Reformation wichtiger Absatz widmet sich der »Macht der zwei Schwerter« (106 ff.). Der weltlichen Macht, die von Gott ihren Auftrag hat, ist zu gehorchen. Es folgen die Kapitel »Pfarrgemeinde«, »Von Zeichen, Heiligen, Wundern und Bildern«, in denen erklärt wird, weshalb Spreter die spätmittelalterliche Zeichenwelt und Heiligenverehrung ablehnt. Auch »die ganze Welt des Okkulten ist ihm ein Graus« (133). »Verhalten der Geistlichkeit, die Kirche und das Geld«, wobei Spreter einfordert, das Finanzwesen der Kirche auf eine korrekte Grundlage zu stellen (136 ff.), werden ebenso ausführlich bedacht wie »Die Messe«; hier lehnt Spreter das römisch-katholische Verständnis eindeutig ab. Für ihn ist die Schlichtheit des Gottesdienstes wichtig. Das Abendmahl versteht er anders als die Römische Kirche und auch Luther als Zeichen des Glaubens, Brot und Wein sind geistliche Gaben (155). Die Gemeinschaft ist ihm wichtig, zur Reformation äußert er sich vor allem kritisch im Blick auf die Bauernkriege (221 ff.). G. stellt im Folgenden »Die ursprüngliche Ermahnung (Exhortatio) und Instruktion von 1527« vor. Besondere Kapitel widmet er dem Vergleich von Spreter und Zwingli, Thomas Müntzer und Calvin. Hier hätte man sich eine ausführlichere Darstellung bei den Gegenüberstellungen zu Zwingli und Calvin gewünscht; im Hinblick auf Müntzer referiert er im Wesentlichen Wolfgang Ullmann. Im Anhang wird die Schrift »Von der Vorsehung« vorgestellt und, was bemerkenswert ist, eine Aufstellung der vom Konstanzer Theologen benutzten Literatur.
G. hat mit Spreter einen Theologen wiederentdeckt, der ein be­merkenswertes, aber bislang kaum wahrgenommenes Werk hinterlassen hat. Seine Liturgie gehört zu den ersten evangelischen Gottesdienstordnungen, die selbst in Standardwerken kaum er­wähnt wird. Die Konstanzer Liturgie von 1526 wird hier von G. gut lesbar und kommentiert wiedergegeben. Mit dieser Studie weist er auf Grundfragen des Calvinismus hin, lässt damit auch zugleich viel offen: Wie verhielten sich sein nahezu unbekanntes Werk und das nur zu gut bekannte Werk des Genfer Reformators zueinander, wer hat wen beeinflusst und was am anderen aus guten Gründen gemieden? Offen bleiben auch viele Fragen in Bezug auf die Rezeption der Kirchenväter im 16. Jh. Ist es lohnenswert, zu sehen, wie die damals neu aufgelegten Werke der christlichen Antike im Einzelnen verstanden wurden?
Leider fehlt ein Literaturverzeichnis, das durch die auch erklärenden Anmerkungen erschlossen werden muss. Wünschenswert wäre gewesen, dass auf die Fundstellen der gebrauchten Originaltexte hingewiesen worden wäre.
Jedenfalls ist es G. mit der vorliegenden Studie gelungen, auf einen Theologen aufmerksam zu machen, der neben Calvin in Konstanz »in bewusst einfacherer Form in ganz ähnlicher Weise ein sehr bemerkenswertes theologisches Werk« verfasste (228). Für Kenner und Interessierte der Reformationsgeschichte wird hier ein weiteres Kapitel zur Erforschung dieser Zeit aufgeschlagen.