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Ausgabe:

März/2021

Spalte:

152-154

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ausloos, Hans, u. Bénédicte Lemmelijn[Hgg./Eds.]

Titel/Untertitel:

Die Theologie der Septuaginta/The Theology of the Septuagint.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2020. 605 S. = Handbuch zur Septuaginta, 5. Geb. EUR 268,00. ISBN 9783579081038.

Rezensent:

Martin Rösel

Im Umfeld des Übersetzungsprojektes »Septuaginta. Deutsch« ist in den letzten Jahren eine bemerkenswerte, eigenständige und zugleich international vernetzte, deutschsprachige Forschung zur griechischen Bibel entstanden. Deren Erträge werden nun in einer eigenen Reihe »Handbuch zur Septuaginta« zusammengetragen, von der bisher eine Einleitung zur LXX und ein Band zur Sprache erschienen sind. Fortgesetzt wird die Serie nun mit einem Band zur Theologie. Für diese Fragestellung nach einer eigenständigen Aussageabsicht der griechischen Bibel im Vergleich zur hebräischen gab es erste Ansätze im 20. Jh. Sie verbinden sich mit dem Namen Georg Bertram und seiner Idee einer »Septuaginta-Frömmigkeit« als praeparatio evangelii, allerdings sind sie wegen Bertrams NS-Verstrickung ideologisch stark belastet.
In der gegenwärtigen Forschung sind die methodischen Fragen, ob und in welchem Umfang theologisch motivierte Veränderungen in der Übersetzung festzustellen sind und wie man sie zu einer »Theologie« systematisieren kann, stark umstritten. Das Feld wird üblicherweise in »Maximalisten« und »Minimalisten« aufgeteilt, wobei allerdings die Zahl der wirklich an theologischen Fragen arbeitenden Forscher recht gering ist. Hinzu kommt, dass die einzelnen Bereiche der LXX bislang unterschiedlich intensiv bearbeitet wurden. Insofern stellt es eine gewisse Herausforderung dar, die Forschungslage für ein Handbuch zusammenzufassen.
Das Herausgeberpaar stellt dann auch im Vorwort des Bandes sehr offen dar, welche Probleme es bei der Organisation des Werks und bei der Gewinnung von Autoren gegeben hat. Letztlich ist eine deutlich bemerkbare Uneinheitlichkeit der Beiträge in Umfang und Methodik zu konstatieren. In ihrem einführenden Beitrag stellen Hans Ausloos und Bénédicte Lemmelijn die Frage: »Theol-ogy or not? That’s the question. ls there such a thing as ›the theol-ogy of the Septuagint‹?« (19–45). Der Beitrag stellt die methodischen Probleme umfassend vor, ist aber geprägt von einer skeptischen, eher »minimalistischen« Sichtweise und stellt eine Reihe von Texten dar, an denen keine theologische Interpretation festzustellen sei. Belege für solche Phänomene sind deutlich seltener, die Posi-tion des »maximalistischen« Standpunkts (die auch der Rezensent für produktiver hält) wird m. E. nicht hinreichend dargestellt. Der Beitrag endet mit »10 Geboten, die die Beschäftigung mit der LXX-Theologie leiten sollen« (43 f.), sie fassen die skeptische Grundhaltung gut zusammen. Die Gebote werden allerdings nicht in allen der folgenden Beiträge beachtet, besonders die methodischen Überlegungen in den Artikeln zu »Volk und Bund« und »Verheißung« bieten ein interessantes Kontrastprogramm.
Der Materialteil des Buches ist so angelegt, dass insgesamt acht wichtige Fragestellungen dargestellt werden, wobei aufgrund der unterschiedlichen historischen Entstehungssituation und der verschiedenen Übersetzungsweisen jeweils nach Schriftengruppen differenziert wird, üblicherweise in der Abfolge Pentateuch – prophetische Bücher – weisheitliche Schriften – historische Bücher – Psalmen und Lieder. Hauptteil II ist mit »Der eine Gott und sein Verständnis« überschrieben. Die einzelnen Schriftengruppen wurden durch verschiedene Autoren und Autorinnen bearbeitet, so dass unterschiedliche Ausgestaltungen der Fragestellung und me­thodische Zugänge deutlich werden: Emanuel Tov, Pentateuch (47–58), konzentriert sich auf die Übersetzung von Gottesnamen und -epitheta. Anne-Françoise Loiseau, Les Prophetes (59–82), bietet eine sehr interessante, strukturierte Sammlung von Einzelphä-nomenen, die auch abweichende Charakterisierungen Gottes einschließt. Markus Witte, Weisheitsschriften (83–98), hat einen anderen Zugang gewählt und stellt weniger Einzelstellen dar, als dass er eine flächige Darstellung weisheitlichen Denkens in der LXX im Unterschied zur hebräischen Bibel gibt. Dennoch hätte man die Darstellung eines Spitzentextes wie Hiob 19,25 f. erwartet. Sehr knapp angesichts des Umfangs des Textkorpus ist Andrés Piquer Otero, Historical books (ohne Makkabäer; 99–107), der aber mit Recht darauf hinweist, dass in einigen Fällen offenbar die Textfassung der Septuaginta als ältere Version zu sehen ist. Auffälligstes Phänomen dieses Kanonsteils ist die Wiedergabe von zebaoth mit pantokrator, Allherrscher, was eindeutig als theologische Akzentsetzung zu verstehen ist. Den Hauptteil beschließt Ralph Brucker, Psalmen und Lieder (108–115), mit einer sehr klaren, am Textbestand orientierten Darstellung, die auch konzeptionelle Fragen aufnimmt, etwa die der Körperlichkeit Gottes oder seiner gesteigerten Charakterisierung als persönlicher Beistand.
Auch Teil III. »Das Gesetz Gottes« wurde von verschiedenen Verfassern und Verfasserinnen erarbeitet: Innocent Himbaza, Pentateuque (117–127), stellt die legalistische Terminologie konzise dar, leider fehlt aber die Erörterung der Antonyme. Dies ist ein besonders interessantes Phänomen, weil durch die fast durchgängige Verbindung von Verfehlungen mit dem nomos die Bedeutung der Gesetzesthematik deutlich intensiviert wird. Herrie van Rooy, Prophets (128–132), konzentriert sich auf die präzise Darstellung der Übersetzung von torah, entsprechend geht Frank Ueberschaer, Weisheit (137–147), der Übersetzung der einschlägigen Termini in den einzelnen Büchern nach; dies ausgehend vom hebräischen Text, so dass die interessante Zufügung von nomos in Prov 9,10 unkommentiert bleibt. Einen ganz eigenständigen Zugang wählt Martin Meiser, Geschichtswerke (148–155), der auf die veränderte Stilisierung einzelner literarische Gestalten im Sinne des nomos als Identitätsmarker Israels hinweist. Alison Salvesen, Psalter (156–183), stellt die Gesetzesthematik in den Psalmen einschließlich der Antonyme dar. Insgesamt ist so ein sehr informatives Kapitel entstanden, das die pointiertere Bedeutung des nomos in der griechischen Bibel erkennen lässt.
Hauptteil IV »Kult und die Begegnung mit dem einen Gott in der Septuaginta« ist ganz von Christian Eberhart erarbeitet (165–242). Es ist eine sehr material- und kenntnisreiche Einführung in verschiedene mit dem Kultus zusammenhängende Problemstellungen in Israel und der Diaspora, von Opferfragen über Metaphorisierungen bis zum Tempel in Leontopolis. Die Darstellung der Charakteristika der einzelnen LXX-Übersetzungen ist demgegenüber etwas knapper ausgefallen. Hauptteil V »Die Prophetie und das Reden von Gott« stammt von Evangelia Dafni (243–300), er ist sehr vielschichtig und durchgängig aus den Texten gearbeitet. Die Abschnitte über die Theo-logie als Rede über Gott im eigentlichen Sinne ergänzen die Beobachtungen in Teil II. Johann Cook, »VI Man before God« (301–335), geht danach auf Spezifika der Anthropologie der LXX ein; ein Themengebiet, das gerade erst in das Interesse der Forschung rückt. Er konzentriert sich vor allem auf die Bücher Hiob und Kohelet. Teil VII beschäftigt sich mit »Weisheit und das Leben vor Gott«, dargestellt von Ludger Schwienhorst-Schönberger (337–397). Hier wurde der Darstellung von Phänomenen des hebrä-ischen Textes weiter Raum gegeben (etwa zu Hiob 28 oder Prov 8), so dass die Besonderheit der LXX nicht immer deutlich wird. Sehr instruktiv sind die letzten beiden Abschnitte VIII »People and covenant« von Larry Perkins (399–502) und IX »Verheißung: Die Zukunft angesichts Gottes« von Holger Gzella (503–553). Perkins verfolgt vor dem Hintergrund der Gegenüberstellung von Judentum und Hellenismus in mehrfachen Textdurchgängen, wie die Vorstellung vom Bundesvolk Israel pointiert wird, dies anhand wichtiger Teilthemen wie »Land«, »Krieg und Frieden«, »Israel und die Völker«. Gzella stellt sehr differenziert die unterschiedlichen eschatologischen Erwartungen der einzelnen Übersetzungen dar, wobei auch die diachrone Entwicklung deutlich wird.
Der Band stellt Chancen und Probleme einer »Theologie der Septuaginta« nachdrücklich vor Augen und macht deutlich, welche besondere Rolle die griechische Bibel zwischen den jüngsten Teilen der Hebräischen Bibel, dem hellenistischen Judentum und im frühen Christentum hat. Über das ausführliche Stellenregister ist der Reichtum der Einzelbeobachtungen gut zu erschließen. Wie oft bei solchen Sammlungen ist das Niveau der Artikel durchaus unterschiedlich was Problem- und Literaturkenntnis betrifft. Leider wurden selbst wichtige Beiträge aus den vielfältigen Publikationen im Umfeld des Projekts »Septuaginta. Deutsch« nicht durchgängig wahrgenommen, daher ist das Ziel der Bestandsaufnahme gegenwärtiger Forschung nicht ganz gelungen. Deutlich ist aber, dass hier ein ertragreicher Forschungsgegenstand entsteht, der einen wichtigen Beitrag zu einer gesamtbiblischen Theologie zu leisten vermag.