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Ausgabe:

Januar/2021

Spalte:

46–47

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Knauf, Ernst Axel

Titel/Untertitel:

1 Könige 15–22.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2019. 536 S. m. Abb. u. Tab. = Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament. Geb. EUR 105,00. ISBN 978-3-451-26815-1.

Rezensent:

Winfried Thiel

Erfreulich rasch nach der Kommentierung von 1Kön 1–14 (2016) ist die Fortsetzung erschienen, die den Rest des 1. Könige-Buches mit Ausnahme von »Analyse und Auslegung« zu 22,41–54 umfasst. Die Prinzipien der Kommentierung folgen dem Vorgängerband: Auslegung als TNK-Exegese, Textkritik ohne Diskussion der Varianten, komplizierte Erklärung der Buchentstehung aus verschiedenen, meist späten Redaktionen (vgl. ThLZ 143 [2018], 609–612).
Der Einsatz mit Kapitel 15 wirkt ungewöhnlich. Ernst Axel Knauf versteht 15,1–16,28 als Scharnier zwischen der Reichstrennung und der Komposition »Baal in Samaria« 1Kön 16,29–2Kön 10,28. Quellenmäßig sind die Auszüge aus den Annalen; manche Textpassagen sind historiographische Eigenleistungen der Redaktoren, so der Topos »Kultreformen« in 15,12 f. (nach dem Vorbild von 2Kön 23,5–14*). Wer die »Geweihten« (1Kön 15,12a) waren, er­fährt man leider nicht. Zu 16,1–4 wird bemerkt: »Der Prophet ›Jehu ben Hanani‹ ist so erfunden wie sein Vorgänger Ahia von Schilo.« (59) Sein Name weist auf den König voraus, der den Baalsdienst beseitigte (2Kön 10,28). In einer Begründung wie 1Kön 16,19 wird deutlich, »was in den prophetischen Verurteilungen Israels, Judas und anderer Völker in der Regel immer der Fall ist: dass ein Teil der Schreiber und Schriftgelehrten des Zweiten Tempels Sünden (re)konstruierte, um den als Gericht JHWHs verstandenen Untergang […] gerecht sein zu lassen.« (67)
Die Komposition »Baal in Samaria« (1Kön 16,29–2Kön 10,28) wird durch zwei Großabschnitte eröffnet: 16,29–17,24 und 18,1–19,21, deren Text überwiegend von der älteren Prophetenredaktion stammt, den Erzählern, die die Komposition geschaffen haben, »indem sie 16,30 mit 2Kön 9–10* dadurch verbanden, dass sie ihren Elischa-Zyklus mit Elija bevorworteten und den Omriden-Mörder Jehu zum JHWH-Freund und Baals-Feind stilisierten. Der Elija-Zyklus setzt sachlich wie sprachlich sowohl die abgeschlossene Tora wie den Elischa-Zyklus voraus« (124). Jünger sind 17,17–24 und 18,2b–16b. 17,17–24 wird als eine »Replik von Elija-Anhängern ge-gen 1 Kön 20 und 22« (132) erklärt. In 18,4 beginnt die »Biographie I sebels«, ein »redaktionelles Kompilat ohne Basis in der Zeitgeschichte« (135), aber mit Bezug auf Zeitvorstellungen seit der 1. Hälfte des 5. Jh.s. Die Negativität des Ahab-Bildes ist der jüngeren Prophetenredaktion zuzuschreiben. Ahab und Isebel waren zweifellos historische Personen. Bei »Baal« in diesen Texten handelt es sich jedoch »um das theologische Konstrukt eines Anti-JHWH, in dem alle wirklichen und vermeintlichen maskulinen Konkurrenten JHWHs zusammengeflossen sind.« (153) Der JHWH-versus-Baal-Komplex ist ebenso ein Konstrukt des 5. Jh.s; ein Konstrukt der Perserzeit sind auch die Elija-Geschichten und natürlich ihr Exponent. Tischbe ist kein Herkunftsort Elijas, sondern drückt seine Verbindung mit dem hurritischen Wettergott Teschup aus (weit hergeholt!). Die Auseinandersetzung zwischen Jahwe und Baal ist »ein eindeutiger Beleg für den Jerusalemer Monotheismus in der zweiten Hälfte der Perserzeit« (171). Diese Hypothese ist nicht ganz neu, entspricht aber schwerlich den Textaussagen von 18,21–40. An die Kommentierung von 1Kön 16,29–18,46 schließt sich eine ausführliche Darstellung der Rezeptionsgeschichte an.
Kapitel 19 wird als Bericht über den Abstieg Elijas interpretiert: vom Triumph am Karmel zu seiner verpfuschten Begegnung mit Gott samt dem Ende seines Dienstes und der Bestimmung eines Nachfolgers. »Elija ist kein ›wahrer Prophet‹, wie die Anti-Elija-Texte 1 Kön 20 und 22 genüsslich herausstellen werden, deshalb spricht er auch nicht wie ein typischer Prophet (außer in 1 Kön 21). Er ist es nicht, weil er eine literarische Fiktion ist.« (330) Elischa war durch die (älteren) Elischa-Geschichten vorgegeben. »Elija und Elischa sind in getreuer Ausführung von 19,15–18 Propheten zur Beendigung aller Prophetie, zur Vollstreckung des Gerichtes an Israel.« (338)
Die Abfolge der Kapitel 20–22 ist sekundär. Die Aramäer-Kriegserzählungen (Kapitel 20 und 22) standen ursprünglich zusammen und wurden »von einer Anti-Elija-Prophetenredaktion in die Elija-Grundschicht zwischen 1 Kön 19 und 2 Kön 2 eingeschoben. Sie wurde(n) dann von einer Anti-Anti-Elija-Redaktion mit Nabots Weinberg bevor- und mit Elijas Feuerzauber 2 Kön 1 benachwortet« (363), ehe die jetzige Reihenfolge entstand. Die literarische Analyse von Kapitel 20 und 22 wird zusammengefasst. Mehrere Prophetenredaktionen werden herausgestellt. Eingreifend war die Micha ben Jimla-Redaktion in Kapitel 22. Der ursprüngliche Sieg Israels am Ende des Textes wurde durch eine judäische Redaktion in eine Niederlage umgestaltet. Die Sammlung der Aramäer-Kriegserzäh lungen entstand am Hof Jerobeams II. Im Vertrag, der in 1Kön 20,34* den Krieg beendet, liegt »der Friedensvertrag zwischen Jo­asch und Bar-Hadad« (397) vor (vgl. 2Kön 13,25).
1Kön 21 ist ein Text der späten Perserzeit, abgefasst wohl nach 400 v. Chr. Ansetzungen in der Königszeit sind »schlechterdings abwegig« (427). Das Anliegen der Erzählung ist es, »den in Elija-kritischer Absicht eingeführten ›anonymen Propheten‹ von 20,38–42 durch Elija zu überbieten« (428). Der Ort des Textes schwankt zwischen Jesreel und Samaria. Den Verfassern schwebt dabei aber das Jerusalem der Nehemia-Zeit vor. Der Schluss des Kapitels (V. 27–29) dürfte im »Horizont einer nachexilischen Buß- und Umkehrtheologie« stehen (458). Zu 1Kön 22 werden in der »Ana- lyse« die historischen Aspekte behandelt. Das ursprüngliche Ende der Aramäer-Kriegserzählungen bestand aus V. 1.3.29* (ohne Jo­schafat).31.34–35*.36, also einem bloßen Kriegsbericht. Joschafat von Juda kam in den Text, veranlasst durch 2Kön 3. »Durch Joschafats Frage und Ahabs Antwort in V 7–8« wird »Elijas Prophetentum […] rundweg verneint.« (486) Das Gegenbild zu Elija ist Micha ben Jimla, »eine aus Jesaja-, Jeremia- und Ezechiel-texten konstruierte Kompositfigur« (486). Der historische König von Israel war Joram, der bei Ramot in Gilead kämpfte und verwundet wurde (2Kön 8,28 f.; 9,14 f.). Mit dem Abschnitt »Zu Text und Übersetzung« von 22,41–54 endet der Kommentar und verweist die abschließenden Ausführungen zu 22,41–54 in den nächs-ten Band.
Mit seinem Werk breitet K. umfassende Kenntnisse aus, zeigt aber auch große Hypothesenfreudigkeit. So liest man viele neue Interpretationen, die freilich der Nachprüfung bedürfen. Die re­konstruierte Entstehung des 1. Könige-Buches als ein literarischer Vorgang der Spätzeit wirkt wenig wahrscheinlich. Mit mündlicher Überlieferung wird kaum gerechnet. Auch die Einflüsse, die die Verfasser bzw. Redaktoren aus unterschiedlichen Vorgaben aufnahmen, waren in der Regel literarisch. Allzu viele Personen und Vorgänge werden als »Konstrukte« erklärt, also als Erfindungen der Verfasser der persisch-frühgriechischen Zeit. Für die Königszeit selbst bleibt nur wenig bestehen. Damit werden die Quellen doch wohl zu sehr abgewertet. Allerdings: Wo findet man einen Könige-Kommentar mit so vielen Lyrik-Zitaten wie hier?