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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1273–1275

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Sonntag, Graciela

Titel/Untertitel:

Professionalisierung ins kirchliche Amt?Die Entstehung der Lay Ecclesial Ministers in der katholischen Kirche der USA nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2019. 452 S. = Crossing Over. Geb. EUR 39,00. ISBN 978-3-402-13412-2.

Rezensent:

Salvatore Loiero

Die Herausforderungen struktureller und personeller Veränderungsprozesse in den großen Kirchen im deutschsprachigen Raum sind seit Langem Gegenstand theologischer Reflexionen. Dabei nimmt auch der komparative Ansatz einen hohen Stellenwert ein, der im Austausch mit außereuropäischen Entwicklungen und Realitäten in Kirche und Pastoral entsprechende Lernprozesse und Innovation für die eigenen generieren lässt. Das am Bochumer Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit angesiedelte Forschungsprojekt CrossingOver steht ganz in dieser Tradition, indem es diesen Austausch zwischen Deutschland und den USA pflegt. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurde die Studie von Graciela Sonntag verfasst.
S. sieht das Anliegen ihrer Forschung theologisch im pastoralen Charakter und der ekklesiologisch präferierten Volk-Gottes-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils und methodologisch in einem systemtheoretischen Lösungsweg verankert, für den sie »professionssoziologische Überlegungen« (30) für ihre Denk- und Argumentationswege grundlegt.
Im ersten Kapitel des ersten Teils führt S. auf grundsätzliche Weise in die komparative Methode ein. Ausgehend von Adolf Exeler, dem ersten namhaften Vertreter der komparativen Methode, zeichnet sie in großen Bögen die Entwicklungen des Katholizismus in den USA im Vergleich zu Deutschland nach. S. legt damit die Grundlage für den eigentlichen Forschungsgegenstand: die Mitwirkung von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Laien in der Pastoral, die in den USA stärker von der im II. Vatikanum »wiederentdeckten Taufwürde und des sich daraus ergebenden gemeinsamen Priestertums« (56) geprägt ist. S. löst mit ihrer Arbeit ein, was sie sich an dieser Stelle für ihren Blick auf die USA vornimmt: Sie idealisiert die Entwicklungen in den USA nicht, sondern untersucht sie mit einer »gewissen Nüchternheit« (59). Mit Hilfe soziologischer und theologischer Rückbezüge diskutiert S. im zweiten Kapitel die Chancen aber auch die Spannungen in der Neubestimmung des Verhältnisses »Professionalisierung und Profession« – sowohl im Hinblick auf das kirchliche Amt als solches, als auch im Hinblick auf die Kontexte einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft (in Deutschland und den USA). S. gelingt damit aufzuzeigen, dass das Verständnis vom, und die Ausübung des kirchlichen Amtes in der katholischen Kirche nicht in exklusiven und ausschließenden Machtverhältnissen, son dern in den professionellen Ausformungen einer »Gestaltungsmacht« (104) gedacht werden kann, die auf Basis kommunikativer und inkludierender Partizipationsformen der Amtsführung den Sendungsauftrag aller (im Sinne ihrer »Identitätserschließung«, 104) wahr- und ernstnehmen, wie entsprechende Professionalisierungsprozesse und Kompetenzstandards herausbilden lässt.
Im zweiten Teil ihrer Studie geht S. schrittweise der Geschichte und der (aktuellen) Bedeutung der LEM (Leitungs-, Mitbestimmungs- und Mitarbeitsebene) für die katholische Kirche in den USA nach. So nimmt S. im ersten Kapitel die Leserinnen und Leser mit in die vorkonziliaren Entwicklungsprozesse der katholischen Kirche und des Laienapostolats in den USA (vor allem vor dem Hintergrund der vorherrschenden protestantischen Milieus), deren Schwerpunktsetzungen neben Bildung und Soziales im Aufbau von Pfarreien als »erstes Praxisfeld« (vgl. 146) für die LEM lagen. Beachtenswert ist, dass diese Entwicklungen nicht autonom verliefen, sondern durch die Immigrationsbewegungen immer wieder europäische Impulse erfuhren. Bedeutsam in dieser Phase sind für das Selbstverständnis der katholischen Kirche in den USA auch die P ersonen J. F. Kennedy und Papst Johannes XXIII. – beide stehen dafür, dass die Kirche sowohl gesellschaftspolitisch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, als auch universalkirchlich (z. B. als wichtige Akteurin im Diskurs um Religionsfreiheit auf dem II. Vatikanum). Das zweite Kapitel widmet sich den Professionalisierungstendenzen und -verläufen der LEM, wie sie um, während und nach dem II. Vatikanum im Kontext der Pfarreien Gestalt erhielten. Entscheidend hierfür ist die Auswertung der Studie »Notre Dame Study of Catholic Parish Life« von 1986, die das Partizipationsprinzip als leitend für diese Entwicklungen auf allen Ebenen des Einsatzes der LEM herausarbeitet. Im Anschluss daran erfahren die Leserinnen und Leser, wie es zur Etablierung entsprechender Ausbildungsstandards und Ausbildungseinrichtungen kommt. Im dritten Kapitel geht S. den Bemühungen in der katholischen Kirche der USA nach, zu einer theologischen Grundlegung der LEM zu finden, indem sie die theologischen Grundlagen und pastoralen Realitäten in einem charismenorientierten Verhältnis der verschiedenen kirchlichen Ämter zueinander (und nicht gegeneinander) zu verbinden suchen. S. wertet hierfür auch verschiedene pastoralsoziologische Studien in den USA aus, die die pastorale Situation der LEM, die Professionalisierung ihrer pastoralen Kompetenzen und ihre Motivationen nachvollziehen lassen. Im fünften Kapitel kontextualisiert S. schließlich die Professionalisierungsentwicklungen der LEM am Beispiel der Erzdiözese Chicago und der Diözese San Bernardino. Bei allen Differenzen (z. B. Mit gliederstärke und ethnische Zusammensetzung der Gläubigen, Personaldecke und finanzielle Ressourcen) stellt S. als verbindendes Moment die Einsicht heraus, in die professionelle Ausbildung der LEM zu investieren, die gemäß den ortskirchlichen Vorgegebenheiten und Finanzmitteln unterschiedlich erfolgt bzw. in Entwicklung ist. Von Bedeutung ist, dass S. vor dem Hintergrund der Migrationsrealitäten in beiden Diözesen die Notwendigkeit interkultureller bzw. mehrsprachiger Implikationen in der Aus- und Weiterbildung festhält.
In ihrer zusammenfassenden Perspektive hält S. schließlich wichtige Merkmale (Stärken) der LEM-Entwicklung in den USA fest. Diese sind (1.) die faktische Kontinuität der Mitwirkung von Laien, (2.) die Entwicklung eines Selbstverständnisses der LEM, das Beruf als Berufung verstehen lässt, so dass ein Berufungsverständnis nicht für das geweihte Amt »reserviert« werden kann, auch wenn sich die US-Bischöfe im Gesamt nicht gänzlich von einer »Ausgrenzungsrhetorik« (392) verabschieden können, und (3.) der klare Wille der Diözesen – und zwar ohne ein etabliertes Kirchensteuersystem wie in Deutschland –, die professionelle Aus- und Weiterbildung und den pastoralen Einsatz von LEM durch entsprechende Finanzmittel zu ermöglichen und dabei, wie in ärmeren Diözesen wie St. Bernardino, auch kreative Lösungen zuzulassen. S. behält auch hier ihren kritischen Blick bei, wenn sie festhält, dass es trotz der Stärken der Entwicklungen in den USA auch ungeklärte Kompetenzkonstellationen für die LEM gibt, wenn beziehungsweise indem sie »auf dem Stand sekundärer Leistungsrollen gehalten werden« (400). In Professionalisierungsprozessen der LEM, die unter Berücksichtigung des Inklusionscharakters und »funktionaler Gesichtspunkte« (vgl. 403) des kirchlichen Amtes erfolgen sollten, sieht S. die prospektiven Lösungswege verortet.
Die Studie liest sich durchweg mit Gewinn. Sie überzeugt durch die Verständlichkeit der Sprache, die Versiertheit in der komparativen Methode und die kritische Sensibilität, mit der sie zum Blick auf die USA einlädt. Zu widersprechen bleibt S. lediglich in einer Aussage, mit der sie die Studie beschließt: Klärende Fragen um ein Neuverständnis vom Weiheamt können nicht allein der Dogmatik überlassen werden. Denn gerade die Kirchengeschichte kann in diesen Fragen helfen, etwaige Dogmatismen zu überwinden.