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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1265–1266

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Enns, Fernando, u. Susan Durber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gemeinsam unterwegs. Auf dem Ökumenischen Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens – Theologische Beiträge.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 218 S. = Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, 123. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-374-06184-6.

Rezensent:

Marc Witzenbacher

Sich gemeinsam auf den Weg zu machen, ist das Ziel des 2013 vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) ausgerufenen »Pilgerwegs der Gerechtigkeit und des Friedens«. Nichts weniger als ein neues Paradigma für die ökumenische Bewegung sollte damit zum Ausdruck gebracht werden. Seit der Vollversammlung des ÖRK in Busan (Südkorea), die den Pilgerweg initiierte, haben sich viele gemeinsam in Bewegung gesetzt. Im ganz wörtlichen Sinn haben beispielsweise mehrere Kirchen sich auf sogenannten Klimapilgerwegen für einen kompromisslosen Einsatz für die Schöpfung engagiert. Andere haben in der gemeinsamen Sorge für Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, ihre Einheit neu zu buchstabieren gelernt. Was der »Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens« bedeutet und was er bewirken kann, haben Fernando Enns, mennonitischer Theologe und Professor für Friedenstheologie in Hamburg und Amsterdam, und Susan Durber, Pfarrerin der Reformierten Kirche Großbritanniens und Moderatorin der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, in Beiträgen mehrerer Theologinnen und Theologen unterschiedlicher Konfessionen in dem Buch »Gemeinsam unterwegs« versammelt. Der als Beiheft der Ökumenischen Rundschau erschienene Band ist die Übersetzung eines englischen Originals, das 2018 veröffentlicht wurde. Konzipiert wurde es von der Theologischen Studienkommission des ÖRK für den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens. 13 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Erdteilen und Konfessionen beschreiben darin nicht nur, welches theologische Konzept hinter der Metapher des Pilgerweges steht (Teil 1), sondern verdeutlichen durch eigene praktische Erfahrungen oder einen bestimmten Kontext, wie tragfähig und motivierend der »Pilgerweg« für das ökumenische Miteinander sein kann (Teil 2).
Anfänglich taten sich viele mit der Metapher schwer, insbesondere im protestantischen Kontext, wo »Pilgern« oft einen negativen Klang besitzt. Aber auch im römisch-katholischen oder orthodoxen Umfeld haben Pilgerwege zunächst eine andere Konnotation, als sie der Aufruf des ÖRK intendiert. Das verschweigen die Beiträge nicht, sondern verstehen sich im Gegenteil als Hilfe, die Metapher des Pilgerwegs noch besser nutzen und füllen zu können. Der gegenwärtige Interims-Generalsekretär des ÖRK, der rumänisch-orthodoxe Theologe Ioan Sauca, bringt dies in seinem Beitrag auf den Punkt: Mit dem Pilgerweg werde nach dem Beginn der ökumenischen Bewegung im ÖRK bei der ersten Vollversammlung 1948 in Amsterdam von dem damals wesentlichen »Zusammenbleiben« nun dazu aufgerufen, »den Weg gemeinsam fortzusetzen«. Vom Statischen zum Dynamischen, von einer status-quo-Stabilität zu einer nach vorne gerichteten Bewegung verstehe sich der Pilgerweg auch als heilsgeschichtliche Reise (vgl. 42 f.). Interessant sind die vielfältigen Bezüge der eigenen konfessionellen Tradition zum Pilgerweg, die in den Beiträgen zum Ausdruck kommt. Sauca beispielsweise sieht schon in der orthodoxen Liturgie den »Weg« und das »Unterwegssein« abgebildet. Hochtheologisch wird dies damit umschrieben, dass Gott eine dynamische und keine statische Existenz ist; ganz praktisch darin, dass alle Gläubigen während der Liturgie stehen und nicht sitzen. Doch symbolisiert der Pilgerweg nicht nur die Bewegung der Kirchen, sondern soll auch nach dem Willen Gottes konkret deren Leben und Handeln verändern. Die Pilgerschaft ist eine »Reise der Hoffnung auf wirkliche Veränderung«, wie es der römisch-katholische Theologe William Henn in seinem Beitrag verdeutlicht. Henn skizziert zudem, dass das Leitmotiv des Pilgerwegs auf vielen Aktivitäten des ÖRK aufbaut und diese bündelt und fokussiert.
Besonders praktisch und konkret wird der Pilgerweg im zweiten Teil der Beiträge. Wenn Jessie Ben Fubara-Manuel aus der presbyterianischen Kirche von Nigeria beschreibt, wie sie sich jedes Jahr mit ihrer Familie vor Weihnachten auf den Weg in das Heimatliche machte und wie dieser »Pilgerweg« ihre Einheit und die Gemeinschaft stärkte, dann wird das Leitmotiv besonders anschaulich. Ben Fubura-Manuel, die sich in der anwaltschaftlichen Arbeit des ÖRK engagiert, zeigt am Beispiel der gemeinsamen Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, dass die Pilgerwege helfen, niemanden zurückzulassen. Sie vermitteln die »Demut zu verstehen, dass wir ohne die Anderen unvollständig sind und nur durch unsere Wechselbeziehungen zu einer geheimnisvollen Einheit werden, die in Jesus Christus ermöglicht wird« (vgl. 136). Das Aufsuchen und Aushalten der Schmerzen, wie es Fernando Enns in seinem Beitrag beschreibt (vgl. 70–73), oder die Achtsamkeit für die Leiden der Menschen am Rand der Gesellschaft, wie sie der Baptist Wati Longchar aus Taiwan ausführt, sind nicht nur Ausdruck einer horizontalen Perspektive der Kirche, sondern Zeugnis des heilenden Handelns Gottes, denn er selbst wurde ein Mensch am Rand der Gesellschaft (vgl. 147).
Es ist die Stärke des Bandes, dass die unterschiedlichen Perspektiven dabei helfen, das Motiv des Pilgerweges auch für den eigenen Kontext zu entdecken. Sie machen die »transformative Spiritualität« des Pilgerns (vgl. 77) anschaulich, das Grenzen überschreitet und die Menschen an den Rändern nicht nur aufsucht, sondern sich nun mit ihnen gemeinsam weiter auf den Weg macht. So sind die Beiträge keine pure Aneinanderreihung von Erfahrungsberichten oder theologischen Konzepten, sondern zeigen wie durch ein Prisma die Vielfältigkeit auf, die sich hinter dem einen Begriff des Pilgerwegs verbirgt.
Wer sich auf die elfte Vollversammlung des ÖRK 2022 in Karlsruhe vorbereiten möchte, auf der nicht nur die Erträge des Pilgerwegs der Gerechtigkeit und des Friedens gesammelt, sondern für die Arbeit der nächsten Jahre fruchtbar gemacht werden sollen, findet in diesem Band eine gute Grundlage. Neben den durchweg anregenden Beiträgen sind darin auch die wichtigsten Texte des ÖRK zum Pilgerweg enthalten, so dass man sich einen anregenden Überblick verschaffen kann.