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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1254–1255

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kasparick, Hanna, u. Hildrun Keßler

Titel/Untertitel:

Aufbrechen und Weiterdenken. Gemeindepädagogische Impulse zu einer Theorie von Beruflichkeit und Ehrenamt in der Kirche.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 328 S. m. Abb. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-374-06059-7.

Rezensent:

Carsten Gennerich

Das Buch von Hanna Kasparick und Hildrun Keßler bietet »ge­meindepädagogische Impulse zu einer Theorie von Beruflichkeit und Ehrenamt in der Kirche«. Der Untertitel des Werks trifft es genau, was unter dem Dach des Haupttitels »Aufbrechen und Weiterdenken« geleistet wird. Ein erster Teil, den Hanna Kasparick verantwortet, berichtet in einer historischen Analyse von der Ausbildungsreform im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR zwischen 1969 und 1985. Nur scheinbar handelt es sich dabei um ein Thema der Vergangenheit, das nur die Landeskirchen in den neuen Bundesländern betrifft. Denn die vorgelegte historische Analyse ist im Professionsbewusstsein einer gesamtdeutschen Gemeindepädagogik geschrieben. Die kurzweilige und sehr gut geschriebene Darstellung der damaligen Diskussionslinien und Entscheidungsprozesse macht auf exzellente Weise deutlich, dass sich »Kirchenreformen weder ›von oben‹ dekretieren noch ›von unten‹ einfach durchsetzen lassen« (173). Die Analyse weist die Komplexität des »Zusammenspiels beider Perspektiven« auf und stiftet ein realistisches Bewusstsein für Kirchenreformprozesse im Allgemeinen, so dass erwartet werden kann, dass mit einem solchen Bewusstsein auch gegenwärtige Reformbemühungen wirkmächtiger begleitet und gestaltet werden können. Die Aktualität dieser historischen Analyse und ihre Relevanz für die ganze praktische Theologie erweist sich besonders deutlich an dem Beispiel der Diskussion zur Frage der Ordination von Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen. Das ist auch gegenwärtig eine neu formulierte Forderung im gemeindepädagogischen Diskurs (Bubmann, 2020, 49), so dass die transparent dargestellten damaligen Diskussionslinien und politischen Kräfteverhältnisse überaus instruktiv sind, auch für den aktuellen Diskurs zur Gemeinschaft der Dienste.
Im zweiten Teil stellt Hildrun Keßler eine Interviewstudie zum Verständnis der gemeindepädagogischen Beruflichkeit mit kirchlich relevanten Akteuren der Gegenwart aus drei ostdeutschen Landeskirchen dar. Unter Mitarbeit von Annett Chemnitz, Uta Loheit und Claudia Mieth werden die Interviews bezogen auf die Themen, die sich bereits in der historischen Analyse herauskristallisiert haben, ausgewertet. Dabei zeigt sich, dass sich die historischen Diskurse in neuer Form in den heutigen Ansichten von Gemeindepädagogen in der Praxis, in kirchlichen Leitungspositionen und als Lehrende in der Hochschulausbildung spiegeln. Im abschließenden Teil können daher Kasparick und Keßler die historischen und empirischen Erkenntnisse bündeln als »Impulse zu einer Theorie von Beruflichkeit und Ehrenamt«. Diese Theorie kristallisiert sich konsensfähig um die Leitbegriffe »veränderungsbereit und kontextsensibel«, »subjektorientiert und gemeinschaftsbezogen«, »sektoral und dimensional« und »Multiprofessionalität und Dienstgemeinschaft«.
Abschließend mündet daher das Buch in ein Plädoyer für eine Ordination von Gemeindepädagogen auf der Grundlage eines ordinierten Amtes, das sich in unterschiedlichen Berufsrollen ausgestalten kann. Die Sinnhaftigkeit dieser Perspektive wird begründet mit zwei gegenwärtigen Entwicklungslinien: (1.) einer erwartbaren Rollenverschiebung hin zu einem größeren Anteil in der Ge­samtverantwortung bei Pfarrerinnen und Pfarrern mit den Funktionen der Beratung und Aufsicht (vergleichbar zu leitenden Geistlichen auf der Kirchenkreisebene). Direkte Beziehungsarbeit in den Gemeinden vor Ort wird dann verstärkt von anderen Mitarbeitenden wahrgenommen werden müssen. (2.) Zunehmend werden Stellen in der Kirche kompetenzorientiert ausgeschrieben, so dass über die neuen Funktionsstellen multiprofessionelle Teams entsteh en. Stellen, die vormals Pfarrerinnen und Pfarrern vorbehalten waren, werden daher zunehmend mit anderen Berufsgruppen besetzt (Gemeindepädagogen, Diakone, Juristen, Kirchenmusiker, Gerontologen, Manager). Vor diesem Hintergrund sei daher eine Mitarbeitendentheologie erforderlich, die »von der gemeinsamen Aufgabe her den Gedanken der Dienstgemeinschaft begründet« (286). Kasparick und Keßler legen daher nahe, dass das 40-jährige Jubiläum der gemeindepädagogischen Ausbildung in Potsdam und Berlin den Startschuss gibt zu einem neuen, intensiven Prozess der Ausbildungs- und Kirchenreform. Das in sich stimmige und fundierte Buch kann dafür ganz bestimmt hilfreiche und weiterführende Impulse liefern, so dass ihm viele Leserinnen und Leser zu wünschen sind.