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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1241–1243

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hilpert, Konrad

Titel/Untertitel:

Ethik der Menschenrechte. Zwischen Rhetorik und Verwirklichung.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2018. 347 S. m. 3 Abb. u. 10 Tab. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-78214-4.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Gleich im Vorwort weist der emeritierte Münchener Moraltheologe Konrad Hilpert darauf hin, dass er schon vor knapp 30 Jahren eine Monographie mit dem Titel »Die Menschenrechte. Geschichte Theologie Aktualität« (Düsseldorf 1991) publiziert hat. Im Vergleich mit dem ersten Werk haben sich in dem zu rezensierenden Buch, wie schon der Titel anzeigt, die Akzente in Richtung Ethik verschoben. Das bedingt eine völlig neue Gliederung, wenn sich auch einzelne Bausteine des älteren Werks noch wiedererkennen lassen. H. beschreibt eine ethisch bzw. ethisch-theologische (18) Perspektive auf die Menschenrechte als seine Hauptintention, in die dann juristische und historische Aspekte mit einfließen sollen. Das Werk hat den Charakter einer Gesamtdarstellung oder eines Lehrbuches. Dabei, so betont es H., ist der Gegenstand, d. h. die Menschenrechte, so beschaffen, dass er nur gehaltvoll bleibe, wenn er sparsam verwendet werde, eher im Grundsätzlichen als im politischen Alltagsstreit.
Menschenrechte beruhen für H. auf exemplarischen Unrechtserfahrungen, Erfahrungen der Gewalt oder von Übergriffen, die Menschen von anderen Menschen zugefügt werden (19 f.). Sie können in Freiheitsrechte, politische Rechte, soziale und ökonomische Rechte unterteilt werden (21). Weitere Reflexionen gelten Rechten der dritten Generation. Skeptisch bleibt H. gegenüber Tier- und Naturrechten (36–38).
In der Kontroverse, ob Menschenrechte eher als Rechte im eigentlichen Sinn oder als moralische Postulate zu verstehen seien, schlägt sich H. ganz eindeutig auf die Seite der Ethik. Menschenrechte versteht er als »sittliche Ideale«, denen in Recht und Politik Geltung verschafft werden muss (41). Diese These ist eingebettet in weitere Überlegungen zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit.
Religionen bringen sich deshalb in den Menschenrechtsdiskurs ein, weil sie »weltweit gesehen […] den wichtigsten Lebenszusammenhang bieten, in dem Ethos eingefordert, artikuliert, tradiert und / weiterentwickelt wird« (61 f.). Im Folgenden zeigt H., wie sich Menschenrechte in den Kirchen historisch durchsetzten, und dabei betont er besonders die kolonialethische Diskussion im Spanien des 16. und 17. Jh.s (68 ff.). Sehr kurz beleuchtet er die Geschichte des Begriffs der Menschenwürde (83 ff.). Zwar wird der ökumenische Beitrag der Kirchen zur Implementierung von Menschenrechten betont, aber in der Regel ist nur die katholische Konfession ge­meint, wenn von der Kirche im Singular die Rede ist (93 ff.). H. listet Gemeinsamkeiten zwischen Menschenrechten und christlichem Glauben auf: das Nein zu allem Unrecht, die Hinwendung zu Armen und Schwachen, die Bändigung menschlicher Gewaltneigung und die universale Hoffnung auf eine bessere Welt (96–98).
Was die Binnenverhältnisse der Kirchen angeht, so beschäftigt sich H. mit den Menschenrechtsdefiziten der katholischen Kirche (106 ff.): Er nennt den autoritären Umgang mit abweichenden Meinungen (Küng, Boff, Drewermann u. a.), er kritisiert die Zurücksetzung von Frauen in der Hierarchie, und er prangert Machtmissbrauch an: »Fragwürdig ist wohl aber das Geflecht aus anonymer Denunziation, aus intransparenter (geheimer) Bearbeitung durch Behörden, ohne dass die Betroffenen eingeweiht sind, und aus Androhung von Sanktionen, die nicht nur den Wirkungskreis einschränken, sondern oft genug die berufliche Existenz einschränken oder zerstören.« (106) Man fragt sich, ob in diesem Zusammenhang nicht auch die Skandale sexuellen Missbrauchs als Verletzung von Kinderrechten hätten erwähnt werden müssen.
Die Kapitel 8–14 bieten einen Durchgang durch die einzelnen Menschenrechte (109 ff.), wobei die Religionsfreiheit als zentrales und konstitutives Menschenrecht am Anfang steht. Auch hier wird nur die katholische Seite der Auseinandersetzung mit Religionsfreiheit gezeigt. Bei der Frage nach dem Lebensrecht folgt eine Auseinandersetzung mit ethischen Fragen an den Grenzen des Lebens (Geburt, Sterben, Tod). Und H. weist auf die Notwendigkeit der Ethik zur Beantwortung solcher Fragen hin. Er hebt hervor, dass eine Gesamtbeurteilung des jeweiligen ethischen Problems nur aus einer Abwägung der naturwissenschaftlichen Fakten und ihrer Deutung gewonnen werden kann (152). Weitere Abschnitte gelten der Todesstrafe (155 ff.), dem Diskriminierungsverbot (199 ff.), den Flüchtlings- und Asylrechten (206 ff.).
Ab Kapitel 15 beschäftigt sich H. mit Fragen der Menschenrechtsdurchsetzung. Er fragt nach ihrer Universalisierung, nach NGOs als zivilgesellschaftlichen Gruppen, die Menschenrechte durchsetzen wollen. Er beschäftigt sich mit der Frage nach militärischer Intervention um der Menschenrechte willen und mit dem Schutz neu implementierter Menschenrechte.
In Ausnahmefällen hält H. militärische Interventionen um der Menschenrechte willen für geboten; er nennt als Kriterien: a) schwerste Menschenrechtsverletzungen; b) das Motiv, fortgesetztes weitergehendes Töten zu vermeiden; c) die Unterscheidung von militärischen und zivilen Beteiligten; d) die Forderung nach Achtung der Menschenrechte der Vertreter der »Gegenseite« (262 ff.).
Vergleichsweise kurz setzt sich H. schließlich mit Hans Joas’ These von der Sakralität des Menschen auseinander (280 f.)
An die Darstellung schließt sich ein Anhang mit wichtigen Menschenrechtsdokumenten, teilweise in Auszügen, an.
H. ist ein konzises, auf die wesentlichen Punkte der Debatte zugespitztes Menschenrechtskompendium gelungen, das souverän in die Thematik einführt. Drei Fragen will ich dazu stellen. Die Menschenwürde erscheint zwar zweimal, einmal bei der Geschichte der Menschenrechte, das andere Mal bei der Behandlung der Thesen von Hans Joas. Trotzdem wäre zu fragen, ob, gerade bei dem spezifisch ethischen Ansatz H.s, nicht ein eigenes, ganzes Kapitel über die Menschenwürde bzw. offener über die anthropologischen Grundlagen der Menschenrechte angemessen gewesen wäre. Zum Zweiten erhebt sich die Frage, ob gerade angesichts der gegenwärtigen Diskussion um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaften und den Klimawandel die Rechte zukünftiger Generationen nicht noch einen genaueren Blick verdient hätten. Im Werk von 1991 hatte H. noch ausführlicher darüber nachgedacht, währ end er sich im neuen Werk auf sehr kurze Andeutungen (271 f.) beschränkt. Zum Dritten stellt sich die Frage, ob H. seine Leser nicht schon am Anfang über seine Position, seine katholische Kontextualisierung hätte aufklären sollen. Er betrachtet die Menschenrechte aus der Perspektive katholischer Ethik. Dass es andere Positionen gibt, theologische wie nicht-theologische, hätte in der Darstellung von Positionen, aber auch in Gestalt von Fußnoten und Literaturhinweisen mehr Aufmerksamkeit verdient. Das Ar­gument, aus Gründen der Übersichtlichkeit auf einen großen An­merkungsapparat zu verzichten, leuchtet ein. Aber trotzdem wäre der Hinweis auf einschlägige Bibliographien hilfreich gewesen.
Mit der wenigstens andeutenden Darstellung der Vielfalt von Positionen in der Menschenrechtsethik wäre deutlicher geworden, dass es sich bei den Reflexionen H.s nicht um die eine Menschenrechtsreflexion handelt, sondern um eine unter vielen. Und es wäre dann noch das Problem zu verhandeln gewesen, wie sich die unterschiedlichen Deutungen und Perspektiven zueinander verhalten, wie sie möglicherweise integriert werden können.