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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1227–1229

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kohnle, Armin, u. Manfred Rudersdorf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Briefe und Ak­ten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Jo­hanns des Beständigen 1513 bis 1532. Bd. 1: 1513–1517. Bearb. v. S. Michel, B. Kusche u. U. Ludwig unter Mitarbeit v. V. Arslanov, A. Bartmuß u. K. Enge.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 568 S. m. 2 Ktn. Lw. EUR 84,00. ISBN 978-3-374-04960-8.

Rezensent:

Christopher Spehr

Es gibt Editionsprojekte, welche seit mehr als 100 Jahren ein Desiderat sind. Für die Reformationsforschung gilt dies in besonderer Weise für die Korrespondenzen der Kurfürsten von Sachsen hinsichtlich ihres kirchenpolitischen und frömmigkeitspraktischen Engagements. Bisher waren zwar einzelne kurfürstliche Urkunden, Briefe und Akten publiziert worden, aber eine explizite Edition zur Kirchenpolitik von Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen, die als einflussreiche Fürsten und Landesherren von zentraler Bedeutung für die Realisierung der Reformation waren, lag nicht vor. Es ist das Verdienst des Leipziger Kirchenhistorikers Armin Kohnle und des Leipziger Frühneuzeithistorikers Manfred Rudersdorf, dass sie sich dieser Aufgabe angenommen haben und mit der auf vier Bände angelegten Edition »Die Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen für die Zeit von 1513 bis 1532« nun Abhilfe schaffen. Seit 2014 ist das Editionsprojekt im Rahmen des Akademienprogramms an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig angesiedelt und macht dank eines wissenschaftlich exzellent ausgewiesenen Projektteams erfreuliche Fortschritte. Ziel ist es, bis 2028 die Quellentexte im Druck vorzulegen und anschließend alle Dokumente online verfügbar zu machen.
Im Jahr 2017 konnte der erste Band vorgelegt werden, den Stefan Michel, Beate Kusche und Ulrike Ludwig bearbeiteten. Er konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen 1513 und 1517 und dokumentiert in 658 Schriftstücken die vielfältigen kirchenpolitischen Einflussnahmen der beiden Brüder Friedrich und Johann von Sachsen. Nach dem Vorwort der Herausgeber führt Stefan Michel in der »Einleitung« (11–31) umsichtig in die Thematik ein, begründet den Beginn der Edition mit den Zäsuren im Jahr 1513 (vor allem die ernestinische Mutschierung, d. h. Aufteilung der Verwaltungsaufgaben und territorialer Zuständigkeitsbereiche zwischen Friedrich und Johann bei Beibehaltung des Gesamtterritoriums) und skizziert die kursächsische »Kirchenpolitik am Vorabend der Reformation«. Zudem wird über die Quellenbasis informiert, welche Textsorten wie Brie fe, Urkunden, Protokolle, Berichte, Instruktionen, Beschlüsse, Schiedssprüche und Weisungen umfassen, und über deren Überlieferung informiert. Wie bei modernen kritischen Editionen üblich, wird zwischen Ausfertigungen, Konzepten, Reinschriften und Abschriften unterschieden. Ergänzt werden die einleitenden Ausführungen durch zwei Karten, die einerseits das Wettinische Herrschaftsgebiet nach 1513 (14 f.), andererseits die Bistumseinteilungen im dortigen Raum um 1500 (26 f.) abbilden. Einer soliden Edition entsprechend werden sodann die »Editionsrichtlinien« (33–36) geboten. Als wichtigstes Auswahlkriterium einer Quelle gilt hier, »dass daraus das [ergänze: kirchenpolitische] Handeln Friedrichs und Johanns von Sachsen deutlich wird« (33). Im Mittelpunkt stehen die Regesten, welche durch die Edition deutscher oder lateinischer Texte bzw. Textauszüge mitsamt textkritischem Apparat und Sachkommentar ergänzt werden. Ob zu einem regestrierten Schriftstück eine Volledition, Teiledition oder keine Edition erfolgt, richtet sich nach der Relevanz, welche die Herausgeber dem jeweiligen Dokument beimessen. Grundlage ist dessen letzte Entstehungsstufe.
Der umfangreiche Quellenteil (49–539) stellt sodann den Kern des Bandes dar und lädt zum Stöbern und Forschen ein. Abweichend von der Zäsur 1513 werden in den ersten drei Dokumenten das Testament Kurfürst Friedrichs vom 19. März 1493 (Nr. 1), die Hofratsordnung von Kurfürst Friedrich und Herzog Johann vom 2. März 1499 (Nr. 2) und die Bewilligung von Papst Julius II. an Kurfürst Friedrich zwecks Sammlung von Reliquien vom 28. November 1505 (Nr. 3) geboten. Für die kursächsische Frömmigkeit, Verwaltung und Kirchenpolitik bilden diese Schriftstücke zentrale Referenzdokumente. Die Präsentation von Friedrichs Testament aus dem Jahr 1493 und vom 4. Oktober 1517 (Nr. 629) sowie Herzog Johanns Testament vom 11. Dezember 1516 (Nr. 452) eröffnen vergleichende Einblicke in die persönliche Frömmigkeit und Memoriagestaltung der Fürsten.
Wie eng sich die beiden Brüder abstimmten, belegen 21 Briefe Friedrichs an Johann und 29 Briefe Johanns an Friedrich, die in diesem Band neben zahlreichen anderen Korrespondenzen geboten werden. Inhaltlich lassen sich mehrere Themenschwerpunkte im Band ausmachen, von denen jeder eine ausführliche Besprechung wert wäre: Zum einen kreisen die Korrespondenzen um das Wittenberger Allerheiligenstift, dem im Zuge des Ausbaus Wittenbergs zur Residenz- und Universitätsstadt für das Kurfürstentum eine gewichtige religiöse Rolle zuteil wurde. Zum anderen handeln verschiedene Schreiben über die geistliche Gerichtsbarkeit, welche die weltlichen Fürsten für ihr Territorium zu beschneiden suchten. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Korrespondenzen mit den mitteldeutschen Bischöfen und Domkapiteln sowie die damit verbundenen Streitigkeiten und Besetzungsfragen. Aufschlussreich sind sodann – ausgehend vom päpstlichen Privileg 1505 – die Schreiben zur Wittenberger Heiltumssammlung, welche die ge­zielte Erwerbungspolitik von Reliquien durch den Kurfürsten belegen. Schließlich nehmen die Korrespondenzen mit und über Klöster großen Raum ein. Aus ihnen wird die reformerische Klosterpolitik der Ernestiner zugunsten der observanten Richtungen der Orden deutlich.
Insgesamt gesehen bewegen sich die in diesem Band dokumentierten Themen allesamt im Horizont der spätmittelalterlichen Frömmigkeit und vorreformatorischen Kirchenpolitik. Vom Wirken Martin Luthers findet sich hier noch keine Spur. Untermauert wird die Beobachtung durch das Register, welches am Ende der Publikation als – eher unüblich – gemeinsames Orts- und Personenregister geboten wird (541–566). Anders als Johann von Staupitz oder Andreas Bodenstein von Karlstadt wird der Name »Luder« oder »Luther« (noch) nicht erwähnt. Mit Spannung darf daher der Herausgabe von Band 2 der Edition entgegengesehen werden.
Erfreulicherweise lassen sich die dokumentierten Schriftstücke sowie zahlreiche weitere Quellen mittlerweile auf der benutzerfreundlich gestalteten Projekthomepage http://bakfj.saw-leipzig. de einsehen. Alle in Band 1 dokumentierten Korrespondenzen sind seit Frühjahr 2020 vollständig und kostenfrei als Open Access-Edition online verfügbar. Beide Publikationen – sowohl die hier als Buch angezeigte traditionell »analoge« als auch die digitale – bilden einen erheblichen Mehrwert für die Frühneuzeit- und Reformationsforschung.