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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1211–1213

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klein, Hans

Titel/Untertitel:

Der Brief des Apostels Paulus an die Römer. Übers. u. erklärt v. H. Klein.

Verlag:

Sibiu/Hermannstadt: Honterus Verlag 2019. 346 S. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-606-008-023-7.

Rezensent:

Walter Klaiber

Hans Klein, Jahrgang 1940, international bekannter Neutestamentler in Hermannstadt/Sibiu, galt lange Zeit vor allem als Spezialist für das Lukasevangelium, dem er einen großen Kommentar gewidmet hat (KEK 1,3, Göttingen 2006; Rez. Ch. Böttrich, ThLZ 132 [2007], 429–431). In den letzten Jahren hat er aber auch vermehrt zu Paulus publiziert und nun einen Kommentar zum Römerbrief vorgelegt, der ein ganz besonderes Profil hat. Er zeichnet sich durch eine klare, im besten Sinne einfache und verständliche Sprache aus. Die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Auslegung wird nicht explizit geführt, Anmerkungen fehlen deshalb. Aber in der Sache werden alle wichtigen Fragen besprochen, insbesondere textkritische Probleme eingehend referiert und spätere Varian-ten als Teil der Auslegungsgeschichte interpretiert. Eine knappe Bibliographie weist auf wichtige Kommentare und wissenschaftlichen Publikationen hin (von den großen Kommentaren fehlt allerdings R. Jewett, Romans, Hermeneia 2007).
Die Auslegung ist klar gegliedert: Auf eine knappe Einleitung in den Brief folgt zu jeder Perikope eine sorgfältige Übersetzung, eine knappe Analyse des Abschnitts und darauf die Einzelauslegung Vers für Vers. Zusammenfassende Bemerkungen zu den Perikopen fehlen. Auffallend ist die große Zahl an Exkursen, die in die Auslegung eingefügt sind. Sie erläutern häufig Traditionsgeschichte und Bedeutung von Begriffen, aber bieten auch Querschnitte zu bestimmten wichtigen Themen der paulinischen Theologie. Meist sind die Ausführungen auf den biblischen Befund begrenzt, aber gelegentlich gibt es auch Ausblicke in die Auslegungsgeschichte – besonders zu Augustin und zu Luther – oder auf heutige Problemstellungen, so in dem Exkurs: »Die Umweltverantwortung der Christen« (217).
K. rechnet mit einer Reihe von Glossen bzw. späteren Hinzu-fügungen im Text: 2,16; 7,25b und 10,17 sind erläuternde Zusätze bzw. Randglossen, die später – teilweise an unpassender Stelle – in den Text aufgenommen wurden, 16,17–20 ist ein späterer Zusatz und 16,25–27, dessen Stellung auch in der Textüberlieferung schwankt, eine Doxologie, die vielleicht erst in der ersten Sammlung der Paulusbriefe hinzugefügt wurde. Kapitel 16 als solches war aber ein ursprünglicher Bestandteil des Briefes nach Rom.
In der Disposition des Briefs folgt K. der klassischen Einteilung: Briefeingang (1,1–17), Darlegung (1,18–15,13), Schlussteil (15,14–16,27). Die Darlegung teilt er in vier Abschnitte auf: Erster Teil: Die Offenbarung des Zornes Gottes und seiner Gerechtigkeit durch das Evangelium (1,18–4,25); Zweiter Teil: Gerechtigkeit aus Glauben und Leben im Geist (5,1–8,39); Dritter Teil: Gottes Gerechtigkeit und Gottes Volk (9–11); Vierter Teil: Die Auswirkungen der Gottes Gerechtigkeit auf das Leben im Glauben (12,1–15,13). Schon die Formulierung der Hauptteile zeigt also ein Doppeltes: Einerseits findet K. die Grundzüge der klassischen lutherischen Rechtfertigungslehre durch seine Auslegung der Rechtfertigungsbotschaft des Paulus bestätigt. So sind für ihn »Werke des Gesetzes« Werke, die getan werden, um vor Gott als gerecht zu gelten, und er sieht diese Auffassung auch durch die einschlägigen Texte aus Qumran bestätigt (90). Andererseits aber beschränkt er sich nicht auf die Frage nach der Rechtfertigung des Einzelnen, sondern sieht in der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes eine Kraft Gottes am Werk, die alle Lebensbereiche bestimmen will.
K. geht relativ häufig davon aus, dass Paulus traditionelle Formulierungen aufnimmt und verändert (eine unvollständige Zu­sammenstellung steht auf S. 24: 1,3 f.; 3,25; 4,25; 6,3 f.8; 8,10.32, aber auch 10,9 u. a. m.). Er findet auch oft im Text Hinweise auf die Taufe, wo Paulus nicht explizit von ihr spricht. Hier dürfte sich die lutherische Prägung der Auslegung zeigen, die auch sonst zu spüren ist. Aber bei aller Hochschätzung der Auslegung Luthers kann er auch von ihr abweichen, so in der Interpretation des Ichs in Röm 7: Hier spricht nicht der angefochtene Christ; »es ist der unerlöste Mensch vor seiner Begegnung mit dem Evangelium, wie er sich nach dem erlösenden Ereignis sieht« (184). Aber das geschieht nicht, ohne dann doch auf das relative Recht der Auslegung Augustins und Luthers zu verweisen, die hier den Zwiespalt geschildert sahen, in dem sich gerade der Christ vorfindet (192–194).
Zur Charakteristik der Einzelauslegung müssen hier einige we­nige Beispiele genügen:
In einem sehr frühen Exkurs zum Thema Glauben kennzeichnet K. Glauben als »re-aktives Geschehen« (35). Die Frage, ob pistis Iesou in 3,26 Gen. subj. oder obj. ist, umgeht K. und spricht schlicht vom »Jesusglauben«: »es ist Glaube im Sinne der Annahme des Evangeliums, das Jesu Opfertod als Sühnetod versteht« (97). Ob unter Gesetz immer die Tora oder gelegentlich auch die »Norm« oder »Regel« zu verstehen ist, wird an mehreren Stellen diskutiert. In 3,27 ist zwei Mal die Tora gemeint (99), in 7,21.23 dagegen »Regel« und in 8,2 werden beide Möglichkeiten durchgespielt, mit einer Präferenz für »Regel« (196 f.).
Eigenartigerweise wird die Problematik von 5,18 f. (»Gerechtigkeit für alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens«) durch die Auslegung »Christus brachte für jeden Menschen die Mög-lichkeit der Gerecht-Machung durch Gott« entschärft (143). Das mag zwar der nötige systematische Ausgleich mit den Aussagen zur Rechtfertigung aufgrund des Glaubens sein; aber der Text spricht zunächst einmal von einer Wirklichkeit der Gerechtigkeit für alle!
Hochinteressant ist auch die weiterführende Diskussion des Taufkapitels Röm 6. K. spricht sich dafür aus, in einer Fortschreibung der paulinischen Argumentation, dass Taufe dazu befreit, »in einem neuen Leben zu wandeln«, »Taufe nicht mehr von der Sündenvergebung abzuleiten«, sondern als »Erwählung zum ewigen Leben« zu verstehen (157), wodurch auch die Taufe von Säuglingen sinnvoll wird.
Erfreulich ist, dass K. in 9,13 aufgrund des alttestamentlichen Sprachgebrauchs »hassen« als »zurückstellen« interpretiert (239). In 11,25 versteht er »Vollzahl der Völker« als die von Gott bestimmte Fülle und nicht als »alle Heiden« und sieht auch in 11,32 keinen Hinweis auf eine apokatastasis panton (275).
Kapitel 13,1–7 wird zunächst auf dem Hintergrund der damaligen Situation ausgelegt, dann aber festgestellt, die grundsätzliche Mahnung sei auch heute »ernst zu nehmen«. Doch »ist der Staat dort zu hinterfragen, wo er dem Guten nicht hilft und das Böse zulässt«. Dennoch kann »Widerstand gegen den Staat […] immer nur die ultima ratio sein« (300 f.).
Gelegentlich äußert sich K. auch kritisch zu paulinischen Aussagen, etwa zur Verurteilung der Homosexualität in 1,26 f. (56) oder (sehr vorsichtig) zur pauschalen Kritik an »dem Juden« in 2,17–24 (73).
Im Blick auf die Auslegung als Ganze ist vor allem das Geschick hervorzuheben, mit dem K. auch schwierige paulinische Gedankengänge erklärt (z. B. 3,1–8; 8,2–4 oder 9,30–10,13). Das dürfte für viele heutige Leserinnen und Leser hilfreich sein. Vielleicht hätte das besondere Profil des Briefes als missionarisches Manifest noch etwas stärker herausgearbeitet werden können, z. B. in der Auslegung von 1,8–17 oder 15,7–13. Aber insgesamt handelt es sich um einen ausgezeichneten Kommentar, der vor allem für die hilfreich sein wird, die den Römerbrief in der Praxis von Verkündigung und Bibelgespräch auszulegen haben.