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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1179–1181

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kellner, Birgit [Ed.]

Titel/Untertitel:

Buddhism and the Dynamics of Transculturality. New Approaches.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2019. VI, 264 S. m. 42 Abb. = Religion and Society, 64. Geb. EUR 86,95. ISBN 978-3-11-041153-9.

Rezensent:

Michael von Brück

Dies ist ein Konferenzband, von dem man keine systematisch oder historeographisch stringente Struktur erwarten kann. Eher werden kaleidoskopartig interkulturelle Kontaktphänomene – teils kleinteilig, teils durchaus überblicksartig – in den Blick genommen. Eine gewisse Zufälligkeit der Fallbeispiele ist dabei unvermeidlich, allerdings präsentieren sie allesamt neue und gut belegte Forschungsergebnisse, die hier gebündelt und leicht zugänglich werden, und das durchaus mit methodologischer Absicht: Kulturen sind keine abgeschlossenen Gebilde, sondern selbst historisch sich verändernde Konstrukte, in sich höchst vielgestaltig und durchaus widersprüchlich, aber doch in einer Weise beobachtbar, dass Translationsprozesse transkulturell entstehen – Verallgemeinerung und Reduktion können das ergeben, was in anderem Zusammenhang ein historisch-hermeneutischer Zugang zum phänomenologischen Modus genannt worden ist. Das Material, das aus der Ausbreitungsgeschichte des Buddhismus in temporal und geographisch verschiedenen Kontexten stammt, lässt durchaus allgemeinere Musterbildungen zu, vor allem bei der Beschreibung des Verhältnisses von normativen Konstrukten (religiöse Sprache, ikonographische Vorgaben, rituelle Performanzen usw.) und sozialen Realitäten, die theoretisch kaum Kompatibles in religionskultureller Praxis (scheinbar) problemlos verknüpfen können. Dies ist zwar keineswegs Neuland, aber die sorgfältig dargestellten Beispiele sind eindrucksvoll, vor allem was die Gandhara-Kultur in Nordwest-Indien ( Anna Filigenzi) und Handelsrouten bis zum Süden der arabischen Halbinsel (Jemen) betrifft (Ingo Strauch).
In diesem Sinne führt der Band kultursystematisch geführte Debatten in neuer Weise weiter, zumal eine kaum auf einen »Nenner« zu bringende Vielfalt von »Phänomenen« verhandelt wird: Gandhara-Kunst, buddhistischen Steininschriften in Shandon, Astralkulte im mittelalterlichen Japan, die Rhetorik des Autoritätsnachweises in tibetischen Debatten durch Rückbezug auf Indien usw. Dabei kommen nicht nur Texte in den Blick, sondern Ritualstrukturen, materielle Kulturprodukte, Kunstwerke, Kommunikationsstrukturen überhaupt. Resultat: Kulturen sind und waren schon immer keine stabilen Entitäten, die sich kopienartig reproduzieren würden, sondern höchst komplexe Prozesse; dieselben generieren, lokal und sozial stratifiziert, höchst unterschiedliche Identifikationsmuster, die historisch labil sind; die Akteure solcher Prozesse verfolgen jeweilige Interessen und differente Strategien, woraus sich dennoch eine wechselseitige Bezüglichkeit ergibt, die nicht beliebig bleibt. So etwa könnte man den methodologischen »Gewinn« zusammenfassen, wie es die Herausgeberin tut. (4) Zwar weiß man dies heute ohnehin: »Kultur« lässt sich nicht essentialisieren, aber die Beiträge zeigen eine faszinierende Vielfalt von Belegen, und es wird auch deutlich, dass wir gar nicht anders können, als in komparativen Mustern zu verstehen, dass also eine aufgeklärte Methodologie genau darin besteht, diese Übertragungsmechanismen zu erkennen, zu benennen und in jeweils neuen Kontexten zu relativieren, ohne etwa naiv zu behaupten, »mag können dies (was auch immer) gar nicht miteinander vergleichen«, wobei der aufmerksame Hörer oder Leser dann natürlich feststellt, dass genau dieser Satz bereits einen Vergleich impliziert. Schließlich hat doch Erkenntnis nicht nur wissenschaftstheoretische, sondern auch soziale und politische Folgen.
Auch eine alte und zum Standard von Buddhismus-Studien ge­hörende Debatte wird erneut und differenziert aufgegriffen: die Übersetzung indischer buddhistischer Fachbegriffe ins Chinesische. Dabei kommen die drei prinzipiell möglichen Methoden zur Sprache: Semantische Angleichung (domestication), Sprachliche Verfremdung (foreignizing) und die Parallelisierung durch semantisch und konzeptuell zunächst ganz divergente, aber strukturell als ähnlich empfundene Konzepte in der Zielsprache (matching concepts). Letztere Methode galt lange als Standard-Strategie der frühen Übersetzungen, wo daoistische und konfuzianische Konzepte gesucht wurden, um die fremde buddhistische Kulturwelt zu sinisieren. Dass Letzteres keineswegs so stark verbreitet war wie angenommen, versucht der entsprechende Beitrag (Toru Funayama) zu beweisen.
Ein weiteres Thema (behandelt von Fabio Rambelli) dürfte über den Bereich der Buddhismus-Studien hinaus von Interesse sein: die Umformung und Erneuerung des Buddhismus in Japan durch den Kontakt mit historischen Quellen und Informationen aus Südasien, die durch europäische Einflüsse (christliche Missionare, be­ginnende Buddhologie usw.) seit dem 18. Jh. vermittelt wurden, wie also Selbstbild und Fremdbild in Wechselwirkungen Identitäten erzeugen, die im Wandel sind. Auch dies ist ein transkulturel les Phänomen, das im Übrigen keineswegs auf Religionen be­schränkt ist, die Schriftlichkeit entwickelt haben.
Weiterhin dürften von einigem Interesse die Studien zum Verhältnis des Tibetischen Buddhismus gegenüber dem indischen Buddhismus sein, wobei hier die in der Tibetologie immer noch häufig vorgenommene (aus tibetischer Selbstdarstellung stammende) Gleichsetzung beider kritisch in den Blick genommen wird. Die wesentliche These lautet: Tibet habe den (in Indien verschwundenen) Mahayana-Buddhismus so getreu kopiert, dass man (bisher) von einem indo-tibetischen Traditionsstrom gesprochen hat, was jedoch so undifferenziert nicht gerechtfertigt ist, ohne dass die große Bedeutung der indischen Quellen als Legitimationsinstanz für die kontroversen Diskurse in Tibet in Zweifel zu ziehen sei (Markus Viehbeck).
Schließlich wird die religionswissenschaftlich zentrale Frage nach der Eigenständigkeit des Phänomens »Religion« gegenüber anderen kulturellen Elementen empirisch an ganz unterschiedlichen buddhistisch geprägten Kulturen untersucht. Dabei argumentiert der Autor (Jonathan Samuels), dass die in vielen Spielarten des Buddhismus verbreitete Kategorienbildung der Differenz von laukika/lokottara (»weltlich« und »überweltlich«) nicht als metakategoriale Unterscheidung (des »Samsarischen« gegenüber dem »Nirvanischen« als strukturelle Grundunterscheidung im Bud­dhismus) im Sinne einer von Kultur abgehobenen Domäne »Religion« verstanden werden könne, sondern als Taxonomie innerhalb der Beschreibung von Religionsphänomenen (hohe Götter, niedere Götter, Geister usw.), um kultisch wirksame Hierarchisierungen vor allem im Tibetischen Buddhismus zu beschreiben, die Schemata der Integrationsdichte vor allem anhand der lokalen und translokalen Performanz von Ritualisierungen widerspiegeln. Das allerdings stellt eine emische Kategorisierung dar, die in der tibetischen Tradition selbst schon explizit gemacht worden ist.
Der Band präsentiert auf hohem Niveau einige zentrale Aspekte der gegenwärtigen Buddhismusforschung und diskutiert religionswissenschaftlich fundamentale Themen der Identifikation und Translation von Phänomenen, die unter europäischen Systematisierungsbestrebungen als »Religion« klassifiziert wurden, an Fallbeispielen, die auch für den Nicht-Spezialisten von hohem In­teresse sind.