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Ausgabe:

Dezember/2020

Spalte:

1178–1179

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Danz, Christian

Titel/Untertitel:

Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum. Eine christologische und religionstheologische Skizze.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. IX, 289 S. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-16-159247-8.

Rezensent:

Martin Hailer

Im Kontext umfangreicher Arbeiten zur Christologie und ihrer jüngeren Theologiegeschichte (u. a. Grundprobleme der Christologie, 2013; Transformationen der Christologie, 2019 [Hrsg.]) und flankiert von einem von ihm mit herausgegebenen Sammelband (Christologie zwischen Judentum und Christentum, 2020) legt Christian Danz eine dichte systematisch-theologische Skizze vor: Welche Folgerungen sind aus Jesu Judesein für die Christologie zu ziehen und was bedeutet das für das Verhältnis von Juden- und Christentum und für eine Theologie der Religionen überhaupt?
Den Anfang machen Referat und Kritik von israeltheologischen Positionen: Auf der einen Seite sieht der Vf. Ansätze, die Christus als dasjenige Ereignis verstehen, das die Heidenvölker in den nach wie vor bestehenden Bund Gottes mit Israel hereinholen, wofür er besonders Friedrich-Wilhelm Marquardt und Berthold Klappert heranzieht. Ihr Problem ist eine depotenzierte Christologie und die Annahme einer übergreifenden Bundesgeschichte, die aber contra intentionem als Vereinnahmung des Judentums gelesen werden muss, weil es ja der christliche Theologe ist, der das Bundesgeschehen versteht und beurteilt. Ihnen gegenüber stehen christlich-inklusivistische Positionen, die an der Einlösung der Bundesverheißung in Christus allein festhalten und die jüdische Seite auf diese Weise vereinnahmend herabsetzen (genannt werden K.-H. Menke u. a.). Davon nicht wirklich geschieden sieht der Vf. die pluralistische Option (P. Schmidt-Leukel): Sie setzt das strikt uner kennbare Absolute, demgegenüber alle Heilswege relativ und gleich-geltend sind. Das aber überwindet den Inklusivismus nicht, sondern universalisiert ihn. Auch ist der Pluralismus erkenntnistheoretisch unerschwinglich, weil er die Absolutheit aller Religionen ablehnt, aber selbst diese Perspektive einnehmen muss. (64)
Alle diese – in sich höchst divergenten – Positionen partizipieren nach dem Urteil des Vf.s an zwei falschen Grundannahmen: Sie denken so oder so inklusivistisch und sie betreiben eine »realis-tische Grundlegung der Christologie« (55), denken also ein u. a. his-torisch fassbares Christusereignis, das dem Glauben vorausliegt. Demgegenüber ist dreierlei zu leisten (86–89): Das Judentum ist als eigenständige Religion anzuerkennen und die christliche Religion deshalb strikt aus christlicher Perspektive allein darzustellen; auf die »Konstruktion von beide Religionen übergreifenden Konzeptionen wie Gott, Religion, Bund, Tora etc.« ist zu verzichten (87); unter modernen Bedingungen ist eine Christologie zu entwerfen, die sie als »reflexive Beschreibung des Glaubensaktes« versteht (89).
Vor allem der letzte Aspekt wird mithilfe eines konzentrierten Durchgangs durch Stationen der evangelischen Christologie ab ca. 1800 ausgearbeitet. Der wichtigste Schritt ist hier, dass ein allgemeiner Religionsbegriff, dessen Vollendung im Christentum ge­dacht wird, abgelöst wird »durch eine christologische Beschreibung des Glaubens als Wesen der christlichen Religion« (109). Wie ist das zu denken? Christliche Religion und Gottesbegriff sind identisch: »Gott ist ein Bild der Religion von sich selbst als Religion.« (169 f.) Gott, Jesus Christus und der Heilige Geist haben keine gegenständliche, sondern eine reflexive Funktion. Nichts anderes ist der »Glaube als symbolschaffende Wirklichkeit der christlichen Religion« (172). Für die hier in Frage stehende Christologie führt der Vf. das anhand einer Neuinterpretation der Lehre von den munera Christi durch: Zu verabschieden sind die alte metaphysische Christologie und die Bewusstseinstheologie etwa Schleiermacherscher Lesart. (211) Dann ergibt sich (219–226): Im prophetischen Amt geht es darum, dass Glaube vom in der Verkündigung erinnerten Jesus abhängig ist. Christliche Religion setzt sich selbst als bereits vorhanden voraus. Das priesterliche Amt Christi repräsentiert die unableitbare persönliche Aneignung des Glaubens. Das aber bringt die symbolische Repräsentation der christlichen Religion hervor, die vom königlichen Amt Christi dargestellt wird.
Was heißt das für das in Frage stehende Verhältnis zur jüdischen Religion? Christologie ist reflexiv, deshalb ist »jeder Bezug auf das Judentum aus ihr auszuschließen« (227). Erst wer dies tut, wird das Judentum als eigenständige Religion anerkennen, ohne es zu vereinnahmen. Entsprechendes gilt für die Theologie der Religionen: Inklusivismus und der Inklusivismus in neuem Gewande namens Pluralismus partizipieren an dem Fehler, Gott letztlich gegenständlich zu denken. Allein die skizzierte reflexive Fassung des Gottesgedankens nimmt davon Abstand. Sie wird zur Beschreibung der christlichen Religion allein. Durch diese »Selbstbeschränkung postuliert sie aber weder eine Überlegenheit der christlichen Religion noch eine Gleichheit der Religionen« (244).
Die Rückfragen heißen: (a) Kann es eine rein selbstbezügliche Beschreibung von Glauben = Religion überhaupt geben? Wenn die Wirklichkeit Gottes und die Möglichkeit des Glaubens uns vorausliegen sollten, so ist dies unmöglich. Hier müssen auch Zerrbilder beseitigt werden: Das Chalcedonense etwa beschreibt mitnichten einen opaken metaphysischen Gegenstand ohne soteriologischen Bezug, wie der Vf. behauptet (93.255 u. ö.). Es durchkreuzt vielmehr – wie das trinitarische Dogma von 381 nicht minder – die substanzontologischen Bestimmungen antiker Philosophie und ist ein enorm verdichteter Reflex auf soteriologische Bestimmungen. (b) Das israeltheologische Problem zeigt sich wohl im Judesein Jesu, das der Vf. historisch stillstellt (144.197 ff.). Begründet aber ist es darin, dass Gott, der Vater Jesu Christi, kein anderer ist als der Gott Israels. Und deswegen ist es unmöglich, eine christliche Gotteslehre zu entwerfen, die auf das Gotteszeugnis Israels keinen Bezug nimmt. Redet sie aber vom Gott Israels, so muss sie von Bund und Tora reden (ad 87). Dadurch entsteht eine Not des Verstehens, und die Warnungen vor Vereinnahmung der Menschen jüdischen Glaubens, die der Vf. ausspricht, sind zu hören. Es ist aber eine Not des Verstehens, aus der keine christliche Theologie entlassen ist. (c) Wenn die Theologie allein die christliche Religion in reiner Selbstbezüglichkeit beschreibt, sonst hingegen nichts, dann nivelliert sie das israeltheologische Thema gegenüber dem Verhältnis zu allen anderen Religionen. In allen diesen Verhältnissetzungen aber wird sie aussagelos, weil sie ja nur von sich über sich sprechen kann. Der für das Anliegen, jüdischen Glauben nicht zu vereinnahmen, wichtige Satz: »Beide Deutungen […], die jüdische und die christliche, sind berechtigt« (230), hat dann aber keinerlei Fundament. Wer ihm – wie der Rezensent – zustimmt, wird um inhaltliche Bestimmungen nicht herumkommen.