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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1129–1131

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schröder, Bernd, u. Moritz Emmelmann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2018. 379 S. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-7887-3308-7.

Rezensent:

Jasmine Suhner

Das Verhältnis des Religions- zum Ethikunterricht hat lange ein Dasein »im Schatten« (9) geführt. Mit dieser Feststellung eröffnet der vorliegende Band sein Programm: Er holt ebendieses Verhältnis zwischen den beiden Fachbereichen ans Licht. Denn dieses Schattendasein ist eigentlich erstaunlich: angesichts der Relevanz ethischer Fragen in der gesellschaftlichen Debatte; angesichts der wachsenden Zahl konfessionsloser Schüler; angesichts dessen, dass der Ethikunterricht dasjenige daseins- und werteorientierende Fach ist, das am häufigsten neben dem evangelischen und katholischen Religionsunterricht angeboten wird. Von hier aus stellen sich Fragen bezüg lich der rechtlichen, organisatorischen, institutionellen, inhaltlichen Verflochtenheiten von Religions- und Ethikunterricht.
Diese Fragestellungen markieren die beiden Herausgeber des Bandes, die Göttinger Religionspädagogen Bernd Schröder und Moritz Emmelmann, als Desiderat. Der vorliegende Band ist eine Antwort darauf: Er ist das Ergebnis einer Ringvorlesung zum Thema »Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation«, die im Wintersemester 2016/2017 an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen stattgefunden hat. Der Band sucht in seinen Beiträgen nach theoretischen Grundlegungen, Rahmenbedingungen und Herausforderungen der beiden systemisch komplex miteinander verbundenen Felder Religions- und Ethikunterricht und bringt deren zahlreiche Stakeholder in Dialog miteinander. Insgesamt 23 Beiträge namhafter Autorinnen und Autoren beleuchten verschiedene Facetten dieses »verminten Geländes« (J. Habermas) – des Grenzbereichs zwischen Philosophie und Religion.
Dass der Weg vom einstigen Kreis des religionspädagogischen Handlungsfeldes zu einer Ellipse mit den zwei Brennpunkten Religionsunterricht und Ethikunterricht nur um den Preis wachsender Komplexität zu haben ist: Dieses Bewusstsein ist die Ausgangslage des 379 Seiten starken Bandes. Der Tendenz, diese Komplexität durch unzureichende Kategorisierungen zu reduzieren, entgegenzuwirken, dienen die Beiträge aus verschiedensten Disziplinen und Blickwinkeln: Fachwissenschaftliche, didaktische, kirchliche, parteipolitische, schulpolitische und schulpraktische Sichtweisen werden präsentiert und legen einen umfassenden Boden für weitere Forschung und Diskussionen.
Den Auftakt unternimmt der theologische Ethiker Christian Polke mit einer Gegenwartsdiagnose in kulturtheoretischer und ethischer Absicht sowie Beobachtungen zur aktuellen Rolle religiöser und ethischer Bildung. Dabei werden mehrere Aspekte deutlich, die das Gros der Beiträge durchziehen werden: Im Blick ist primär der institutionelle Ort der Schule. Dass auch »das Verhältnis von Schule und gesellschaftlicher Umwelt, deren Verflechtungen und Abgrenzungen zu anderen institutionellen Arrangements und sozialen Settings« (16) einer genauen Analyse bedarf, wird zu Recht markiert. Es steht nicht im Fokus dieses Bands. Auch auf die Gefahr einer anderen Engführung der Thematik wird hingewiesen: Ethische Bildung ist nicht allein auf den Ethikunterricht, religiöse Bildung nicht allein auf den Religionsunterricht beschränkt.
Auf diese hermeneutische Verortung folgen umgehend erste Konkretisierungen: Die Fachleiter für »Evangelische Religion« und »Werte und Normen«, Rainer Merkel und Till Warmbold, diskutieren die Bezugsfelder der beiden Fächer exemplarisch anhand der niedersächsischen Gegebenheiten. In (selbst-)kritischer Weise werden das Verbindende des Faches »Werte und Normen« – die vier Fragen Immanuel Kants und der Würde-Begriff – sowie die Frage der transparent kommunizierten Positionalität seitens der Lehrkraft ausgeführt und hinterfragt. Fachwissenschaftliche (Holmer Steinfath, philosophische Perspektive, und Bertram Schmitz, religionswissenschaftliche Perspektive) und fachdidaktische Beiträge bieten einen das Feld überblickenden Rundgang und zugleich eine Auswahl exemplarischer didaktischer Ansätze (Klaus Blesenkemper, Philosophiedidaktik; Bernhard Grümme, katholische Religionsdidaktik; Hans-Bernhard Petermann, Philosophiedidaktik). Organisatorische und inhaltliche Fragen werden dabei laut – »Was bedeutet etwa ethisches Lernen in einem interreligiösen Kontext?« (126) – und Forderungen für die Lehrpersonen-Ausbildung gestellt – »Zum Kanon ethikunterrichtlich relevanter philosophischer Themen ge­hört elementar auch Religion.« (143) Dazu wird bezeichnender-weise auch die erfahrungsbezogene und emotional ausgerichtete Begegnung mit religiösen Erscheinungsformen gezählt. Deutlich wird wiederholt die Forderung nach dem Öffentlichkeitsbezug: Religions- und Ethikunterricht müssen »in die Zivilgesellschaft hinein wirken« (B. Grümme, 127).
Dass das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht zwar ein Schattendasein geführt hat, aber kein neues Thema ist, wird an den zahlreichen weiteren Beiträgen deutlich: Moritz Emmelmann diskutiert die Figur des »Perspektivenwechsels«; Birte Platow und Traugott Jähnichen präsentieren exemplarische Themen beider Fächer. Schulpolitische, parteipolitische und kirchenpolitische Positionierungen sowie Praxisbeispiele zu diesem verminten Ge­lände kommen zur Sprache.
Nach diesem Feuerwerk unterschiedlicher Sichtweisen die sys-temische Komplexität noch einmal differenziert aufzuzeigen, gelingt insbesondere den vier abschließenden Beiträgen von Friedrich Schweitzer, Vivienne M. Baumfield, Christiane Lehmann/Martin Schmidt-Kortenbusch und Bernd Schröder. Schweitzer konstatiert zu Recht: »Der Gesamteindruck spricht derzeit also eher für ein Ge­geneinander, für schärfer werdende Konkurrenzverhältnisse und entsprechend für eine zunehmende Abgrenzung zwischen Religion und Ethik« (301) und kristallisiert Gründe dafür heraus, »nach Möglichkeiten eines Miteinanders und also der Kooperation zu suchen« (301) – etwa die Chance einer bewussteren »Wahrnehmung religiöser und nicht-religiöser Formen der Welt- und Lebensdeutung« (313 f.). Folgerichtig postuliert Schröder eine angemessenere Gleichgewichtung des Religions- und Ethikunterrichts – besonders im Blick auf entsprechende Studienstandorte. Einprägsam sein Schlussplädoyer: »Das Modell der Kooperation […] bietet […] Vorzüge: Es gewährleistet Eigenständigkeit und lädt auf freiwilliger Basis ein zu Annäherung – es ist somit in der Lage, sich den atmosphärischen und personellen Konstellationen der jeweiligen Schule anzuschmiegen.« (375) Das »ans Licht Holen« des »verminten Geländes« mündet so in die dringliche Forderung nach dem »Aufbau einer weltanschaulich-religiös-wertorientierten Fächergruppe und deren kultusministerielle[r] wie religionsgemeinschaftliche[r] Anerkennung« (375).
Insgesamt zeichnet der Band die unterschiedlichen Fachlogiken, aber auch Gemeinsamkeiten von Religions- und Ethikunterricht in einer dem konfliktuösen Potential des Themenfeldes entsprechenden sensiblen, dialogischen und sprachlich sorgfältigen Weise nach. Er bietet zahlreiche Anregungen für ein konstruktives Miteinander beider Fächer und besticht durch seine Mischung reflektierter Praxisnähe und systematischer Verortungen, ohne das Gelände zu zerstückeln oder in Schemata zu pressen. Die Beiträge scheuen sich nicht davor, grundsätzliche Fragen aufzuwerfen – etwa jene, inwiefern manche »Traumziele« von bildungspolitischen Papieren hilfreich seien (T. Warmbold, 43) –, und bieten eine hilfreiche Kartographie der Landschaft des verminten Geländes, die im Weiteren zum Ausgangspunkt für den Dialog zwischen den verschiedenen Stakeholdern werden kann.