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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1123–1125

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Dinger, Florian

Titel/Untertitel:

Religion inszenieren. Ansätze und Perspektiven performativer Religionsdidaktik.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XIV, 370 S. = Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart, 29. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-156324-9.

Rezensent:

Thomas Klie

Die Göttinger Dissertation von Florian Dinger stellt sich der Aufgabe, einen »viel diskutierten religionspädagogischen Neuansatz« systematisch darzustellen, bei dem es um das »Wie« der Lehrbarkeit von Religion in religiösen Bildungsprozessen geht: die Performative Religionspädagogik. Mit Recht stellt der Vf. klar, dass es in diesem »Bündel« von Konzepten keineswegs nur um methodische Fragen geht, sondern um eine »didaktische Grundentscheidung über das Verständnis von religiöser Bildung« (2). Angesichts der Erosion religiöser Bildung in den Familien und Gemeinden kann der Religionsunterricht die Religion (im emphatischen Sinne) nicht allein nachdenkend reflektieren, Religion will allererst unter den Bedingungen von Unterricht »gezeigt« werden, um als besonderer Mo­dus symbolischer Kommunikation kenntlich, d. h. unterscheidbar zu werden von anderen Modi der Weltwahrnehmung. Diesem »Zeigen« hat sich die Performative Didaktik verschrieben.
Die Arbeit gliedert sich in vier große Kapitel. In § 1 werden nach einer knappen theoretischen Vorklärung zum Performanzbegriff acht der wichtigsten Einzelentwürfe zu dieser Spielart der Religionsdidaktik dargestellt und zueinander in Beziehung gesetzt: Dressler, Klie, Bizer, Leonhard, Zilleßen, Schroeter-Wittke (evangelisch) sowie Mendl, Schambeck (katholisch). Die Reihung spiegelt leider nicht die geschichtlichen Rezeptionslinien (hier hätte man mit Bizer beginnen müssen), sondern erfolgt wohl entsprechend der konzeptionellen Elaboriertheit bzw. der Quantität der jeweiligen Publikationen. Um die Entwürfe vergleichbar zu machen, sortiert der Vf. nach vier Kategorien: Situationsanalyse, Begründungstraditionen, didaktische Theorie und methodische Konsequenzen. Klar ist, dass sich hier heterogene Zugriffe zeigen, aber das Fazit, dass sich die diskutierten Ansätze nicht »in einem fachdidaktischen Kern verbinden würden« (131), ist angesichts der deutlich überlappenden Argumentationen und vor allem angesichts der jeweils aufgerufenen Kontrastfolie eines auf die Kumulation kognitiver Wissensbestände ausgerichteten Unterrichts zu relativieren. Die »Performativen« liegen doch weitaus näher beieinander als bspw. die problemorientierten, symboldidaktischen oder kindertheologischen Cluster.
In § 2 werden performative Aufbrüche in anderen Fachdisziplinen aufgerufen und dargestellt: vor allem die Thematisierung von Literatur in der Deutschdidaktik (»handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht«; Kaspar Spinner, Ingo Scheller) und die Didaktik des Schulfaches »Darstellendes Spiel«. Beide Fachdidaktiken »beziehen sich in ihren Inszenierungsprozessen zu­meist auf fiktionale Textvorlagen, die als Partituren für die Gestaltung eigener Proberealitäten funktionalisiert werden« (190).
In § 3 unternimmt der Vf. historische Tiefenbohrungen bei fünf Klassikern der Religionspädagogik, die bis in die Aufklärungspädagogik zurückreichen. Er beginnt bezeichnenderweise mit dem romantischen Philanthropen Christian Gotthilf Salzmann, setzt exkursartig fort mit Schleiermacher und endet mit Peter Biehl. Die Auswahl gerade dieser Pädagogen erschließt sich nicht sofort, vor allem der Abschnitt über Gerhard Bohne überrascht. Reformpädagogische Impulse (z. B. Peter Petersen) kommen demgegenüber nicht zum Tragen. Um sich in der Darstellung nicht in den doch sehr unterschiedlichen und historisch bedingten Theoriezugriffen zu verlieren, werden sechs für den performativen Ansatz zentrale Kriterien angelegt: Kontakt zur gelebten Religion, Ablehnung von pri-mär kognitiv ausgelegten Lernwegen, Probehandeln durch Perspektivenwechsel, Stellenwert religiöser Erlebnisse, Transformation religiöser Ausdrucksformen sowie die Performanz der Tradition (210 f.). Dadurch kommen die Traditionslinien deutlich zum Ausdruck. Die performative Didaktik zeigt sich in historischer Perspektive weit weniger innovativ als landläufig behauptet. Neu ist jedoch – und das arbeitet der Vf. in diesem Abschnitt klar heraus – die »Konstruktion des Probehandelns im Modus des Perspektivenwechsels« (266).
§ 4 vermisst dann – leider nur auf knapp 50 Seiten – die theoretische Auflösungsstärke und die Praxisrelevanz der performativen Herangehensweise für die Stoffe des Religionsunterrichts. Im Zielhorizont ist die »Tragweite und Tragfähigkeit performativer An-sätze für den Religionsunterricht von morgen«. Der Vf. unternimmt hier den Versuch eines (theoretischen) Praxistests, indem er eine handlungsorientierende Perspektive anlegt. Trotz systematischer Klärungen zur durchaus umstrittenen Kategorie der »Schulreligion« fehlt hier in den ansonsten völlig luziden Argumentationen ein ausführlicher Rekurs auf den Religionsbegriff, der mit den »Performativen« (wieder) auf die religionsdidaktische Tagesordnung gesetzt wurde und der in performativer Lesart ein wichtiges Differenzkriterium zu anderen Unterrichtstheorien darstellt (vor allem zur Kindertheologie). Angesichts der mit Recht monierten Unterschiede in den Theoriezugriffen, den methodischen Reichweiten und den kreativen (!) Unschärfen im Performanzbegriff innerhalb des performativen »Bündels«, gilt es doch hervorzuheben, dass es hier grundsätzlich um ein handlungsorientiertes Verstehen von christlicher Religion als einer Praxis geht, eine Praxis der Darstellung durch involvierte Subjekte. Der Akzent auf den »leiblich äußerlich Zeichen« (Luther) ist eben keine Referenz an den ästhetischen Zeitgeist, sondern resultiert direkt aus einem Verständnis, das Religion – hier ist Kambartels Diktum von entscheidender Bedeutung – als eine Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren (auch und gerade pädagogisch Unverfügbaren) ernst nimmt.
Dessen ungeachtet legt der Vf. mit seiner fulminanten Dissertation nichts weniger als eine Programmschrift der Performativen Religionsdidaktik vor. Wurde dieser Ansatz bislang primär in Aufsätzen zu didaktischen Teilaspekten, Unterrichtentwürfen, Sammelbänden publiziert, liegt hier nun eine umfassende theoriegeschichtlich, unterrichtstheoretisch wie religionspädagogisch in­formierte und gut geschriebene Gesamtdarstellung vor. In diese grundsolide Darstellung sind nicht nur interkonfessionelle Bezüge (z. B. die katholischen Perspektiven von Mendl, Schambeck und die ordnenden Einwürfe von Englert, 94 ff.) eingeflossen, sondern auch, was besonders hervorzuheben ist, transdisziplinäre Parallelentwicklungen in benachbarten Fachdidaktiken (§ 2) und der für religionspädagogische Theoriebildung unerlässliche Seitenblick auf die Praxisrelevanz. Ob sich mit der Performativen Religionsdidaktik konfessionsübergreifende Hoffnungen erfüllen, wie der Vf. hoffnungsvoll auf den letzten Seiten formuliert, bleibt abzuwarten: »Gerade weil der Performanzbegriff die evangelischen und katholischen fachdidaktischen Diskurse der vergangenen Jahre so intensiv beschäftigt hat, […] könnte aus einer solchen Kooperation womöglich sogar die eine performative Religionsdidaktik der Zu­kunft entstehen.« (329)