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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1077–1079

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Harrison, James R.

Titel/Untertitel:

Paul and the Ancient Celebrity Circuit. The Cross and Moral Transformation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XVII, 449 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 430. Lw. EUR 159,00. ISBN 978-3-16-154615-0.

Rezensent:

Martin Ebner

Wer wie ich an der Sozialgeschichte des Neuen Testaments interessiert ist, nimmt diesen Band von James R. Harrison mit Spannung und Vorfreude zur Hand, lässt sich doch ein Rundblick auf die griechisch-römischen Ruhmesvorstellungen und -praktiken erwarten, und zwar zur konkreteren und präziseren Ausleuchtung der paulinischen Kreuzestheologie. Doch stellt sich beim Lesen schon bald Ermüdung und Enttäuschung ein. Das beginnt damit, dass in jedem Kapitel aufs Neue und langatmig hervorgehoben wird, beim gewählten Zugriff zur Thematik handle es sich um ein absolutes Desiderat der Forschung – eigentlich eine gattungsbedingte Fleißarbeit in Dissertationen. Die gleichzeitig in ziemlich hochnäsigem Ton vorgetragene Beurteilung der bisherige Forschung (49: »scholarly tunnel vision«; 137: »insufficient attention has been paid«; »New Testament scholars have overlooked«; 138: »… have not realized«; 169: »… need to be reminded«; 232: »has not fired the interest of New Testament scholars«) ist deswegen so ärgerlich, weil sie oftmals gar nicht zutrifft – hätte denn H. ein wenig mehr auch in der neueren (!) deutschsprachigen Sekundärliteratur gestöbert (s. u.).
Natürlich: Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung, was im Übrigen aus der Titelei nicht hervorgeht. Drei Beiträge sind neu geschrieben, alle anderen sollen ein Update erfahren haben (VI). Das einleitende Kapitel (»›The Bold and the Beautiful‹: Fame and Celebrity in Antiquity and the Modern World«; 1–48), das auf das angekündigte Stichwort »beautiful« allerdings gar nicht eingeht (s. aber 128 f.), soll die einzelnen Beiträge inhaltlich bündeln, so dass der Eindruck einer Monographie erweckt wird. Der Einstieg mit dem modernen Promikult als Brückenschlag zum Phänomen der Suche nach Ruhm in der späten republikanischen und frühen kaiserzeitlichen römischen Gesellschaft (3–19) ist anregend; die Stichhaltigkeit eines weiteren Aktualisierungsversuchs zum Führungsideal in Kapitel 4 dagegen, nämlich die Behauptung, das paulinische Leitbild hätte sich gegenüber dem des Augustus letztlich in der westlichen Welt durchgesetzt (83.104 f.), wage ich zu bezweifel n– und H. führt dafür auch keine Belege an.
Was aber schwerer wiegt: Die Auswertung der jeweils sehr detailreichen Präsentation (meist nicht wirklich neuer) sozialgeschichtlicher Daten für die Paulusbriefe bleibt sehr allgemein und beschränkt sich auf immer wiederkehrende Topoi, vor allem: »Paul pinpricked the culture of boasting at Rome« (19); »inverting the hierarchy of social status« (315); »deconstruction of the Graeco-Roman cursus honorum with a cursus pudorum« (18; mit Rekurs auf Hellerman, Reconstructing Honor 2005). Dass H. über derartige Allgemeinplätze nicht weit hinauskommt, hat seine Gründe: Einerseits findet eine eingehende Analyse der paulinischen Texte (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen; z. B. 97 f.) nicht statt, so dass die »Synkrisis« aus großer Fallhöhe erstellt wird; andererseits fehlt eine methodische Reflexion des »Vergleichs«, seiner Grundlagen und Ziele (trotz 159 f.). Nachdem außerdem das eigentliche Lokalkolorit der paulinischen Missionszentren (auch aus Gründen des fehlenden Materials) nur selten zum Tragen kommt, finden sich häufig Wendungen wie: »Paul may have seen […] It is not unconvincible that Paul encountered […]« (143), so dass die paulini sche Intentionalität des »pinpricking« in der Grauzone verbleibt.
In einzelnen Kapiteln scheint mir ganz einfach die Vergleichsbasis zu fehlen. So in Kapitel 3 (»The Paradox of Paul’s Apostolic Ministry [2Kor 4:7–18] in Its Augustan and Apocalyptic Context«; 79–107). Ich bin unsicher, ob sich von der Strategie des Augustus, sich als bescheidener Prinzeps zu gerieren, genügend Linien ziehen lassen zur Selbstdarstellung des Paulus, der seine äußerlich gebrochene Erscheinung im Kreuzesgeschehen zu spiegeln versucht. Auch bin ich unsicher, inwieweit die typisch griechische Ephebenkultur im Rahmen der Institution des Gymnasiums sowie die Ideale eines Gymnasiarchen, die jeweils von den delphischen Maximen geprägt sein sollen, in der römischen Kolonie Korinth virulent waren und das Denken der Elite in der christusgläubigen Gemeinde gesteuert bzw. Paulus vor Augen gestanden haben sollen, wie Kapitel 5 (»Paul and the Gymnasiarchs: Two Approaches to Pastoral Formation in Antiquity«; 135–171) und in gewisser Doppelung Kapitel 6 (»Paul, the Delphic Canon and the Ephebic Ethical Curriculum«; 173–216) behaupten. Die diesbezüglichen Selbstzweifel H.s scheinen mir berechtigt: »… the difficulty of comparing the Delphic canon to the Paul’s ethical exhortation should be obvious. In many respects, the ethical commands of Jesus, found in different Synoptic contexts, provide a more congenial corpus for comparison with the Delphic canon than the epistles of Paul« (160). Das Kapitel über den Vergleich zwischen Kultvereinen und paulinischen Haus-gemeinden (297–329) passt – abgesehen von den kurz gestreiften Ehrungsritualen in den Vereinen (323) – nur sehr bedingt in den Band. In Kapitel 7 (»The Imitation of the Great Man in Antiquity: Paul’s Inversion of a Cultural Icon«; 217–255) unterstellt H. der bisherigen Forschung, das Forum Augustum sei bezüglich des in der Öffentlichkeit präsentierten Selbstruhms nicht wahrgenommen worden (232), übersieht aber dann selbst den auffälligsten Berührungspunkt zwischen den elogia des Forums und der Tatenliste des Paulus in 2Kor 11,24 f. (249): die numerische Aufzählung der Ruhmestaten (vgl. dagegen Schmeller, 2Kor 2015, 246 f.256 f.; Ebner, Leidenslisten 1991, 122–132). Kapitel 4 (»Paul and the Athletic Ideal in Antiquity: A Case Study in Wrestling with Word and Image«; 109–134) steuert im Blick auf 1 Kor 9,24–27 neues ikonographisches Material zum Sprinter und Boxer bei, aber die Auswertung für den Paulustext bleibt mager: Paulus demokratisiere die Siegeridee und verlege die Preisverleihung ins Eschaton (124.133). Wie »the cult of beauty«, präziser wäre von »male beauty« der Athleten zu sprechen, die in diversen Inschriften gepriesen wird, mit dem »body of Christ« in 1Kor 12 verglichen bzw. in Kontrast gesetzt werden kann (128–130), ist mir nicht einsichtig geworden.
Generell habe ich mich gefragt, wie es möglich sein kann, dass zum immer wieder zitierten Röm 13,7 als Beispiel für die paulinische Ruhmkritik nirgends das Stichwort »hidden transcript« fällt (vgl. Scott, Domination 1985) oder Kol und Eph sowie die Pastoralbriefe ganz selbstverständlich als authentische Paulusbriefe be­handelt werden (z. B. 166.288.295.296.313). Oder warum im Blick auf das Führungsleitbild des Augustus nicht die ikonographisch ge­stützten Beobachtungen von Zanker (Augustus 1990, 96–106) herangezogen werden, obwohl die Nichtbeachtung der »visual arts« im Folgekapitel zu 1Kor 9,24–27 massiv eingeklagt wird (113: »Commentators have conspicuously overlooked the visual arts in their exegesis«).
Enttäuschend ist auch die Lektorierung: Verhältnismäßig viele Druckfehler, zum Teil Dittographien, hemmen den Lesefluss (z. B. 65.115.145.213, Anm. 127 = 292 ,Anm. 186.243.283.285.286.296.326); in zwei Kapiteln sind mehr als eine ganze Seite (!) Text völlig identisch, samt Druckfehlern (213 f.292 f.); wichtige Stichwörter, wie z. B. misericordia/ἔλεος bzw clementia/ἐπιείκεια, fehlen im Sachregis-ter. In den Zusammenfassungen tauchen teils Sachverhalte bzw. Stellenverweise auf, die zuvor überhaupt nicht besprochen wurden (vgl. 1Tim 5,3–4: 296; »imperial political ‹bodies politic‹«: 63 f.).
Natürlich: Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung. Aber nicht jeder Aufsatz ist es wert, in einem teuren Buch erneut aufgelegt zu werden.