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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1073–1075

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Botner, Max

Titel/Untertitel:

Jesus Christ as the Son of David in the Gospel of Mark.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2019. XV, 254 S. = Society for New Testament Studies Monograph Series. Geb. £ 75,00. ISBN 978-1-108-47720-8.

Rezensent:

Jan Rüggemeier

Die Monographie von Max Botner, die von Elizabeth E. Shively betreut und als Dissertationsschrift an der Universität von St An­drews angenommen wurde, lässt sich einer Reihe neuer Studien zur Christologie des Markusevangeliums zuordnen, die sich von einer allzu starren Fokussierung auf einzelne Hoheitstitel distanzieren und demgegenüber das Augenmerk auf das umfassende Kommunikationsspiel zwischen dem Autor und dem Lesenden richten. Konkret sucht B. die Funktion und Bedeutung der Davidsvorstellung innerhalb des Markusevangeliums neu zu ergründen, indem er den entsprechenden Vorstellungskomplex in die Totalität der markinischen Messiassprache (»Markan messiah language«) einzeichnet. Unter dem Einfluss von Matthew V. Novensons »Grammar of Messianism« setzt B. voraus, dass Markus und seine Leser Teil einer Sprachgemeinschaft waren, die ein literarisches Erbe und Vokabular, aber auch weitere Konventionen zur Beschreibung von Messiasgestalten, teilten. »My proposal is that the evangelist’s language about his Christ should be evaluated on the terms of his own linguistic community, as nothing short of a ›creatively biblical linguistic act‹ [Zitat im Zitat: Novenson, Matthew V.: Christ among the Messiahs. Christ Language in Paul and Messiah Language in Ancient Judaism. New York 2012, 62.]« (3).
Kapitel 1 dient zunächst der Beschreibung der bisherigen Forschungsgeschichte (1.1) und der schrittweisen Profilierung des eigenen Ansatzes (1.2–1.4). Konzise werden die geschichtlichen Positionen von Reimarus, Schweitzer und Wrede in Erinnerung gerufen (1.1.1). Darauf folgt eine an methodischen Schwerpunktsetzungen orientierte Darstellung der Forschungsgeschichte, wo­bei B. zwischen religionsgeschichtlichen (1.1.2), redaktionsgeschichtlichen (1.1.3) und literaturwissenschaftlichen Arbeiten (1.1.4) differenziert. Letztere erhalten hierbei die größte Aufmerksamkeit. Trotz aller methodischen Diversität erkennt B. ein forschungsgeschichtliches Dilemma (1.2), das darin bestehe, dass die Davidsvorstellung bisher nahezu exklusiv in ihrer Relation zum Christustitel untersucht wurde und hierdurch fast immer eine Bedeutungsschmälerung oder gar Abwertung erfahren habe. Zugleich stellt er fest, dass sich die bisherige Diskussion allzu einseitig auf die explizite Verwendung des Davidsnamens und damit auf die Bartimäuserzählung (Mk 10,46–52) sowie die Davidssohnfrage (12,35–37) konzentriert hat. In den Abschnitten 1.3 und 1.4 wird anknüpfend an Novensons »Grammar of Messianism«, Ecos semiotische Theorie und Hays’ Intertextualitätstheorie der eigene methodische Ansatz vorgestellt.
Kapitel 2 zeigt anhand der antiken jüdischen Literatur auf, dass es zu kurz greift, die Davidsvorstellung auf die Verwendung des Davidsnamens oder des Patronyms zu reduzieren. Eine entsprechende Konnotation lasse sich auch dort vermuten, wo auf zentrale Prätexte wie Jes 11, Ps 2, 1Sam 16–17, 2Sam 7,12–14 rekurriert werde oder einzelne, distinkte Merkmale – wie die Rede vom Spross Davids (z. B. 4Q285; Röm 15,12) oder das Schlagen mit dem Stab seines Mundes (z. B. 1Q28b 5,24–25; Ps. Sol. 17,24; 2Thess 2,8; 4Esr 13,10 )– aufgegriffen werden.
Die Kapitel 3 bis 6 bilden den Kern der Studie und sind der Analyse des Markusevangeliums gewidmet. Kapitel 3 konzentriert sich auf den Markusprolog. B. macht hier nicht allein die Zitation von Ps 2,7 (und Jes 42,1) in Mk 1,11 für die Davidsvorstellung geltend, sondern erkennt auch in der kurzen Versuchungsszene eine be­wusste Anspielung auf das erste Auftreten Davids (1Sam 16–17). Eine entsprechende Motivik (Salbung, exorzistische Vollmacht, wilde Tiere) teile das Markusevangelium mit anderen Texten der Rezeptionsgeschichte (LAB 59–60; Flav.Jos.Ant. 6,164 f.168.181–183; Ps 152; 153). In Abgrenzung zum bisherigen Forschungsdiskurs will B. in Kapitel 4 aufzeigen, dass die Davidsvorstellung in der ersten Evangelienhälfte keineswegs fehle, sondern – wenn auch in un- terschiedlicher Prägnanz – in etlichen Perikopen präsent bleibe (Mk 1,21–28; 2,23–28; 3,20–35; 6,30–44). Kapitel 5 widmet sich jenem Abschnitt des Markusevangeliums, der auch in der Vergangenheit am stärksten mit der Davidsvorstellung assoziiert wurde (Mk 10, 46–12,37). Vor dem Hintergrund der bisherigen Anspielungen er­scheine der Ausruf des Bartimäus, »Sohn Davids, erbarme Dich« (Mk 10,47–48) jedoch alles andere als befremdlich. Er füge sich zum vorher evozierten Bild eines davidischen Thronfolgers und zeichne zugleich den Einzug Jesu in Jerusalem voraus (Mk 11,1–11). Durch den nachfolgenden Konfliktzyklus (Mk 11,27–12,37) und die Da­vidssohnfrage (12,35–37) werde verdeutlicht, dass sich die Inthronisation des Davidssohns nicht anders als durch Ablehnung, Leiden und Tod hindurch verwirklichen lasse. Beeinflusst von Ps 110 er­scheine Jesus zugleich als der, der mit der Auferstehung zur Rechten Gottes erhoben werde und als solcher auch als Davids Herr erscheine (173). In Kapitel 6 widerspricht B. einer Interpretation der Passionsgeschichte, die die königlichen Motive zurückzudrängen versucht, und deutet die Anspielungen auf Ps 22 dahingehend, dass hierdurch der Skandal des Kreuzes festgehalten und zugleich der Blick auf den Erhöhten gerichtet werde.
B. hat mich durch seine Studie davon überzeugt, dass die Da­vidsvorstellung wichtiger für die markinische Gesamterzählung ist, als dies – angesichts der spärlichen Belege des Davidnamens – allgemein angenommen wird. Zukunftsweisend und zugleich auf andere Untersuchungsaspekte übertragbar ist der an Novensons »Grammar of Messianism« angelehnte Umgang mit der frühjüdischen Literatur, weil hierdurch deutlich wird, dass die Weitergabe traditioneller Vorstellungsgehalte immer zugleich an soziolinguistische Konventionen gebunden ist. Weniger gut begründet er­scheint mir die Bezugnahme auf Eco und Hays, zumal B. hier mit keiner Silbe auf die kritischen Reflexionen der vergangenen Jahre eingeht.
Eine erzählwissenschaftliche Fundierung hätte m. E. ge­holfen, die Davidsvorstellung in ihrer synchronen Entwicklung besser nachzuvollziehen und in ein Verhältnis zur übrigen Charakterisierung Jesu zu setzen. Vielleicht ist dies aber weniger als ein Mangel der vorliegenden Arbeit zu verstehen denn als Desiderat, das zur Weiterbeschäftigung mit der markinischen Christologie und ihrer vielfältigen frühjüdischen Fundierung einlädt.