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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1071–1073

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Berger, Klaus

Titel/Untertitel:

Ehe und Himmelreich. Frau und Mann im Ur­christentum.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 304 S. Geb. EUR 25,00. ISBN 978-3-451-38490-5.

Rezensent:

Christoph Kähler

Der kürzlich verstorbene Autor wollte nicht »die Lehre der Kirche« zu Ehe und Sexualität, sondern deren neutestamentliche Grund-lagen für theologische Laien »durchsichtig und verständlich« darstellen (12). Dabei lassen der Sprachgebrauch »katholisches Menschenbild« (70), manche überdeutlich konfessionell geprägte These – z. B. von »einem zölibatären Gottesbild« angesichts dessen die Verheirateten, »die sowohl dem Partner als auch Gott gefallen wollen«, geistlich überfordert seien (291) – und der gewählte Verlag erkennen, dass Klaus Berger vor allem seine Herkunftskirche meint. Dazu passen auch erratische Hinweise auf die Autorität Pius’ XII. (187), die Behauptung, wiederverheirateten Geschiedenen sei zuzumuten, »ein paar Jahrzehnte nicht zur Kommunion zu gehen« (283) und die Übersetzung von Lk 10,42, Maria habe den »›besseren‹ Teil gewählt« (88). Ob und inwieweit die römisch-katholischen Oberen diese Darlegungen aufnehmen, steht dahin.
In den Kapiteln 2–4 legt B. eine Fülle von Hypothesen zu einigen Themen zu Jesus, Paulus und im Epheserbrief sowie dem außer-kanonischen Schrifttum vor. Schon dieser Teil mit den historisch-exegetischen Ausführungen enthält Interpretationen im aktuellen Interesse (66 u. a.), die dann in zwei Kapiteln, »Biblische Hilfen zur Applikation« und »Konvergenzen«, verstärkt werden sollen. Damit erhebt B. einen nicht geringen dogmatischen und moraltheologischen Anspruch. Das Buch endet mit zwei Thesenreihen, die in der Summa gipfeln (304): »Insofern ist ›die Ehe‹ Urbild, Abbild und Zielvorstellung, kurz gesagt d as, was man Alpha und Omega nennt.« Diese Vermengung von Schöpfungslehre, Christologie bzw. Soteriologie, Ehemoral und Eschatologie ist Programm, wie die Herleitungen, Begründungen und Zusammenhänge in den Hauptteilen zeigen. B. stellt steile Thesen auf und beruft sich dafür auf entle-gene Texte. Das bietet viel Stoff für Rückfragen, die kaum durch die oft stichpunktartige Darstellung beantwortet werden.
Nach der Einleitung zu Absicht und Thema behandelt das zweite Kapitel die Wandlung des historischen Jesus »Vom Ehefeind zum Ehefreund«. Die radikalen familienfeindlichen Forderungen an die Nachfolger werden von B. einer ersten Phase des historischen Jesus zugeschrieben, in der noch der Einfluss seines asketischen Lehrers Johannes nachwirke. Den Übergang in eine zweite Phase mit Texten, die »entgegengesetzt ausgerichtet sind« (13), erklärt sich B. mit dem – durch Täufertod und Verklärung gewandelten – Selbstverständnis Jesu (43), das nunmehr in dem Bildfeld vom messianischen Bräutigam seinen Ausdruck gefunden habe und darum die strengen Nachfolgeforderungen nicht mehr kenne (42). Die Frage, wie und warum die Tradenten diese massiven Gegensätze in ihrer eigenen Theologie und Praxis vereinen, bleibt unbeantwortet. Mit dem zweiten Teil dieses Kapitels »Ja und Nein bei Paulus« (52–67) verbinden sich viele kühne Thesen, u. a. die Proklamation des Apostels zum ersten Vertreter »gerechter Sprache« (59 f.). Eher an den Kugelmenschen aus Platons Symposion als an biblische Vorstellungen erinnert das endzeitliche Ziel des vorläufig in Mann und Frau getrennten Menschen, »dass er ›wieder eins‹ wird« (53). Nebenbei klärt B. auch die exege-tische Grundlage für die päpstliche Unfehlbarkeit als »Anwendung höchst anstößiger apostolischer Schlüsselgewalt«, die sich als »letzte und definitive Vollmacht« aus Mt 16,19 und 18,18 ableite und ihre Anwendung in 1Kor 7 finde (62).
Das dritte Kapitel unter dem Titel »Der duale Weg« meint damit den Umgang Jesu mit Frauen und Männern, der sich von Anfang an ebenso grundsätzlich voneinander unterscheide wie später die Rollen in den christlichen Gemeinden. Während B. »Männer […] stets in größeren Gremien« und Kreisen (149), also in amtlichen Funktionen findet, figurieren nach ihm Frauen im Neuen Testament vor allem dort, wo menschliches Schicksal in »Geburt, Tod, Auferstehung« oder die Begabungen erwähnt werden (ebd.). Dementsprechend stuft B. die Frauen, die m. E. unverkennbar Leitungsfunktionen innehaben, zur örtlich-diakonischen Helferin – wie in Röm 16,1 ohne Bezug auf V. 2 προστάτις oder wie in Röm 16,7 –zu lokalen Größen herunter (129). Nun lässt sich die patriarchale Grundstruktur antiker Gesellschaften und späterer christlicher Gemeinden schwerlich leugnen, doch erstaunt B.s durchgehende Zuweisung von Lehr- und Leitungsaufgaben in den ersten Ge­meinden ausschließlich an Männer.
Das vierte und längste Kapitel (151–252) »Einheit der Ehe und Einheit der Welt« enthält insofern die zentralen Thesen und Quellenverweise, als hier nach Eph 5 eine Identifikation von Ehe und »geheilter Schöpfung« vorgenommen, ja zum eschatologischen Ziel stilisiert wird: »Die traute Zweisamkeit von Mann und Frau in der Ehe macht aus der Ehe […] ein Zentrum, in dem das Geschick der ganzen Welt hängt« (151). Elemente der Schöpfungstheologie werden so zur Soteriologie, ja zur Gotteslehre weitergebildet, denn: »Jede Art von dauerhafter Einmütigkeit unter Menschen bildet die Einheit und Einzigkeit Gottes ab.« (163) Wie hier B. aus Gal 3,28; 6,15; Eph 2,13–16; 5,25–33 mit Bezügen zu Gen 2,24 und weiteren Verweisen etwa auf den Liber Antiquitatum Biblicarum (196) ontologische Schlüsse aus Metaphern zieht, ist atemberaubend. Dabei ergibt sich B. eine offenbar bleibend gültige »absteigende Abbildlichkeit« von Gott, Christus, Mann und Frau (208 ff.), die sich ja auch schon in 1Kor 11,3 und 14,34 f. finde und dem »Weg der Offenbarung« entspreche (216). Eine darauf bezogene Klärung der in 1Kor 11,5 geschilderten Vollzüge, der Aufgaben etwa von Priscilla und der Ostererscheinungen vor Frauen, sucht man vergeblich.
»Biblische Hilfen zur Applikation« ist das fünfte Kapitel (253–284) überschrieben und weckt nach B.s eigener Hermeneutik die Erwartung einer wie auch immer gearteten »Anwendung« des bisher Dargestellten für die Gegenwart. Doch werden hier zunächst eher Auslegungen des Hohenliedes gesammelt, die von den Oden Salomos bis zu Bernhard von Clairvaux, von den syrischen Thomasakten bis zu den Lehrern der caritas ordinata reichen. Sie sollen die »geistliche Brautmystik« mit dem wörtlichen Verständnis des Hohenliedes verbinden und somit die Grundthese stützen, dass die Ehe nicht nur als hinkende Metapher für das Verhältnis Gottes zu Israel und für die Beziehung Christi zur Kirche diene, sondern realer Bestandteil des Eschaton sei. Schon jetzt sei »die Ehe (im Vollzug) ein Sechzigstel des Himmels«, wie B. in Analogie zu bBer 57b postuliert (234 f.). Erst am Schluss des Kapitels wird für die Probleme einer aktuellen christlichen Sexualmoral »keine oder nur eine unbefriedigende Lösung« angeboten (281): Jedenfalls sei auch auf diesem Gebiet die Rücksicht der Starken auf die Schwachen zu fordern und die antimissionarische Wirkung unangemessenen Verhaltens zu berücksichtigen. Konkret wird gelebte Homosexualität mit ihren »lauten Umzügen« (283) unter Berufung auf die Passagen aus Röm 1 verurteilt, die nicht als zeitbedingte Vorstellungen entsorgt werden dürften (284).
Das sechste Kapitel soll zunächst »Konvergenzen« von »Sexualität und Religiosität« sammeln, wobei lockere Thesen sich zum Teil selbst widersprechen (288). Angeschlossen findet sich ein Unterkapitel, das nachträglich als hermeneutische Methode dieses Buches einen »metaphorischen Realismus« einführt, der »das Gegenteil von Nominalismus« darstelle (297).
Dieses Buch verbindet – wie bei B. zu erwarten – starke Behauptungen mit einer Fülle von Belegen, deren Beweiswert der Prüfung nicht immer standhält. Der Rezensent fragt sich so von den ersten Seiten an, ob das Buch wirklich an Laien adressiert ist. Zumindest erfordern nicht übersetzte Zitate und seltene Termini von den Lesern ausreichende Lateinkenntnisse (153.164.284 u. ö.). Regel-mäßig verweist B. auf Schriften, deren Ausgaben nur Spezialisten bekannt und erreichbar sind. Selbst Fachleuten wird es punktuell schwergemacht, Angaben zu überprüfen, wenn B. da­bei die ge­meinte Stelle nicht angibt (45.74.153 u. a.). Einzelne An­gaben scheinen gelegentlich aus dem Gedächtnis zitiert und tref fen so nicht zu. Das betrifft etwa Mk 10,29 (39), 2Kor 11,23 (79), JosAs 8,10 (179).
Dazu kommt, dass das Buch weder ein Literaturverzeichnis noch Indizes aufweist, auch gebräuchliche und ungebräuchliche Abkürzungen nicht auflöst: »BAK S.1264« (45). Fragmentarische Literaturangaben erscheinen im Fließtext immer wieder in der Form (27): »Josef und Asenat, z. B. zu 29,5 Burchard, 720«. Dagegen weisen auf B.s eigene Veröffentlichungen oft vollständigere Angaben im laufenden Text hin (65). Erst im fünften Kapitel finden sich kleine Literaturverzeichnisse in der erforderlichen Form (260.267 u. a.). Zitate werden zum Teil gekennzeichnet, aber nicht nachgewiesen (71 für Jes 49,16). Übersetzte Stellen christlicher Schriften stimmen nicht mit der Ausgabe B./Nord überein und geraten öfter zu ausführlichen Paraphrasen (52), die so erst die erwünschte Eindeutigkeit schaffen (48). Dass einzelne Sätze Spuren ihrer Entstehung und Kompilation am Computer aufweisen, also grammatisch verunglücken, gehört zu den weiteren Ärgerlichkeiten, die ein Lektorat verhindern sollte (43.235 u. a.). Schwer zu sagen, wer aus diesem Buch Gewinn ziehen wird. Dem Andenken an einen anregenden Autor dient es wohl nicht.