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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1059–1061

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gaß, Erasmus

Titel/Untertitel:

Die Landverteilung im Josuabuch. Eine literarhistorische Analyse von Josua 13–19.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. VII, 437 S. = Forschungen zum Alten Testament, 132. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-156944-9.

Rezensent:

Joachim J. Krause

Die zweite Hälfte des Josuabuches wird von einem Thema be­herrscht, der Verteilung des eingenommenen Landes an die Stämme Israels. Unter detaillierter Beschreibung der Grenzverläufe und namentlicher Nennung zugehöriger Ortschaften wird das Land gleichsam kartiert. Seit den grundlegenden Arbeiten von Albrecht Alt und Martin Noth wurde und wird damit gerechnet, dass dabei heterogenes Listenmaterial mit Ortsbezeichnungen und Grenzbeschreibungen verarbeitet worden ist, dessen Provenienz und historische Einordnung allerdings unterschiedlich beurteilt werden. Ebenfalls strittig ist, wann, wie und mit welcher Absicht die Texte Teil eines Josuabuches wurden, wobei die Mehrheitsmeinung da­hin tendiert, dass sie nicht von Anfang an mit der narrativen Darstellung der Landnahme im vorderen Teil des Buches verbunden waren. Ein wesentlicher Streitpunkt in dieser Debatte ist die in diversen Variationen vertretene Einschätzung, die Darstellung sei sprachlich und sachlich mit der priesterlichen Überlieferung im Pentateuch verwandt – wie immer diese Verwandtschaft genauer zu beschreiben und erklären ist.
Vor dem Hintergrund der schon ausweislich der Quantität einschlägiger Publikationen ungleich energischeren Anstrengungen, die bei der exegetischen Erforschung der Erzählung von der Landnahme oder auch der Abschiedsreden des Josua am Buchende un­ternommen werden, wird man zugeben müssen, dass den sogenannten Landverteilungstexten aufs Ganze gesehen nicht die Be­deutung beigemessen wird, die sie für bestimmte Tradenten bzw. Tradentengruppen augenscheinlich hatten. Umso verdienstvoller ist es, dass sich Erasmus Gaß ihrer annimmt – und zwar in erster Linie in literarkritischer und redaktionsgeschichtlicher Hinsicht. Wiewohl das im Folgenden zu besprechende Buch auch von der diesbezüglichen Kompetenz G.’ zeugt, erschöpft es sich gerade nicht in Beiträgen zur historischen Topographie.
Anfänglich konzipiert als Sammlung je eigenständiger Aufsätze, besteht das Buch im Kern aus acht Kapiteln: »Sprachliche Besonderheiten der Landverteilungstexte im Josuabuch (Jos 15–19)«, »Redaktionsarbeit in Jos 18,1–10«, »Redaktionsgeschichtliche An­merkungen zum Rahmen der Landverteilungstexte (Jos 14,1–5; Jos 19,49–51)«, »Das Stammesgebiet Efraims (Jos 16,1–10)«, »Das Stammesgebiet Manasses (Jos 17,1–13)«, »Die Erzählungen in den Landverteilungstexten (Jos 14,6–15; 15,13–19; 17,14–18)«, »Das nicht zu verteilende Land in Jos 13« und »Die Verteilung des Ostjordanland es nach Jos 13,15–33«. Eine ausführliche Einleitung ordnet die Studien forschungsgeschichtlich ein, abschließend werden ihre Ergebnisse zusammengefasst.
G.’ erklärter Anspruch lautet, die literarhistorische Analyse so weit wie möglich nicht »tendenzkritisch«, sondern durch sprachlich-formale Beobachtungen (zu ihnen s. im Folgenden) zu fundieren. Er arbeitet einen als »priesterlich« apostrophierten Grundbestand heraus, demzufolge sich die ursprüngliche Darstellung der Landverteilung auf sieben Stämme und das Westjordanland be­schränkte – ein Idealbild des »wahren Israel«. Sukzessive Bearbeitungen hätten dann zu der Konzeption eines Zwölfstämmevolks geführt. Entstanden und redaktionell entwickelt worden sei dieses »priesterliche Josuabuch« in Verbindung mit Numeri; erst eine späte (als »deuteronomistisch« eingeordnete) Redaktion habe den gewachsenen Abschnitt in das bis dato rein deuteronomistisch ge­prägte, als Teil einer aus Deuteronomium und Josua bestehenden Landeroberungserzählung (DtrL) konzipierte Josuabuch eingefügt und mit eigenen Akzenten versehen.
Wie weit die umrissene Analyse tatsächlich ohne »Tendenzkritik«, also Erwägungen zu Inhalt und vor allem Absicht, auskommt und ob eine solche Selbstbescheidung in methodischer Hinsicht überhaupt wünschenswert wäre, bleibe dahingestellt. Grundlegend für G.’ Argument ist jedenfalls eine wichtige sprachliche Beobachtung. Sie besteht in der Identifizierung eines spezifischen »Idiolekts« (26 und passim), den Jos 15–19 mit Num 34,2–12 gemein hat. Im Kern geht es um die Beschreibung von Grenzverläufen in Verbalsätzen, die mit Verben der Ortsveränderung in weqatal in Verbindung mit dem Nomen gebûl gebildet sind und deren lexematische Realisierung in einer ganzen Reihe übereinstimmender Ausdrücke, was umso mehr auffällt, als dieser Stil andernorts nicht belegt ist, auch nicht in der Beschreibung von Ez 47,13–48,29.
Der umfassend erhobene Befund erscheint in der Tat signifikant– aber wofür? Der von G. vorausgesetzten Annahme zufolge für einen Idiolekt, d. h. nach der gängigen linguistischen Defini-tion, für Wortschatz und Ausdrucksweise eines individuellen Sprechers bzw. hier: Tradenten. Zweifellos ist dies eine Möglichkeit, und in diesem Fall könnte der Befund tatsächlich, wie bei G. er-wogen, als Bestätigung der in unterschiedlicher Weise bereits von Enzo Cortese (1990) und Cor de Vos (2003) vertretenen These gewertet werden, dass die Landverteilungstexte (bzw. ein Grundbestand derselben) ursprünglich einen Anhang zum Numeribuch gebildet haben (wenn man nicht annehmen will, dass ein und derselbe Tradent hier wie da seine Hand im Spiel hatte). Gleichwohl könnten die sprachlichen Merkmale ebenso gut die spezifische Ausdrucks weise einer wie auch immer diachron definierten Tradenten-gemeinschaft spiegeln (und selbst eine Art technische Fachsprache für Grenzbeschreibungen ist nicht a limine auszuschließen). In diesem Fall wäre lediglich zu konstatieren, dass die Landverteilungstexte im Josuabuch mit Num 34,2–12 verwandt sind, wobei der sprachliche Befund allein keinen hinreichenden Anhalt für die literarhistorische Rekonstruktion oder überhaupt die Annahme direkter literarischer Relationen böte – womit wir wieder bei der Frage nach Profil und Pragmatik der postulierten Redaktionsschichten (Stichwort »Tendenzkritik«) wären.
Die dankenswert transparente Argumentation hätte noch ge­winnen können, wenn hier und an anderen Stellen dergestalt alternative Erklärungsansätze konsequenter durchgespielt und gegeneinander abgewogen worden wären. Ungeachtet dessen und egal, wie weit man der ins Detail gehenden Redak-tionsgeschichte zu folgen vermag, als weiterführende Impulse des Buches bleiben die durch die sorgfältige Untersuchung mit neuen Argumenten be­kräftigte Auffassung einer (im weitesten Sinne) priesterlichen Prägung der Landverteilungstexte und deren Abgrenzung von der ge­rade nicht priesterlich geprägten Erzählung der Landnahme, die ihnen im jetzt vorliegenden Josuabuch vorangeht, festzuhalten.
Das Buch schließt mit einem ausführlichen Register, das neben Belegstellen und Stichwörtern hebräische Lexeme, Namen und Orte verzeichnet und so auch Aspekte jenseits der literarhistorischen Argumentation erschließt. Letztere kommt in hilfreicher Weise zur Anschauung in drei Anhängen, die eine Übersetzung von Jos 13–19 mit typographischer Veranschaulichung des diachronen Profils sowie Rekonstruktionen der angenommenen Quellen und Redaktionsschichten bieten. Beide Apparate tragen zum Gesamtcharakter eines Buches bei, mit dem man gut arbeiten kann. Dass eingehend mit ihm gearbeitet werden wird, ist zu wünschen und steht zu erwarten. G. ist zu danken für eine Arbeit, in deren Licht eine allzu stiefmütterliche Behandlung der Landverteilungstexte künftig noch deutlicher als der blinde Fleck der Josuaforschung wahrgenommen werden wird, den sie tatsächlich darstellt.