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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1054–1055

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hosseini, Sevil

Titel/Untertitel:

Die Rechtsstellung religiöser Minderheiten im Iran. Minderheitenschutz im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht, islamischem Recht und dem Recht der Islamischen Republik Iran.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos Verlag 2020. 487 S. = Schriftenreihe der Europäischen Akademie Bozen. Bereich »Minderheiten und Autonomien«, 33. Kart. EUR 104,00. ISBN 978-3-8487-5354-3.

Rezensent:

Christine Schirrmacher

Thema dieser rechtswissenschaftlichen Dissertation von Sevil Hosseini ist die rechtliche Lage religiöser Minderheiten in der multireligiösen Gesellschaft des Iran: Theoretisch sollten die Rechte der Minderheiten dort durch völkerrechtliche Verträge abgesichert sein, in der Praxis werden ihre Privilegien jedoch zwischen islamischem Recht und dem Recht der Islamischen Republik Iran so gut wie aufgerieben.
Zwar gehört im Iran mit über 90 % die absolute Mehrheit der Bevölkerung dem schiitischen Zweig des Islam an; nichtsdestotrotz existiert eine große Zahl ethnischer und religiöser Minderheiten. Um einen objektiven Orientierungspunkt für die Beurteilung der Frage zu finden, wie es um den Rechtsstatus dieser religiösen Minderheiten bestellt ist, stellt H. die Frage, inwiefern das iranische Minderheitenrecht dem völkerrechtlichen Vertrag des Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (IPbpR) entspricht. Dieser Pakt formulierte in Art. 27 erstmals auf internationaler Ebene einen speziellen Schutz für Angehörige religiöser Minderheiten. Nach Verabschiedung des Paktes als Resolution durch die UN-Generalversammlung trat er 1976 als völkerrechtlicher Vertrag in Kraft und wurde bisher von 168 Staaten als rechtsverbindlich ratifiziert. Im Jahr 1992 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu diesem Pakt eine interpretierende Deklaration über die Rechte der Angehörigen nationaler, ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten verabschiedet, die die Staaten zum Schutz dieser Minderheiten und zur Förderung ihrer Identität verpflichtet. 1975 wurde Art. 27 des IPbpR auch vom Iran ratifiziert. Die Frage stellt sich nun, inwiefern dieser Pakt dort bei der Ausgestaltung der Minderheitenrechte Beachtung findet.
Ein Schlüssel zum Verständnis der Rechtsstellung der Minderheiten im Iran liegt in der dort getroffenen Unterscheidung zwischen anerkannten und nicht anerkannten Minderheiten. Sie geht letztlich auf den Stifter des Islam, Muhammad, im 7. Jh. n. Chr. zurück, der Juden, Christen und »Sabier« als eine Art Teilgläubige anerkannte; sie konnten bei Eroberung ihre religiöse Selbstverwaltung erhalten, wurden jedoch zu Unterworfenen und mussten Sondersteuern entrichten. Daher sind Juden und Christen sowie Anhänger des Zoroastrismus im Iran, dessen Verfassung allein auf Schariarecht gründet, anerkannt; ihre Rechtsposition gestaltet sich im Vergleich zu anderen Minderheiten wie den Bahai, den Ahl-e Haq oder den Yeziden etwas günstiger.
Die Studie, für die H. erstmals die im Iran verfassungsrechtlich garantierten Personalstatuten der Minderheiten aus dem Persischen übersetzt und ausgewertet hat, besteht aus vier Hauptteilen:
Im ersten Teil wird der Schutz religiöser Minderheiten nach dem Völkerrecht umrissen und dafür die Entwicklungsgeschichte des Minderheitenschutzes nachgezeichnet. Auch die verschiedenen Definitionen des Minderheitenschutzes durch internationale Organisationen islamischer Länder und ihre Verlautbarungen werden erörtert, von denen etliche, wie etwa die prominente Kairoer Erklärung für Menschenrechte von 1990, den Schutz von Minderheiten unter Schariavorbehalt stellen.
Der zweite Teil nimmt die Rechtsstellung religiöser Minderheiten im islamischen Recht in den Blick. Dafür erläutert H. die Quellen, sowie in Grundzüge und die historische Entwicklung des islamischen Rechts, die Wege der Rechtsfindung sowie Unterschiede zwischen den vier sunnitischen und der (im Iran vorherrschenden) zwölferschiitischen Rechtsschule.
Im dritten Teil, dem eigentlichen Hauptteil, erläutert H. nun die Rechtsstellung religiöser Minderheiten in der Islamischen Republik Iran. Zunächst werden die wichtigsten muslimischen wie nicht-muslimischen Minderheiten des Iran vorgestellt: Sun-niten (Kurden, Turkmenen, Belutschen, Araber), Sufis (Mystiker), Ahl-e Haq, Aleviten, Zoroastrier, Juden, Christen, Bahai, Mandäer, Yeziden, Buddhisten und Hinduisten. Anschließend wird die Entwicklung des iranischen Rechtssystems bis zur Verabschiedung der Verfassung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979 nachgezeichnet. Diese Verfassung kennt keine allgemeine Gleichbehandlungsgarantie für Angehörige unterschiedlicher Religionen. Es wird deutlich, dass aufgrund der Ausrichtung der Verfassung und Gesetzgebung des Iran am Schariarecht – das als Teil der Offenbarung und daher als göttliches Recht gilt – völkerrechtliche Bestimmungen als nachgeordnet gelten und entsprechend verdrängt werden: Im Iran besitzen daher Minderheiten nur Rechte innerhalb des durch Schariarecht definierten Rahmens. Auch diese Rechte können ihnen abgesprochen werden, wenn sie etwa staatsgefährdender Umtriebe wie der (inhaltlich nicht definierten und daher sehr flexibel handhabbaren) »Verderbtheit auf Erden« verdächtigt werden, worunter auch der Abfall vom Islam fällt.
Das Unterworfensein unter Schariarecht bedeutet für Angehörige der Minderheiten das (schariarechtlich begründete) Untersagen der Ehe einer Muslimin mit einem Nichtmuslim, das Verbot, als Nichtmuslim einen Muslim zu beerben sowie eine härtere Bestrafung bei Straftaten (wie etwa Tötungsdelikten). Es bedeutet auch, dass Nicht-Muslime – ja meist sogar Nicht-Schiiten – kaum je höhere Positionen in der Gesellschaft, im Militär, der Verwaltung oder der Regierung einnehmen können. Auch steht die Religions ausübung, etwa von Christen, unter staatlicher Überwachung; Mission sowie Konversion von Nicht-Christen ist streng untersagt, jede Glaubensausübung in persischer Sprache ebenso verboten wie der Gottesdienstbesuch nicht-registrierter Personen. Schlechter bestellt ist es um nicht anerkannte Minderheiten wie die Bahai, Mandäer und Yeziden, die ihre Religionszugehörigkeit nicht einmal registrieren lassen können und keine Rechtsgrundlage für ihre Glaubensausübung, Eheschließung oder religiöse Erziehung an eigenen Schulen besitzen. Eine Ehe zwischen zwei Bahai-Angehörigen ist für den iranischen Staat nicht existent; die Eheleute leben damit rechtlich gesehen als Unverheiratete zusammen, was nach iranischem Recht eine schwere Straftat darstellt und Auspeitschung oder sogar Hinrichtung nach sich ziehen kann.
Ein kürzerer vierter Teil formuliert abschließend Möglichkeiten zur Abmilderung der genannten Einschränkungen sowie Empfehlungen für die Annäherung des iranischen Rechts an das Völkerrecht: H. schlägt dafür den Erlass von Ausnahmevorschriften durch Ministerien und Behörden vor (wie die Möglichkeit der Befreiung vom Militärdienst aus religiösen Gründen oder die Erlaubnis der nicht-islamischen Religionsausübung in persischer Sprache), da sie eine baldige Reform des Minderheitenrechts der Islamischen Republik Iran nicht für wahrscheinlich hält. Aus ihrer Sicht wird letztlich nur eine »Hinwendung des Iran zu einem Rechtsstaat mit mehr säkularen Elementen« die rechtliche Position der Minderheiten verbessern können.
Obwohl es sich hier um eine rechtswissenschaftliche Qualifikationsschrift handelt, wird aus dieser gut verständlichen Studie nicht nur der Jurist, sondern auch der Theologe, der Religions- oder Islamwissenschaftler ebenso wie der Politologe oder Soziologe reichen Gewinn haben.