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Ausgabe:

November/2020

Spalte:

1052–1053

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heyden, Katharina, u. Henrike Manuwald[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Übertragungen heiliger Texte in Judentum, Christentum und Islam. Fallstudien zu Formen und Grenzen der Transposition.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. VI, 300 S. m. Abb. = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 75. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-156312-6.

Rezensent:

Martin Rösel

Im Gefolge der beiden großen Bibelübersetzungs-Revisionsprojekte (Luther 2017 und Einheitsübersetzung) sind übersetzungstheoretische und -pragmatische Fragen wieder intensiver in das Be­wusstsein der christlichen Theologie gerückt. Im deutschsprachigen Judentum wird gerade die Bibelübersetzung von Rabbiner Philippson (ab 1844) revidiert und aktualisiert und im Islam stellt sich das Problem der Un-Übersetzbarkeit des Koran bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur Vermittlung permanent in besonderer Weise. Insofern ist der vorliegende Sammelband sehr willkommen, da er sowohl religionsübergreifend als auch interdisziplinär das Problem von Möglichkeit und Grenzen der Wiedergabe fremdsprachiger Texte mit religiösem Deutungsanspruch in den Mittelpunkt stellt. Basis war eine Tagung im Jahr 2015, die in Bern in Koopera-tion der Jungen Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina durchgeführt wurde.
Die Beiträge bearbeiten auf unterschiedliche Weise das Problem, wie angesichts der Normativität oder religiös-kulturellen Autorität eines Textes er so in eine moderne Zielsprache und/oder auch in ein anderes Medium (Comic, Kinderbibel etc.) übertragen werden kann, dass er dem Zielpublikum leicht zugänglich ist, zugleich aber die Verfälschung des Ausgangstextes vermieden wird. Aufgrund der Weite dieser Fragestellung wird im Titel von »Übertragung«, nicht einfach von »Übersetzung« gesprochen; gemeint ist die »Transposition eines Textes in einen neuen kulturellen Kontext […] die einen Medienwechsel mit umfassen kann« (9). Das Programm wird in der lesenswerten »Einführung« der Herausgeberinnen klar beschrieben (1–16), in der zudem die einzelnen Beiträge kurz vorgestellt wird. Auf S. 10 wird als Ziel des Bandes genannt, es solle gezeigt werden, wie sich durch die »Analyse der Übertragungsformen normative Vorstellungen vom heiligen Text fassen lassen« (10). Dazu allerdings hätte es auch eines zusammenfassenden Beitrags bedurft, der die einzelnen Fallstudien und ihre Ergebnisse systematisierend gebündelt hätte; so sind die Leser auf die eigene Suche nach ex- oder meist nur implizit gegebenen Antworten auf diese Leitfrage angewiesen.
Nun zu den Beiträgen im Einzelnen, wobei angesichts der De­tailfülle nur knappe Eindrücke mitgeteilt werden können:
Hanna Liss: »Wort − Klang − Bild. Zur (Un-)Übersetzbarkeit heiliger Texte im Judentum« (19–32). Vorgestellt werden sowohl die rabbinischen Traditionen der schriftlichen und mündlichen Tora und zugehörige paratextuelle Elemente. Der eigentliche Text und die hebräische Sprache erhalten eine so hohe Bedeutung, dass Übersetzungen in andere Sprachen problematisch werden, weil viele Elemente nicht übertragbar sind.
Martin Leutzsch: »Übersetzungstabus als Indikatoren normativer Grenzen in der Geschichte der christlichen Bibelübersetzung« (33–62). Der außerordentlich materialreiche und differenzierte Beitrag lenkt den Blick auf Grenzziehungen und Tabuisierungen bei christlichen Bibelübersetzungen von der Antike bis in die Neuzeit, was sowohl Einzelfragen wie die Wiedergabe des Gottesnamens als auch kanonskritische Entscheidungen wie den Umgang mit den Apokryphen einschließt.
Johanna Pink: »Text, Auslegung, Ritus. Kontroversen um die richtige und falsche Übersetzung des Korans am Beispiel Indonesien« (63–89). Am Fallbeispiel indonesischer Koranübersetzungen wird deutlich gemacht, dass es bei der Förderung oder Ablehnung bestimmter Übersetzungen nicht nur um inhaltliche Fragen, sondern auch um unterschiedlich motivierte Konflikte von Autorität und Deutungsmacht handeln kann. Weitere Faktoren sind erneut paratextuelle Fragen (hier: Leserichtung und beigegebene Kommentare) und die Adressatenorientierung der Übersetzung. Einige Abbildungen veranschaulichen die Darstellung sehr.
Christoph Kugelmeier: »Aliud est vatem, aliud esse interpretem. Zur Spannung zwischen Adressatenorientierung und Texttreue in Septuaginta und Vulgata« (93–111). Der vor allem an Hieronymus orientierte Beitrag führt in die Frühphase christlicher Diskussionen um Bibelübersetzungen; besonders instruktiv ist das oft zitierte, aber selten umfassend dargestellte Beispiel von Kürbis und Efeu in Jona 4,6. Es wird deutlich, wie differenziert Hieronymus bei der Vulgata-Übersetzung vorging, auch wenn er für seine Arbeitsweise dokumentarische Treue in Anspruch nahm.
Ronny Vollandt: »Griechisch – Aramäisch – Arabisch. Drei (un)gleiche Übersetzungskontexte im Judentum« (113–131). Der Aufsatz ergänzt den von Hanna Liss und stellt kurz Septuaginta und Targumim vor, gibt vor allem aber interessante Einblicke in Tanakh-Übersetzungen ins Arabische, bei denen sich, etwa bei Saadia, auch der Einfluss islamischer Kultur und exegetischer Traditionen erkennen lassen.
Katrin Kogman-Appel: »Die Übertragung biblischer Inhalte ins Bild: Unterschiedliche soziale und kulturelle Zielgruppen der sefardischen Buchmalerei« (135–167). Der bebilderte Beitrag vermittelt Einblicke in die Illustration verschiedener Haggadot aus dem 14. Jh., in denen eine doppelte Übertragung stattfand: zum einen die des Bibeltextes in eine Erzählung (Haggada), zum anderen die der Texte in Bilder. Hier wurde besonders durch die Gestaltung der Kleidung der jeweiligen Protagonisten deren Rolle definiert, zum anderen auch Identifikationsmöglichkeiten für die jeweiligen Leser und Leserinnen geboten.
Dorothea M. Salzer: »Altneuer Text: Jüdische Kinderbibeln und die Popularisierung der Hebräischen Bibel« (169–192). Am Beispiel von P. Beers Kinderbibel Sefer Toledot Israel (1796) wird gezeigt, wie die strengen jüdischen Überlieferungsregeln im Falle von Kinderbibeln entgrenzt werden konnten, so dass diese Bücher zugleich die Funktion der religiösen Unterweisung und der sozialen und kulturellen Orientierung in einem christlich geprägten Umfeld erfüllen konnten.
Karin Krause: »Speaking Books – Silent Pictures: Visualizing Gospel Narrative in Byzantium« (195–261). Die sehr ausführliche Studie versucht eine Abwägung zwischen »sprechendem« Text und »schweigendem« Bild am Beispiel byzantinischer Evangelienillustrationen. Dazu werden die entsprechenden theologischen und philosophischen Diskussionen nachvollzogen und mit Bildmaterial illustriert. Es zeigt sich, dass auch den Bildern zugestanden wird, nicht einfach auf den heiligen Text zurückzuverweisen, sondern selbst inspiriert zu sein.
Nora Schmidt: »Wiederholung – Erinnerung – Übertragung. Ein Deutungsversuch des Eingangsteils von Sure 5« (263–286). Der anregende (wenn auch für den Rezensenten als Bibelwissenschaftler nicht leicht eingängige) Beitrag schließt sich an Jan Assmanns im Anschluss an S. Freud formulierte Thesen zur Erinnerungskultur an und legt Sure 5 des Koran in der Perspektive der hebräischen Bibel aus. Dabei ist nicht die Perspektive der Übernahme einzelner Traditionen oder Texte leitend. Genauso wichtig sei die psychologische Dimension, nach der im Koran diskursive Auseinandersetzungen mit biblischen Deutungsmustern greifbar werden, so dass ein neues monotheistisches Paradigma gebildet wurde.
Text-, Personen- und Sachregister beschließen den interessanten Sammelband, der gerade wegen seiner diachronen und interdisziplinären Anlage auch denen neue Einsichten eröffnen wird, die bereits intensiv an Übersetzungsfragen der eigenen Konfession oder Religion gearbeitet haben.