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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

1021–1023

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Plathow, Michael

Titel/Untertitel:

Liebe und Recht. Zur Theologie der Liebe.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 190 S. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-05401-5.

Rezensent:

Christine Schliesser

Haben Liebe und Recht überhaupt etwas miteinander zu tun? Was kennzeichnet das Wesen der Liebe und was das Wesen des Rechts? Was ist dabei der Beitrag der Theologie? Und inwiefern haben Liebe und Recht Bedeutung für die aktuelle gesellschaftliche Wertediskussion bis hin zur europäischen Wertegemeinschaft? Es sind diese Fragen, denen sich Michael Plathow, Pfarrer und apl. Professor em. für Systematische Theologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, widmet. In seiner übersichtlichen und gut lesbaren Studie geht der Vf. dazu in einem Dreischritt vor: Der erste Teil »Liebe und Recht« befasst sich mit dem Wesen der Liebe, während der zweite Teil »Recht und Liebe« sich dem Wesen des Rechts zuwendet. Ein dritter Teil »Der Liebe Recht« sucht die Verbindung beider durch Bezugnahme auf den Wertebegriff herzustellen.
Auf die dezidiert theologische Perspektive seines Ansatzes macht der Vf. bereits zu Beginn aufmerksam:
»Die Explikation des Themas ›Liebe und Recht. Recht und Liebe‹ hat zur Voraussetzung die ›Theologie der Liebe‹ coram deo und coram mundo et hominibus, also den Glauben etsi deus datur: den Glauben an den dreieinigen Gott, der Liebe ist und sich als der Liebende in Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung Christi offenbar und durch seinen neuschaffenden Geist Liebe schenkt, die zur Liebe befähigt, nach Gottes Liebeswillen im dreigliedrigen Liebesgebot.« (7)
So erfolgt die Annäherung an den Liebesbegriff auch primär aus theologischer Perspektive, mit philosophie- und geistesgeschichtlichen Streiflichtern. Neben Platon und Aristoteles geschieht dies vor allem in Auseinandersetzung mit Augustin, Thomas und Luther. Auf diese Weise wird ein vielschichtiges Bild von Liebe ge­zeichnet, das neben Eros, Epimeleia und Philia auch die Dimensionen des Gefühls und der Empfindsamkeit, der Hingabe, des Libido bis hin zu Nietzsches Verachtung der Liebe als Sklavenmoral enthält. Die Einheit in dieser Vielheit wird wiederum durch den theologischen Bezug gewährleistet: »Liebe in ihrer Vieldimensionalität ist eine Ganzheit, die mehr ist als ihre Teile, was allein durch den Gottesbezug gewährleistet ist.« (79) Während die konsequente Rückbindung der Argumentation an den Glauben an den dreieinigen Gott sub specie fidei einleuchten mag, wäre für die nicht- oder an­dersreligiöse Leserschaft eine Übersetzungsleistung in theologisch weniger aufgeladene Begrifflichkeiten wünschenswert gewesen.
Das Rechtsverständnis wird im zweiten Teil u. a. im Bezug auf die Ansätze von Ralf Dreier, Wolfgang Huber und Wolfhart Pannenberg entfaltet. Als konstitutiv für das Recht wird mit Pannenberg und unter Rückgriff auf Fichte die wechselseitige Anerkennung herausgearbeitet, die in gleicher Weise das Wesen der Liebe bestimmt. Im Anschluss an Huber wird dies im Blick auf den Beitrag der Theologie näher ausgeführt: »Der Beitrag der Theologie für die rechtstheoretische Diskussion auf der Basis des etsi deus non daretur […] ist konzentriert auf die Verbindung von Recht und Gerechtigkeit, auf die wechselseitig aus Freiheit gewährte Anerkennung, auf die Solidarität als normative Voraussetzung des ›Nächstenverhältnisses‹, das in der Liebe gelebt wird.« (111) Besondere Produktivität für die Begründung des staatlichen Rechts sowie für die Verhältnisbestimmung von Liebe und Recht kommt laut dem Vf. der Zwei-Regimente-Lehre zu. Deren Erklärungswert sieht der Vf. darin, »die unterschiedlichen, sich oft verselbständigenden Aspekte von Liebe und Recht im geistlichen und weltlichen Regiment auf ihre jeweilige Einheit hin zu betrachten und diese in der Liebe des dreieinigen Gottes begründet zu sehen« (140). Während die ordnende Kraft dieser theologischen Gedankenfigur zu Recht betont wird, fehlt eine kritischere Wahrnehmung, nicht zuletzt ihres »pseudo-lutherischen« Missverständnisses während der NS-Zeit, in der die sogenannte »Zwei-Reiche-Lehre« zu einer »Zwei-Bereiche-Lehre« pervertiert wurde und deren fatale Folgen etwa Dietrich Bonhoeffer vehement bekämpfte.
In dritten Teil schließlich werden Liebe und Recht, deren Verhältnis der Vf. als »Analogie, trotz struktureller Differenz« (144) fasst, im Begriff der Werte noch enger miteinander verknüpft. Im Anschluss an Max Scheler erweist sich für den Vf. die Liebe als das intuitive Erfassen von Werten, während Werte zugleich dem Recht zugrunde liegen. Aus theologischer Perspektive ergibt sich aus dem Dargestellten folgender Auftrag für die evangelische Christenheit: »Protestantische Christen und Kirchen beteiligen sich konstruktiv und kritisch am werteethischen Diskurs zu Grund- und Menschenrechten, zu allgemeinen Prinzipien des Rechts wie zu denen der ›europäischen Wertegemeinschaft‹ und sind zugleich des erhaltenden Liebeswillens Gottes durch diese geschichtlichen ›Werte‹ in der Welt gewiss.« (176) Nicht zuletzt wird es auch dem begrenzten Umfang dieser Studie geschuldet sein, dass die eine oder andere Frage offenbleiben muss. Dennoch wird der im Vorwort geäußerte Wunsch des Vf.s, dass »der Leser, der Freude hat an der Thematik, das Buch mit Gewinn lesen« möge, sicher auf fruchtbaren Boden fallen.