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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

1019–1020

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Heinig, Hans Michael

Titel/Untertitel:

Prekäre Ordnungen. Historische Prägungen des Religionsrechts in Deutschland.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XII, 94 S. m. Abb. Kart. EUR 10,00. ISBN 978-3-16-156217-4.

Rezensent:

Christoph Stumpf

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist im christlichen Abendland ein »Dauerbrenner« theologischer und juristischer Wissenschaft. Zu jeder Zeit warf das Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Macht, zwischen Moral und Recht und zwischen Kirche und Staat ausreichend Fragen auf, um die Aufmerksamkeit einer großen Zahl von Wissenschaftlern und Praktikern zu beschäftigen. Nie kam man in dieser Beschäftigung freilich zu dauerhaften Antworten. Nie waren alle oder auch nur die meisten mit den aktuellen Lösungen wirklich nachhaltig zu frieden. Allein schon die gegenwärtige Debatte, ob man dasjenige Teilgebiet des Verfassungsrechts, das sich mit Religion und Kirche befasst, mit dem traditionellen Begriff als »Staatskirchenrecht« oder doch eher mit dem möglicherweise neutraler anmutenden Begriff des »Religionsverfassungsrechts« anredet, ist eine Ausprägung des stetigen Wandels auf diesem Feld.
Die Dynamik der Materie versucht Hans Michael Heinig mit dem Titel »Prekäre Ordnungen« zu erfassen, unter dem er eine kurz gefasste Skizze der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Kirche und Reformation seit der Frühen Neuzeit bietet.
Nach einer kurzen Einführung (3 Seiten) befasst sich H. in einem Kapitel »Neuzeitliches Religionsrecht unter Bedingungen des nachreformatorischen Bikonfessionalismus« (12 S.) mit der Loslösung der Verfassung des alten Reiches von der römisch-katholischen Konfession, deren Ergebnis er als »Reformationsfolgenrecht« bezeichnet.
Im Kapitel »Pluralisierungsprozesse: Der lange Weg von der landesrechtlichen Duldung zur wechselseitigen Anerkennung als Freie und Gleiche« (17 S.) deckt die Zeit von der Aufklärung über den Konstitutionalismus bis hin zum Ende der Monarchie ab.
Das Kapitel »Von der Weimarer Reichsverfassung bis zum Ende des Dritten Reiches (1919–1945)« (16 S.) zeichnet den Weg vom Ende der Staatskirche über die Situation der Kirchen im Dritten Reich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nach.
Ein eigenes Kapitel »Der Weg zum Grundgesetz: 1945–1949« (8 S.) beschäftigt sich mit der Lage der Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei sowohl die Diskussionen bei der Schaffung der neuen Länderverfassungen als auch im Parlamentarischen Rat im Hinblick auf die Regelungen des Grundgesetzes gestreift werden.
Im anschließenden Kapitel »Die religionsrechtliche Entwicklung in der Bundesrepublik (1949–1969)« (7 S.) wird eine für die rechtliche Dogmatik des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sehr fruchtbare Periode nachgezeichnet.
Es folgen schließlich noch ein »Ausblick bis zur Gegenwart« (3 S.) und ein »Resümee« (3 S.) sowie ein Anhang von Normtexten aus der Zeit von 1648 bis 1919 (11 S.). Verschiedene Abbildungen, ein Literatur- sowie ein Stichwort- und Namenverzeichnis ergänzen diesen Band.
Mit diesem Werk ist H. eine konzise und anschauliche Darstellung des Staatskirchenrechts – auch wenn er es so nicht bezeichnen würde – in seiner Entwicklung von der Reformationszeit bis zur Gegenwart gelungen. Trotz der sehr knappen Fassung gelingt es ihm doch, die Aufmerksamkeit auf Materien zu lenken, die ge­meinhin eher der Vernachlässigung anheimfallen, wie etwa die Regelungen der Landesverfassungen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Diskussionen im Parlamentarischen Rat, die dann doch zum Rückgriff auf den Normbestand der Weimarer Reichsverfassung führten. Die knappe Fassung ist trotz bisweilen doch recht komplexer Begriffsbildungen schon ein Verdienst für sich und bedeutet zwangsläufig den Verzicht auf viele Einzelthemen, die ein interessierter Leser vielleicht auch als wesentlich betrachten könnte. Hier sei dann aber doch ein Bedauern darüber angemerkt, dass die Situation der Kirchen in der DDR fast völlig unberücksichtigt geblieben ist.