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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

1011–1012

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas, u. Jakob Kühn [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bestattung als Dienstleis-tung. Ökonomie des Abschieds.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2019. 176 S. m. 8 Abb. u. 1 Tab. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-17-036164-5.

Rezensent:

Ulrike Wagner-Rau

Wie verknüpfen sich in den dynamischen Veränderungen des Geschehens rund um die Bestattung unterschiedliche Dienstleis-tungen und ihre jeweiligen Wertorientierungen? Sind auch Pfarrpersonen in diesem Handlungsfeld als Dienstleister anzusehen, und ist dies eine theologisch angemessene Zuschreibung? Schließlich: Wie verändert sich der Blick auf den kirchlichen Beitrag zur Bestattung, wenn man sie als Dienstleistung betrachtet? In diesem Fragehorizont bewegen sich die Beiträge des Aufsatzbandes, der aus den Vorträgen der 7. Funerale in Rostock hervorgegangen ist. Das ist ein Tagungsformat, das sich unter der Leitung von Thomas Klie zu einem interdisziplinäres Forum für die Diskussion vielfältiger Fragen der Bestattungskultur zwischen Theorie und Praxis entwickelt hat.
In drei Teilen werden die Beiträge präsentiert, in einem vierten resümiert der Mitherausgeber Jakob Kühn wesentliche Erträge der Tagung.
Vor allem der erste Teil beschäftigt sich im engeren Sinn mit dem titelgebenden Thema des Bandes: Religion und Ökonomie ist das verbindende Thema der Aufsätze. Jens Schlamelcher arbeitet heraus, wie sich in der Tätigkeit der Bestattungsinstitute, die seit dem 19. Jh. nach und nach die Gesamtorganisation des Abschieds von den Toten übernommen haben, unterschiedliche Systemlogiken spannungsvoll verknüpfen. Zum einen geht es um Würde und Zuwendung im Umgang mit den Toten und Hinterbliebenen, zum anderen aber zwangsläufig auch um ein Geschäft, das zweckrationalen Gesichtspunkten folgt. Der zweite Aspekt ist um des ersten willen im Kontakt zu den Kunden tendenziell tabuisiert. Andererseits ist er die notwendige Folge davon, dass den Angehörigen die »Mühekosten« im Umgang mit dem Leichnam abgenommen werden. Christian Brock, Maxi Bergel und Christopher Kaatz bringen ihre Expertise für Marketing und Dienstleistungsforschung ein. Sie stellen dar, was im Fachdiskurs als Dienstleistung verstanden wird, und zeigen auf, wie Individualisierung und Digitalisierung neue Anforderungen an diesen wirtschaftlich immens wichtigen Bereich stellen. Ähnliches ließe sich auch für den Be-reich der Bestattung beschreiben. Folkert Fendler plädiert dafür, die kirchliche Reserve dagegen aufzugeben, Bestattungen als Dienstleistung zu verstehen, und stattdessen die Spezifik ihres theologisch-inhaltlichen Profils zu akzentuieren. Hilmar Gattweiler emp­fiehlt, das komplexe Interaktionsgeflecht der Akteure, die den Abschied von den Toten gestalten, durch die unterschiedlichen Handlungslogiken durchsichtiger zu machen, die sich aus dem Modell der Kirche als Hybrid aus Bewegung, Organisation und Institution ergeben.
Der zweite Teil thematisiert vor allem die Frage, wie kirchliche Predigten angesichts des Todes und die Praxis freier Redner zusammenhängen bzw. sich unterscheiden. Ungewöhnlich hier besonders der Beitrag des Trauerredners Martin Schulz, der seine Tätigkeit dezidiert als eine pastorale Tätigkeit außerhalb der Kirche be­schreibt. Er vertritt die These, dass er erst jenseits des kirchlichen Auftrags die nötige Freiheit dafür gewonnen habe, bei jeder Trauerrede neu darüber zu reflektieren, was es heißt, von Gott zu reden. Ebenso interessant zu lesen ist die Analyse von Trauerreden durch Elina Bernitt. Sie fragt nach dem Trostreichen in diesen Reden und danach, ob darin Aussagen eine Rolle spielen, die mit einer transzendenten Dimension rechnen. Eines ihrer Ergebnisse: Einerseits taucht erstaunlich selten eine explizite Leugnung des Transzendenten auf, andererseits wird ebenso selten – und dann sehr vorsichtig – die Existenz eines höheren Wesens erwähnt.
Schließlich stehen im dritten Teil die Orte der Bestattung im Fokus, nämlich Friedhof und Kirchenkolumbarien. Zwei Praxisberichte erzählen von einem Fest auf dem Friedhof der Kirche in Eystrup/Niedersachsen und der Pflege einer besonderen Erinnerungskultur auf dem Keitumer Friedhof, von Aktivitäten also, die die Bedeutung dieses Ortes für das Gemeinwesen herausstellen. Thomas Klie präsentiert die Ergebnisse der Rostocker Rezeptionsstudie zum – für das Thema der Umnutzung von Kirchräumen wichtigen – Projekt der Kirchenkolumbarien in Niedersachsen.
Insgesamt zeigen sich in den Beiträgen die Berührungs- und Spannungspunkte zwischen der kirchlichen Praxis und den Praxisformen jenseits der Kirche, zwischen theologischer und ökonomischer Logik. Vieles ist nicht ganz neu, aber es eröffnen sich auch unerwartete Einsichten, die die Lektüre lohnend machen. Schade ist es, dass das Thema der Kooperation der unterschiedlichen Dienstleister im Zusammenhang des Bandes kaum Thema ist, obwohl die Einführung eine solche Erwartung weckt. Es könnte ja sein, dass das notwendige Zusammenwirken auch aus pastoraler Perspektive selbstverständlicher wird, wenn man das eigene Wirken als eine Dienstleistung im Zusammenspiel mit den anderen versteht – selbstverständlich mit einem spezifischen inhaltlichen Profil.