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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

981–982

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie der Natur. Zur Konzeption Wolfhart Pannenbergs.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. 210 S. = Pannenberg-Studien, 5. Geb. EUR 75,00. ISBN 978-3-525-56475-2.

Rezensent:

Markus Knapp

Pannenbergs zentrales theologisches Anliegen, Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit zu denken, erfordert es, auch den Na­turprozess miteinzubeziehen und theologisch zu reflektieren. Um im Kontext der Moderne diskursfähig zu sein, muss sich eine solche Theologie der Natur auf Augenhöhe mit den Naturwissenschaften und ihren Erkenntnissen bewegen. Das hat Pannenberg veranlasst, sich über Jahrzehnte intensiv auf naturwissenschaft-liche Theorien einzulassen und sie schöpfungstheologisch zu in-tegrieren. Die Beiträge des hier anzuzeigenden Bandes, die mit einer Ausnahme anlässlich eines Pannenberg-Kolloquiums 2018 in München entstanden sind, behandeln die wesentlichen Themen, die Pannenberg dabei bearbeitet hat.
In seinem Vorwort gibt der Herausgeber einen instruktiven Überblick über die einschlägigen Texte Pannenbergs und die darin sich zeigende Entwicklung seiner Sicht des Verhältnisses von Schöpfungstheologie und Naturwissenschaft. Die folgenden Beiträge diskutieren dann die Fragestellungen, die Pannenberg bei seinem Bemühen um eine Klärung dieses Verhältnisses bearbeitet hat mit dem Ziel, »Themen der Naturwissenschaften und deren Ergebnisse in den Kontext der Theologie zu integrieren« (15).
Zwei Beiträge beschäftigen sich zunächst mi dem physikalischen Verständnis des Raumes und seinem Verhältnis zum Gottesgedanken. Den Ansatzpunkt für Pannenberg bildete dabei der Disput zwischen Leibniz und Samuel Clarke, einem Schüler Newtons, im 18. Jh. Gunther Wenz referiert diese Kontroverse und zeigt, wie Pannenberg unter Rückgriff auf die Lehre von den Attributen Gottes, insbesondere das der Unendlichkeit, sowie unter Miteinbezug des auf Faraday zurückgehenden physikalischen Kraftfeldbegriffs die Vorstellung des unendlichen Raumes als einer von Gott geschaffenen Wirklichkeit mit dem trinitarischen Gottesgedanken verbindet (15–44). Manuel Zelger diskutiert dann die Frage, wie die Unendlichkeit des Raumes mit dem Verständnis Gottes als des wahrhaft Unendli-chen konsistent zusammengedacht werden kann, um Pannenbergs These zu überprüfen, der Raumbegriff impliziere den Gottesbegriff (45–61).
Die beiden folgenden Beiträge setzen sich mit dem Zeitverständnis Pannenbergs auseinander. Während Karl-Hinrich Manzke den Bezug zu den Naturwissenschaften abblendet und sich auf Pannenbergs Verständnis der Zeit als Signum des Kreatürlichen und die zeitliche Existenzweise als Grund des Verlangens nach Ganzheit fokussiert (63–72), verdeutlicht Friederike Nüssel, wie Pannenberg die Revision der neuzeitlichen Vorstellung von der Unendlichkeit der Welt durch die moderne physikalische Kos-mologie für die theologische Schöpfungslehre und Eschatologie fruchtbar zu machen versucht (73–91).
Mit nur sehr lockerem Bezug zu Pannenberg erörtert Stefan Bauberger das Verhältnis von Urknalltheorie und theologischem Schöpfungsverständnis (93–98), wobei er sich für seine Version des Schöpfungsbegriffes, wonach die Welt existiert, weil sie gut ist und das gleichbedeutend sei mit ihrer Göttlichkeit, gewiss nicht auf Pannenberg berufen kann. Ulrich Beuttler wirft einen kri-tischen Blick auf Pannenbergs Bemühen, das Wirken Gottes in der Welt mittels physikalischer Feldtheorien zu plausibilisieren, und plädiert dafür, dieses Anliegen weiterzuführen mithilfe eines offenen Weltbegriffes, der es erlaubt, den naturgesetzlichen Zu­sammenhang in einem nichtdeterministischen Sinne zu ver-stehen und so Kausalität und Kontingenz zusammenzudenken (99–108).
Die beiden folgenden Beiträge sind Pannenbergs theologischer Rezeption der Evolutionstheorie gewidmet. Auch im Beitrag von Walter Dietz (109–131) steht der Begriff der Kontingenz im Zentrum. Pannenberg möchte ihn aber nicht gegen die Naturgesetzlichkeit ausspielen, sondern diese als umgriffen von einem kontingenten Geschehen denken, um so Schöpfung primär als creatio continua im Sinne eines kontinuierlichen Prozesses verstehen und auf diese Wiese eine innere Harmonie zwischen Schöpfungsgedanken und Evolutionstheorie aufweisen zu können. Dem nähert Josef Schmidt sich im Ausgang vom Gedanken der creatio ex nihilo (133–142). Wenn sie begriffen wird als Sich-selbst-gegeben-Sein der Welt, so impliziert das, dass weltliches Sein als prozesshaft auf ein Ziel hin ausgerichtet gedacht werden muss. Als alles integrierende Einheit stellt dieses Ziel vor die Frage nach Gott.
Hans-Dieter Mutschler nimmt Pannenbergs Ablehnung einer natürlichen Theologie, die die Existenz Gottes ohne Glaubensvoraussetzungen plausibel zu machen vermag, kritisch in den Blick (143–152). Er hält Pannenbergs Theologie der Natur in dieser Hinsicht für ergänzungsbedürftig. Sie kann zwar zeigen, dass die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse durch den Schöpfungsgedanken interpretierbar sind, doch eine solche Interpretation kann auch von ganz anderen weltanschaulichen Optionen her erfolgen. Deshalb müsse die Existenz Gottes auf anderem Wege erwiesen werden, um die theologische Interpretation der Natur zu stützen. Es ist fraglich, ob diese Kritik Pannenberg tatsächlich trifft oder ob nicht vielmehr seine Theologie der Natur als Plausibilisierung des Gottes- und Schöpfungsgedankens zu lesen ist.
Paul Schroffner greift nochmals die Frage nach dem Verhältnis von Naturgesetzlichkeit und Kontingenz auf, um das daraus resultierende Verständnis einer Geschichtlichkeit der Natur für Pannenbergs Theologie zu verdeutlichen (153–169). Den Abschluss bildet ein Beitrag von Thomas Oehl, der sich mit der Hegelinterpretation des amerikanischen Philosophen John McDowell auseinandersetzt. Das stellt zwar keinen Beitrag zur Diskussion von Pannenbergs Theologie der Natur dar; die Entfaltung von Hegels Verständnis der Selbstoffenbarung des Geistes in der Geschichte verweist aber auf den philosophischen Bezugsrahmen von Pannenbergs Wirklichkeitsverständnis, das auch für seine Theologie der Natur bestimmend ist.
Das Buch bietet einen Einblick in die Diskussion der theologischen Rezeption der Naturwissenschaften bei Wolfhart Pannenberg. Es ist daher nicht nur für diejenigen von Interesse, die sich mit seiner Theologie eingehender beschäftigen, sondern auch für am Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft Interessierte. Allerdings wird von keinem der Autoren dieses Bandes die Frage nach der Angemessenheit von Pannenbergs Bestreben thematisiert, Erkenntnisse der Naturwissenschaft in die Theologie zu integrieren. Dabei bleibt unreflektiert, dass die Naturwissenschaften auf der Basis eines methodischen Atheismus arbeiten und daher theologische Aussagen aus ihren theoretischen Erklärungssystemen ausgeschlossen bleiben müssen. Naturwissenschaftliche und theologische Aussagen sind auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt; anders als die Naturwissenschaften kann die Theologie keine Erklärungen in Bezug auf den Naturprozess liefern. Diese Differenz zwischen beiden wird bei Pannenbergs Theologie der Natur nicht hinreichend bedacht und auch in dem vorliegenden Band nicht thematisiert.