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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

947–948

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Pazzini, Domenico

Titel/Untertitel:

Gesù il Cristo in Origene.

Verlag:

Torino u. a.: Claudiana (Paideia) 2017. 271 S. = Studi biblici, 191. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-88-394-0911-9.

Rezensent:

Lorenzo Perrone

In der gegenwärtigen Lage der Origenes-Studien stellt Domenico Pazzini eine einzigartige Erscheinung dar. Wie seine Forschungsberichte bzw. Rezensionen beweisen, kennt sich kaum jemand so ausführlich wie er über die neuere Sekundär-Literatur zum Alexandriner aus. Nicht minder gründlich ist seine Kenntnis der Werke des Origenes, wobei er den Johannes-Kommentar (= CIo) bevorzugt. Dieser Schrift hat er sein erstes Buch gewidmet, in dem er sich auf die Auslegung des johanneischen Prologs beschränkt ( In principio era il Logos. Origene e il prologo del Vangelo di Giovanni, Brescia 1983). Jetzt hat er das ganze überlieferte Werk zum Gegenstand einer neuen Untersuchung genommen, die er allerdings in der Zwischenzeit durch eine andere Monographie zur Sprache und Theologie von CIo vorbereitet hat (Lingua e teologia in Origene. Il Commento a Giovanni, Brescia 2009). All diese Arbeiten unterstreichen zusätzlich die Einzigartigkeit eines Forschers, der nicht auf bekannten und viel betretenen Wegen geht. Es wäre also verfehlt, P. nur als einen außerordentlich belesenen Spezialisten einzustufen. Wie vor allem seine Aufmerksamkeit für die Sprache des Origenes verrät, geht es ihm darum, nicht den literarischen Aspekt an sich zu betrachten, sondern den Zusammenhang mit der theologischen Argumentation zu beleuchten. Wir sollten dieses Anliegen im Auge behalten, wenn wir zu einer angemessenen Bewertung des neuen Buches kommen wollen.
Eine solche Einschätzung ist allerdings nicht leicht, denn P. zeichnet sich noch durch seinen eigenwilligen Stil aus. Dieser neigt nämlich dazu, sich in knappen Notizen zu ergehen, wenn nicht sich in hermetisch anmutenden Formulierungen zu äußern. Bei der Lektüre wird man insofern dazu aufgefordert, einen »Höhenflug« mit dem Text und dem Denken des Origenes anhand von CIo mitzumachen. Dem Rezensenten fällt es deshalb schwer, die Un­tersuchung so zusammenzufassen, dass sie dem Leser in ihrer tiefsinnigen Art verständlich wird.
Wie erwähnt, behandelt P. diesmal die ganze Schrift, fängt aber nicht unmittelbar mit dieser an, sondern schickt ihr eine Einführung voraus (9–28), die die nachfolgende Untersuchung hermeneutisch anstimmen soll. Es sind hier Auszüge und Leseeindrücke aus früheren Interpreten, von Kyrill von Alexandrien bis zu Hans Urs von Balthasar, mit denen P. einen Dialog sucht, um mithilfe von diesen »Weggefährten« seine Fragestellung aufzubauen. Diese und andere später hinzutretende Zeugen begleiten auch weiterhin die Analyse. Es ist das beeindruckende Zeichen einer spekulativen »Langatmigkeit« P.s, der Origenes ins Gespräch mit anderen theologischen bzw. philosophischen Entwürfen bringen will: Plato und Plotinus unter den antiken Autoren, Bultmann und Benjamin unter den neueren.
Die Untersuchung folgt im Wesentlichen dem Aufbau von CIo, wobei sie aber mit dem 6. Buch beginnt und mit den ersten zwei Büchern endet. Dementsprechend rückt zunächst der Jesus der Geschichte vor dem menschgewordenen Logos in den Vordergrund. Es sind insgesamt zehn Kapitel, die folgende Themen be­handeln:
1. Der Täufer und Jesus (29–46); 2. Der Tempel und die Kaufleute (47–66); 3. Die Samariterin (67–87); 4. und 5. Die Kontroverse mit den Juden (88–108.109–124); 6. Die Weissagung Kaiphas (125–141); 7. Symbol und Analogie (Joh 13,4.13) (142–160); 8. Die Herrlichkeit und die Stunde (Joh 13,31) (161–185); 9. und 10. Der Logos (186–209.210–234). Der Schluss unter dem Titel »Jesus der Christus« (235–248) fasst die Ergebnisse für das Christus-Bild von CIo zusammen, was sowohl die »ökonomischen« als auch die »innertrinitarischen« Aspekte betrifft. Vier Anhänge befassen sich mit einzelnen Motiven: 1. Der ganze Wille des Vaters (CIo 13,231); 2. Der Erstgeborene der Schöpfung (Kol 1,15); 3. Widerspruch und ἀκολουθία; 4. γένεσις/ὄν (249–264). Es folgen zwei Register: 1. Die Origenes-Stellen; 2. Die griechischen Termini (265–272).
Die Methode P.s bleibt durchgehend dieselbe: Ohne die einzelnen Bücher von CIo ganz analysieren zu können, beschränkt er sich auf ausgewählte Stellen, die aber den gedanklichen Prozess der Exegese herauskristallisieren sollen. Es sind sozusagen die theologischen Nerven und Gewebe, die in erster Linie sprachlich und dann argumentativ eruiert werden müssen. Das verlangt einen äuerst sorgfältigen Umgang mit dem Text, den P. in einer Weise leis­-tet, die unter den heutigen Forschern ohnegleichen ist. Es schwindet zunehmend die Vertrautheit mit den alten Sprachen (wenn nicht sogar mit manchen modernen). Der Versuch, die Sprache des Origenes in ihrer syntaktischen Dichte und ihrem dialektischen ductus zu begreifen, führt P. dazu, sich auch mit Fragen der Übersetzung zu beschäftigen. Um nur ein Beispiel zu geben, wie eine derartige Lektüre akribisch wirkt, nehmen wir die Diskussion um die Übersetzung von CIo 28,167 (138–140). Im Unterschied zu den anderen Übersetzern, die P. ab und zu vergleicht (wie Gögler, Corsini, Blanc, Heine u. a.), ist er der Einzige, der ὡς (im Satz: ὡς εἶναι τὰ ἑξῆς) konsekutiv versteht, statt es komparativ oder kausal aufzufassen. Dadurch gewinnt für ihn die Erniedrigung Christi ihre Singularität, während die Verdammung einen allgemeinen bzw. abstrakten Charakter hat. Mag ein solcher Ansatz nicht in jedem Fall überzeugend sein und gelegentlich auch den Verdacht einer gewissen Spitzfindigkeit erwecken, lässt sich trotzdem sein Wert nicht bestreiten: Er lädt einfach dazu ein, Sprache und Denken des Origenes auf diese besondere Art neu zu »schmecken«.
Perspektivisch gesehen, mutet auch im Hinblick auf die zu­künftige Dogmenentwicklung für P. das Christus-Bild von CIo durchaus klassisch an, speziell, was das Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Sein in Jesus Christus angeht. Diese Verbindung kommt zum Beispiel bei der Erklärung der Tempelreinigung vor (57). Ausgehend vom Wort ἄτακτον (CIo 10,147), womit Origenes das auffällig »unordentliche« Benehmen Jesu mit den Kaufleuten bezeichnet, diskutiert P. seine Auslegung dieser Haltung. Die anscheinende »Gewalt« (ὕβρις) des Menschen Jesus ge­staltet sich demnach als seine göttliche »Macht« (δύναμις). Im Gespräch Jesu mit der Samariterin bemerkt P. den Schatten, den die fehlende Anwendung von ὁμοούσιος für die Beziehung zwischen Vater und Sohn wirft (68). Doch soll die Überordnung des Vaters gegenüber dem Sohn und dem Heiligen Geist im Zusammenhang gesehen werden. Dies erlaubt wiederum, auch die Bewegung im Denken des Origenes in Richtung auf die Gemeinschaft und Gleichheit zwischen Vater und Sohn festzustellen (72–73). Schließlich darf man noch auf die Ausblicke hinweisen, die die johanneische mit der paulinischen Christologie zum Thema Herrlichkeit in Verbindung bringen (177–185). Es sind jedoch nicht die letzten »Illuminationen«, die dies anspruchsvolle und herausfordernde Buch dem aufmerk- samen und geduldigen Leser gewährt. Wer P.s Gedankengängen aufmerksam folgt, versteht, warum er am Ende die Frage nach der Einheit von CIo auf paradoxe Weise beantwortet: »Diese Einheit be­steht in dem unmöglichen Ausdruck des Undenkbaren.« (247)