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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

945–946

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lenski, Noel

Titel/Untertitel:

Failure of Empire. Valens and the Roman State in the Fourth Century A. D.

Verlag:

Berkeley: University of California Press 2014. XIX, 454 S. m. Abb. u. Ktn. = The Transformation of the Classical Heritage, 34. Kart. US$ 34,95. ISBN 978-0-520-28389-3.

Rezensent:

Raphael Brendel

Diese Rezension bedarf einer kurzen Rechtfertigung, die sich aus der Publikationsgeschichte des Werkes erklärt: Ausgangspunkt ist die Dissertation von Noel E. Lenski (Princeton 1995), die 2002 als Buchfassung erschien. 2014 wurde sie in einer Paperbackversion ohne Änderungen neu aufgelegt und 2019 erschien eine italienische Übersetzung, die neben zwei neuen Vorworten (von Giusto Traina und von L. selbst) eine Reihe von Ergänzungen enthalten soll und als eigentliches Hauptobjekt der Rezension geplant war. Wohl aufgrund der schwierigen gegenwärtigen Lage, von der Italien besonders stark betroffen ist, ergab es sich, dass mir nur das Rezensionsexemplar der Neuauflage von 2014, jedoch nicht das der italienischen Übersetzung, die in den hiesigen Bibliotheken auch noch nicht vorhanden ist, vorliegt. Um meine Verpflichtung ge­genüber dem Verlag sowie der Redaktion und Leserschaft dieser Zeitschrift abzuleisten, schicke ich daher meine Ausführungen zu der Fassung von 2014 voraus, auf denen die auf unbestimmte Zeit verzögerte Rezension der italienischen Übersetzung aufbauen wird.
L. bietet im Wesentlichen eine Biographie des Kaisers Valens (regierte 364–378), dessen Darstellung in den Quellen und auch oft in der Forschungsliteratur durch zwei Aspekte geprägt ist: Als Anhänger des homöischen Glaubensbekenntnisses galt er für die sich kurz darauf durchsetzenden Vertreter des Nicaenums als Häretiker, was zu einer entsprechend negativen Darstellung als Verfolger in den meisten erhaltenen christlichen Quellen führte. Zudem fiel er 378 im Rahmen der schwerwiegenden Niederlage gegen die Goten bei Adrianopel, einem wesentlichen Abschnitt der Geschichte der Völkerwanderung.
Das Werk besteht aus sieben Kapiteln, die größtenteils chronologisch angeordnet sind: Das erste (14–67) behandelt die Zeit von der Wahl Kaiser Jovians (dem ersten christlichen Kaiser nach dem heidnischen Restaurationsversuch Julians und direkten Vorgänger von Valentinian I. und seinem Bruder und Mitherrscher Valens) bis 365. Die Ereignisse von 365, namentlich die Usurpation des Julianverwandten Procopius, sind Thema des zweiten Kapitels (68–115). Die nächsten beiden Abschnitte haben mit dem ersten Gotenkrieg (116–152) und den Beziehungen zu Persien (153–210) außenpolitische Schwerpunkte, wohingegen die Innenpolitik im Kapitel zur Reli-gionspolitik (211–263) und in dem zu Verwaltung und Finanzwesen (264–319) zu ihrem Recht gelangt. Das letzte Kapitel (320–367) be-fasst sich mit der Schlacht von Adrianopel und ihrer Vorgeschichte. Vier Anhänge behandeln Festungsbauten (375–379), die Verwaltung Armeniens durch Persien (381–383), Naturkatastrophen unter Va­lens (385–391) und die kaiserliche Bautätigkeit (393–401).
L.s Buch ist, wie schon in den Rezensionen der Erstauflage festgestellt wurde, ein wertvoller Beitrag zur Spätantike von weiterführendem Wert. Viele seiner Thesen haben sich als tragfähig erwiesen oder stellen zumindest einen wesentlichen Ausgangspunkt für weitere Forschungen dar. Die Anerkennung, die der verdiente Forscher, dessen neuere Studien sich mit der spätantiken Sklaverei und dem Zeitalter Konstantins befassen, in Fachkreisen genießt, zeigt sich darin, dass er seit einigen Jahren einen Lehrstuhl in Yale innehat.
L.s weitere Forschungen zu Valens sind im Literaturverzeichnis erfasst (427), wozu zwei Rezensionen (Tijdschrift voor Geschiedenis 108 [1995], 279–280; Journal of Roman Studies 87 [1997], 311) ergänzt werden könnten. Der dort angekündigte Beitrag zur Rekrutierung von Mönchen für das Heer ist kurz darauf erschienen (Dumbarton Oaks Papers 58 [2004], 93–117), später folgten noch ein Aufsatz zur Chronologie der Aktionen des Valens an der Ostgrenze (Ammianus after Julian, Leiden 2007, 95–127) und eine Rezension (Historische Zeitschrift 291 [2010], 775–777).
Es versteht sich von selbst, dass nicht jede These unangreifbar ist. Um nicht zu ausführlich zu werden, beschränke ich mich auf zwei Fälle, die für die Leser dieser Zeitschrift von besonderem Interesse sind:
1) Die Wahl Kaiser Jovians (15–16) ist nach L. das Ergebnis einer Aktion der protectores, der kaiserlichen Leibwache, die sich gegen das eigentliche Wahlgremium durchsetzen konnten. Die These ist in seinem auf S. 427 zitierten Beitrag ausführlicher dargelegt, worin er zudem das Element christlichen Widerstandes gegen Julians Religionspolitik als Grund für die Wahl hervorhebt. Auch wenn man davon absieht, dass die These mit dem problematischen Bericht des Ammianus steht und fällt, spricht noch dagegen, dass weder Julians Vorgehen gegen christliche Soldaten (dazu Hans C. Teitler, The last pagan emperor, New York 2017, 107–117) noch seine Maßnahmen in Bezug auf die protectores (dazu Raphael Brendel, Kaiser Julians Gesetzgebungswerk und Reichsverwaltung, Hamburg 2017, 179–182, dort auch 180 mit Anm. 611 zu L.s Deutung einer Passage bei Mamertinus) so schwerwiegend ist, wie von L. vorausgesetzt. Zudem sehe ich nicht, wie die auf S. 20, Anm. 43 zitierte Passage des Themistios beweist, dass der Präfekt Salutius das Kaisertum 364, nicht aber 363 oder zu beiden Gelegenheiten abgelehnt haben soll.
2) L. nimmt an, dass Valens im Jahr 366 getauft wurde (243–244), wofür er sich aber nur auf den wenig zuverlässigen Theodoret und eine in dieser Form keine eindeutige Datierung zulassende Notiz der Chronik des Hieronymus stützt, zugleich aber die deutlich plausiblere These, dass die Taufe 364 während einer schweren Krankheit erfolgte, nicht einmal vollständig referiert (243, Anm. 181).
Zu der Erstauflage liegen vierzehn Rezensionen vor, von denen die meisten mit Gewinn konsultiert werden können (zu religionsgeschichtlichen Fragen vor allem Drijvers, Frend und Roberto): Clifford Ando, Americal Historical Review 109 [2004], 1289–1290; Alain Chauvot, Antiquité classique 74 [2005], 547–549; Jan Willem Drijvers, Vigiliae Christianae 58 [2004], 107–110; William H. C. Frend, Journal of Ecclesiastical History 55 [2004], 349–350; Antoine Gavanas, Byzantion 75 [2005], 540–541; Bill Leadbetter, Ancient History 33 [2003], 175–178; Hartmut Leppin, Zeitschrift für antikes Christentum 10 [2006], 366–368; Milena Raimondi, Aevum 78 [2004], 210–216; Josef Rist, Gymnasium 112 [2005], 287–288; Umberto Roberto, Mediterraneo antico 8 [2005], 1–16; Pierre Salmon, Revue belge de philologie et d’histoire 83 [2005], 232–233; Robin Seager, Classical Review 118/N.S. 54 [2004], 192–195; Raymond Van Dam, Bryn Mawr Classical Review Juli 2003, Nr. 44; David Woods, Journal of Roman Archaeology 17 [2004], 729–734.
Auch wenn man natürlich eine überarbeitete Neuauflage be­vorzugt hätte, so ist das wichtige Buch auch so noch immer von großem Wert und die Neuauflage bereits durch die Möglichkeit, es in einer deutlich preisgünstigeren Variante zu bekommen, ge­rechtfertigt. Wirklich zu bedauern ist lediglich, dass es versäumt wurde, ein Quellenregister hinzuzufügen. Man darf also die italienische Übersetzung, deren Diskussion hoffentlich bald folgen kann, mit Interesse erwarten und kann sich auch weiterhin zu den zahlreichen Fragen, die in Verbindung zur Regierungszeit des Valens stehen, ohne große Bedenken L.s kenntnisreicher Führung anvertrauen.