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Ausgabe:

Oktober/2020

Spalte:

936–938

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lau, Markus

Titel/Untertitel:

Der gekreuzigte Triumphator. Eine motivkritische Studie zum Markusevangelium.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019. 694 S. m. Abb. u. Tab. = Novum Testamentum et Orbis Antiquus/Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 114. Geb. EUR 140,00. ISBN 978-3-525-59373-8.

Rezensent:

Johannes U. Beck

Nachdem Markus Lau in vergangenen Jahren schon mehrfach kleinere Studien zum Markusevangelium veröffentlicht hat, präsentiert er nun eine großangelegte Untersuchung, die das gesamt-markinische Werk in den Blick nimmt. Mit der bereits 2015 angenommenen Dissertationsschrift folgt der Oberassistent an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) etwa den Spuren seines Münsteraner Lehrers Martin Ebner. Auch L. geht davon aus, dass römische Kultur und besonders die militärische Präsenz maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung des Markusevangeliums hatten und folglich für dessen Auslegung grundlegend zu berücksichtigen sind. Spezifisch der Triumphzug könne dabei als Deutekategorie fungieren: Das Markusevangelium rekurriere »in chiffrierter Form auf die Welt und die Realien des Triumphzugs, um einen bestimmten Abschnitt aus dem Leben Jesu im Licht des Triumphzugs zu erzählen: seinen Weg ans Kreuz, die Passionsgeschichte« (23). L. greift damit auf eine These von Thomas E. Schmidt zurück (29–49), die er kritisch überprüft und ausführlich neu fundiert. Methodisch ist er der Motivkritik verpflichtet (66–67), die ihm dazu dient, das Prätextmotiv »Triumphzug«, das als Ritual einem Text gleiche (147, Anm. 11), mit bestimmten Elementen des Markusevangeliums zu vernetzen. Dass auch Details dieser Realie von den intendierten Lesern erkannt werden könnten, liegt daran, dass L. Autor und adressierte Gemeinde in Rom oder dessen Umfeld verortet (131). Da das Evangelium zudem auf den konkreten Triumphzug der Flavier anspiele (434), sei es nach dem »Sommer des Jahres 71 n. Chr.« (114) entstanden.
Ferner reflektiert L. im Eingangsteil (21–143) die hermeneu-tischen Grundlagen seines Vorgehens und betont, dass seine Les-art »eine mögliche Lektüreperspektive« darstelle, »die es je nach Erkenntnisinteresse zu beachten gilt« (60). Dem entspreche die Polyvalenz vieler Textteile (317). Zugleich zeigt er die »notwendigen Bedingungen der Möglichkeit einer chiffrierten Referenz« (70) auf und stärkt so bereits theoretisch die Plausibilität der eigenen Argumentation. Zugrunde liegt die Annahme eines klassischen Diskursmodells, bei dem der Autor mit dem Text bei bestimmten Adressaten eine bestimmte Wirkung erzielen will (64). Dass dabei Text und Person gleichgesetzt und die Geschichtlichkeit der Autor-intention ausgeblendet wird, bleibt aber genauso unberücksichtigt wie die Unvertretbarkeit jedes Lesevorgangs, da eine Reflexion »des Konstruktes ›antiker Erstleser, antike Erstleserin‹« (ebd.) fehlt. Einen »wirklich objektiven Kontrollposten« (57) stellt weder die Autorintention noch die Situation der Erstleser dar, sondern nur der Text als Werk.
Der zweite größere Abschnitt (145–312) dient dazu, ein für jeden individuellen Triumphzug leitendes ›Grundritual‹ aufzuzeigen, »in­dem ein ›idealer‹ Triumphzug beschrieben wird.« (147) Neben der ausführlichen Veranschaulichung der einzelnen Ritualelemente und den Beispielen »der literarischen Funktionalisierung von Triumphzugsmotivik« (267) bei antiken Autoren bereichern diesen Teil die zahlreichen Abbildungen von Triumphzugsdarstellungen insbesondere auf Münzen. Wie L. zeigen kann, war der römische Triumphzug »ein in der Antike und namentlich in der Kaiserzeit überaus bekanntes Ritual mit einer hohen Spezifik« (299). Dabei werden auch viele Aspekte analysiert, die für die Exegese des Markusevangeliums kaum oder gar nicht relevant sind, wie L. zugesteht (313). G leichwohl sei die Präsentation des Rituals »für die exegetische Wissenschaft insgesamt hilfreich« und »ein Wert an sich« (ebd.). In jedem Fall bietet sie eine solide Grundlage für die Beurteilung der Adäquanz der folgenden Überlegungen zum Markusevangelium.
Knapp die Hälfte der Untersuchung (313–583) ist dem markinischen Text selbst gewidmet, wobei sich in Mk 15,16–20 dasjenige »Anspielungscluster« finde, »das die Leserinnen und Leser des MkEv im Laufe der Passionsgeschichte, genauer: zu Beginn des Kreuzweges Jesu, auf die Triumphzugsthematik einspurt« (103). Diese Perikope bilde damit den Ausgangspunkt für »das Netz von Anspielungen auf den Triumphzug« (362), die sich sodann auch im weiteren Verlauf der Passionsgeschichte bis Mk 16,8 und – im Rahmen der Relektüre des Evangeliums – zudem in Mk 6,30–44, Mk 9,2–13.15, Mk 11,1–11 sowie im Motiv der Vollmacht Jesu entdecken ließen. Die dargebotene Exegese orientiert sich jeweils sehr nah am Text und bringt nicht nur erhellende Textstrukturen, sondern auch viele bisher kaum berücksichtigte Details zum Vorschein. Unter Ausblendung der Eigenständigkeit der erzählten Welt ergeben sich Spannungen und damit implizite Markierungen chiffrierter Referenzen etwa aus widersinniger »historischer Referentialität« (335). Diese Spannungen seien jeweils motivkritisch aufzulösen. Dass auch für L. die »Gefahr […] einer Überinterpretation« (107, Anm. 186) besteht, zeigt freilich schon der Rekurs auf das Modell des An-spielungsnetzes, das zwar viele Bezüge, aber kaum Haltepunkte bietet. So falle am stärksten das anspielende Segment »Prätorium« Mk 15,16 auf (589), dessen Existenz aber gerade »im Rahmen kaiserzeitlicher Triumphzüge umstritten ist.« (328) Zudem wird in der Schlüsselszene Mk 15,16–20 nach L. allein auf Motive angespielt, die vor Beginn des eigentlichen Triumphzugs stattfanden, als solche aber nur bedingt zum »Vorwissen […] der mk Gemeinde« (312) gehört haben dürften. Derartige »Schönheitsfehler« (391) scheinen ebenfalls an anderen Stellen auf.
Während L. im Anschluss an Mk 15,16–20 für Jesus eine Doppelrolle als Triumphator und königlichem Gefangenen postuliert (348), überzeugen doch vor allem die Anspielungen auf die letztere Rolle. Der sich mit dem Gewandwechsel Mk 15,20 einstellende Rollenwechsel vor der – im Übrigen gar nicht eigens berichteten – Prozession wird von L. nicht hinreichend gewürdigt, wenn er gleichwohl vom »Triumphzug Jesu« (364) ausgeht. Jesus als »Herrn der Welt« (611) zu verstehen, ist im Markusevangelium aber nirgends intendiert. Vielmehr verabsolutiert L. die für Jesus geltend ge­machte Königsmotivik, indem er die Konkretisierung »der Juden« Mk 15,18 ausblendet und von einem König auf den König (404) und von diesem auf den Kaiser und Triumphator schließt. So stellt sich durchgehend die Frage, über wen Jesus als Triumphator eigentlich triumphiert. Es läge nahe, diesbezüglich auf die Bezwingung der Dämonen zu verweisen. Nach L. erscheint Jesus in dieser Funktion in Mk 5,1–20 sogar »als Kriegsherr« (Bib. 88 [2007], 351–364: 362). Auf diesen Weg wird in der vorliegenden Untersuchung allerdings verzichtet. Betont ist vielmehr der »Kontrast zwischen Jesus auf der einen und jedem römischen Triumphator auf der anderen Seite« (406). Wäre es dann – auch im Blick auf das markinische Ende – nicht folgerichtig, Jesus konsequent als königlichen Gefangenen »im mk Anti-Triumphzug« (41) und damit als Anti-Triumphator zu verstehen und dies als dezidiert theologische Aussage zu würdigen?
Die finalen, die Pragmatik der Allusionen thematisierenden Beobachtungen (585–620) werden dem Potential der vorausgehenden Exegese leider kaum gerecht, wiederholen sie doch mehr oder weniger nur Ergebnisse bisheriger Forschung. Insgesamt allerdings zeigt die Arbeit in sehr reflektierter Weise die Bedeutung der römischen Umwelt für die Interpretation des Markusevangeliums auf und bildet eine wichtige Grundlage für die weitere Forschung zur markinischen Passionsgeschichte und zur Triumphzugsmotivik. Beigefügt ist ein Stellen-, Namen- und Sachregister.