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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

888–891

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Steinbeck, Lukas

Titel/Untertitel:

Christian Education in Tansania. Missionskatechetischer Hintergrund – werkbiographische Erschießung – vergleichender Horizont.

Verlag:

Göttingen: V & R Unipress 2019. 359 S. = Arbeiten zur Religionspädagogik, 69. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-8471-0875-7.

Rezensent:

Frieder Ludwig

Die Dissertation von Lukas Steinbeck entstand im Rahmen des Göttinger Graduiertenkollegs »Transformationsprozesse im neuzeitlichen Protestantismus.« Mit der Auswahl Tansanias als thematischen Schwerpunkt setzt die Arbeit einen Akzent auf die Globalisierung bzw. »Glokalisierung« (zum Begriff s. 19 f.) des Protes-tantismus; es geht darum, das Feld der »Christian Education« in einem Umfeld, in dem die christlichen Kirchen und auch die Evangelical Lutheran Church of Tanzania (ELCT) durch ein starkes Wachstum gekennzeichnet sind, zu erschließen. Die Arbeit ist methodisch reflektiert und stringent aufgebaut; sie zeichnet sich durch inhaltliche Kohärenz, klare Struktur und gute Sprache aus.
In der Einleitung wird nach einer kurzen Hinführung zum Thema der Bezugsrahmen in Form verschiedener Grundierungen (sozialwissenschaftlich, 18–26, theologisch, 27–33, religionspädagogisch, 34–43, afrikanistisch, 43–52) erörtert. In der religionspädagogischen Grundierung wird die vergleichende Perspektive des Faches dargestellt: Die Besonderheit der Arbeit liegt, so stellt der Vf. fest, »in der exemplarischen Ausrichtung des Fokus auf eine sub-saharische Ausprägung der Religionspädagogik, nämlich die tansanische Christian Education, die aus der Perspektive der vergleichenden Religionspädagogik bearbeitet wird« (42). Im Kapitel »Afrikanistische Grundierung« wird, wie in den anderen »Grundierungen« auch, im letzten Unterkapitel der Bezug zu Tansania hergestellt; hier entfaltet der Vf. die Entwicklungen im Wissenschaftsraum Tansania mit der Verselbständigung der University of Dar es Salaam in den 1970er und der Gründung der Tumaini University Mitte der 90er Jahre. Zum einführenden Teil gehört dann die »Infragestellung der Forscherperspektive«, wobei die Erkenntnisse der »Critical Whiteness Studies« der Reflektion dienen. Im Kapitel »Interkulturell-hermeneutische Reflexion: Interkulturelle Theologie« wird dies erweitert; insbesondere Sundermeiers Konvivenz-Modell dient als Grundlage. Die Einführung abschließend, werden Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit erläutert.
Der zweite Teil behandelt zunächst die historischen Grundlagen. In der Skizzierung der präkolonialen Lebensbedingungen wird die Bedeutung der Gemeinschaft und die Untrennbarkeit der Lebensbereiche auch im Blick auf die Pädagogik hervorgehoben; gelungene Bildung »drückte sich in guten Manieren, gutem Charakter, Gehorsam und Respekt gegenüber den Ältesten und der Gemeinschaft aus« (77). Im Unterkapitel »Deutsch-Ostafrika und das Missionszeitalter« wird (etwa unter Verweis auf die Swahili-Schulen) dem Islam eine tragende Rolle für die deutsche Kolonialherrschaft zugeschrieben. Von zentraler Bedeutung für die Bildungsarbeit waren dann die Missionsgesellschaften, was auch anhand der Kongo-Akte (86 f.) dokumentiert wird. Die Schule wurde, so stellt der Vf. fest, zum Symbol des gesellschaftlichen Um­bruchs (88), denn sie entfremdete die zumeist jungen Konvertiten ihrer Herkunft. Im Kapitel »Das Tanganyika Territory unter britischer Herrschaft« werden die Bedingungen des Völkerbundmandats und der britischen Herrschaft ebenso aufgezeigt wie die Aufbrüche der afrikanischen Selbstorganisation. Dem 1934 gegründeten Tanganyika Mission Council kam eine wichtige Aufgabe in der Koordinierung der Bildungsbemühungen der Missionsgesellschaften zu. Diese passten ihre Schulen an staatliche Vorgaben an, so dass aus dem schulischen Religionsunterricht ein Fach neben anderen wurde. Die Zeit nach der Unabhängigkeit und der Dekolonisierung standen im Zeichen des staatlichen Bildungsprogramms »Education for Self-Reliance«. Die 1963 gegründete, selbständige ELCT hatte sich mit der umfassenden Neuausrichtung der Christian Education auseinanderzusetzen.
Im Kapitel »Methodologische Voraussetzungen: Empirische Wege zur Rekonstruktion lokaler Konzepte von Christian Educa-tion« (123–167) werden u. a. die Forschungsfragen benannt: Wie ge­staltet und verortet sich die Theorie der Christian Education in Tansania zwischen den lokalen und globalen Einflüssen? Was macht die Theorie der Christian Education inhaltlich aus? In welchen Formen artikuliert sich die tansanische Theorie der Christian Education?
Der dritte Teil, der explorative Hauptteil, erschließt Konzepte von Christian Education im tansanischen Kontext. Zunächst werden Basisinformationen und religiöse Pluralität im modernen Tansania diskutiert; darauf erfolgt eine Darstellung der kirchlichen Rahmenbedingungen für die Christian Education der ELCT: Diese betreibt mehr als 50 Secondary Schools und knapp 20 Vocational Colleges. Die Arbeit beschreibt auch die Geschichte der Ausbildung in Makumira.
Die Darstellung der zentralen Forschungsergebnisse (204–304) durch die »werkbiografische Erschließung« folgt, wie die anderen Kapitel auch, einer klaren, analog durchgeführten Struktur. So wird zunächst die jeweilige Bildungsbiographie der sechs Ge­sprächspartner vorgestellt; darauf erfolgt die Erschließung der Konzepte. Diese untergliedert sich wiederum in verschiedene Perspektiven (Systematische Perspektive, Historische Perspektive, Em­pirische Perspektive). Die wichtigsten Erkenntnisse sind im Fazit am Ende jeden Kapitels jeweils in fünf Punkten zusammengefasst. Dies ermöglicht eine gute Vergleichbarkeit.
Die Kapitel-Überschriften sind prägnant und pointiert formuliert, oft lassen sich darin die Ergebnisse bereits erkennen: So trägt das erste Gespräch mit dem 1935 im Pare Gebiet geborenen Pastor Dr. Mahias Gerson Mndeme den Untertitel »Christian Education als Symboldidaktik«. Mndeme lehrte ebenso an der Tumaini-Universität wie zwei weitere Gesprächspartner: Pastor Zakariah Matinda (»Christian Education als Mittel zur Förderung individuellen und kirchlichen Wachstums«) und Pastor David Ndetaramo Shao (»Christian Education zur Reflexion und Einübung christlicher Lebensführung«). Weitere Interviews wurden mit Pastor Dr. Lutashumulwa Festo Bahendwa (»Christian Education als Kommunikationsmittel des Evangeliums«), der das »bekannteste Werk mit Fokus auf die Theorie-Ebene« vorgelegt hatte, mit der Leiterin des Büros für Christian Education der North-Western Diocese, Pastorin Alice Kabugumila (»Christian Education als Pflege des kirchlichen Nachwuchses«), und mit dem Hauptkoordinator ELCT für Christian Education, Pastor Anza Amen Lema (»Christian Educa-tion als kirchliches Community Development«), durchgeführt.
Die werkbiographische Erschließung schließt mit einem inter-individuellen Vergleich ab. Der Vf. stellt fest, dass alle Interviewpartner Pastoren der ELCT sind, die in Makumira Theologie studiert haben. Die früheren Bildungswege führten notwendigerweise ins Ausland, für die jüngeren Gesprächspartner (Shao und Lema) war dies nicht mehr nötig, da diese in Tansania ihre höheren Abschlüsse machen konnten. Alle Gesprächspartner haben Affinitäten zum Lehramt und zum Pfarramt; die Promotionsphase erfolgte, wie in zahlreichen anderen afrikanischen Kontexten, oft spät.
Im vierten Teil »Religionspädagogische Summe« wird zunächst ausgeführt, dass eine Beleuchtung des missionskatechetischen Hintergrunds unerlässlich ist, denn missionskatechetische Einflüsse sind noch heute auszumachen. Auch wenn nur wenige Pu­blikationen aus tansanischer Feder vorliegen, lassen die werkbiographischen Einsichten erkennen, dass sich im modernen Tansania eigene vielfältige und vergleichbare Gesichter des Fachs Christian Education entwickelt haben.
Im impliziten Vergleich und im Gespräch mit der deutschen Religionspädagogik (308–325) werden vier Spannungsfelder be­nannt: Kontinuität versus Innovation, Kirchliche Normativität versus Kritische Wissenschaft, Konfessionelle Katechese versus Religiöse Bildung und Gemeinschaftsstiftung versus Subjektwerdung. Dabei arbeitet der Vf. heraus, dass sich die Christian Education in Tansania in der Balance zwischen den Polen kirchlicher Normativität und kritischer Wissenschaft deutlich auf Seiten der Kirche wiederfindet.
Kritisch kann man anmerken, dass die materiale Basis des Hauptteils mit sechs während eines Forschungsaufenthalts im Oktober/November 2014 durchgeführten Experteninterviews nicht reichhaltig ist. Die Konsultation nicht-lutherischer tansanischer Gesprächspartner und der Einbezug anderer Perspektiven hätten der Arbeit guttun können. Rückfragen ergeben sich auch bezüglich der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Wie wurde dem seit Anfang der 1990er Jahre evidenten Scheitern der Ujamaa-Politik Rechnung getragen? Wie wurden neue Ansätze im Verhältnis der Kirchen zum Staat reflektiert? Wie wird die Entwicklung in den muslimischen Gemeinschaften wahrgenommen, die sich ja nicht mehr alle durch den obersten Muslimrat BAKWATA repräsentiert sehen? Die einleitenden Teile sind manchmal ein wenig holzschnittartig geraten: Die Darstellung der African Religions tendiert zur Harmonisierung, auch die Missionsarbeit wird mitunter etwas verkürzt dargestellt.
Insgesamt ist es freilich sehr zu begrüßen, dass sich ein Doktorand der Religionspädagogik mit den Entwicklungen in einem afrikanischen Land auseinandersetzt; damit wird der Verlagerung des Christentums nach Süden Rechnung getragen. Die Arbeit basiert auf wichtigen Quellen. Neben den Interviews wurden Internet-Websites, Lehrbuchmaterialien und Missionszeitschriften herangezogen; auch in der Fallstudie zur Bethel-Mission in Usambara fanden Primärmaterialien Verwendung. Die Antworten der Gesprächspartner wurden fair und einfühlsam, ohne Vereinnahmung und Bewertung, wiedergegeben. Die Arbeit macht deutlich, dass in Tansania eigenständige Ansätze und Theorien einer Christian Education entwickelt wurden, die sowohl vom lokalen Kontext als auch von internationalen Einflüssen geprägt sind.