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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

884–886

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lauterbach, Karen, and Mika Vähäkangas [Eds.]

Titel/Untertitel:

Faith in African Lived Christianity. Bridging Anthropological and Theo-logical Perspectives.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2019. XII, 358 S. = Global Pentecostal and Charismatic Studies, 35. Kart. EUR 65,00. ISBN 978-90-04-39849-8.

Rezensent:

Heinrich Balz

Der Band bietet in fünfzehn Beiträgen den Ertrag eines mehrjährigen Forschungsprojekts und einer abschließenden Konferenz 2016 an der Universität Lund. Anthropologen – in deutscher Tradition würde man Ethnologen sagen – und mit Ökumene und Mission befasste Theologen kamen zusammen, um neue gemeinsame Interessen zu klären und um alten Streit beider Disziplinen zu beenden. Es geht um zwei Disziplinen, die als solche wesentlich bleiben sollen, was sie sind: eine neue umfassende Einheitswissenschaft, wie sie etwa die deutsche »Interkulturelle Theologie« programmatisch andeutet, ist in Skandinavien und im weiteren englischsprachigen Bereich nicht beabsichtigt, sie wird als solche auch nicht diskutiert. Doch es sollen neue interdisziplinäre Brücken gebaut werden zwischen den vordem eher sich abweisenden feindliche Brüdern, die beide von anderen Kulturen handeln: Zuweilen bekommt der Leser des Bandes freilich den Eindruck, dass neue Gräben erst noch aufgerissen werden zwischen unterschiedlichen Ansätzen innerhalb beider Disziplinen, zwischen Forschergenerationen und auseinanderstrebenden Temperamenten. Diese Disparitäten erfordern auch von der Rezension einen Blick auf die einzelnen Beiträge.
Teil 1 führt in vier Beiträgen in das jeweils verschiedene Verhältnis von Normativität und Standpunktgebundenheit, position-ality ein. J. Robbins gibt den Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung beider Disziplinen, wobei die Anthropologie die Kritik christlicher Mission schon im Ansatz hatte. Die gewandelte Zeit begünstigt aber heute den aufkommenden tieferen Dialog beider Disziplinen. Die Theologen wissen, dass der Forscher auf ein eigenes Urteil zum erforschten Fremden nicht verzichten kann – auch der Anthropologe nicht, der aber begründet davor warnt, mit dem Urteil zu früh zu kommen. Robbins’ Darstellung ist souverän, sie könnte das Ergebnis der ganzen Konferenz sein, wenn sich nicht Widerspruch gegen ebendiese Souveränität wendete. F. Wijsen übt am Beispiel bekannter afrikanischer Forscher »methodischen Ag­nostizismus« ein: Dass nach J. S. Mbiti alle Afrikaner »unverbesserlich religiös« seien, ist ebenso unbelegt wie, dass nach O. p’Bitek sie in der Tiefe alle überzeugte Materialisten seien. Zwei Beiträge von Frauen führen unterschiedlich ein die Aporien westlicher Feldforschung in Afrika heute: E. Hankela weist auf das Ungenügen aller befreiungstheologisch postkolonialen Parteinahme in Südafrika hin; G. Sabar, die liberale Jüdin, erzählt aus eigener Begegnung mit äthiopischen Juden, mit Einwanderern im Staat Israel und mit afrikanischen Wanderarbeitern dort, die keine Juden sind, aber nur als solche ins Land aufgenommen werden, dass »Religion« in allen diesen Fällen Unterschiedliches, aber deutlich Erfahrbares beinhaltet.
Teil 2 verspricht in fünf Beiträgen den Weg von der Anthropologie zur Theologie und wieder zurück zu führen. K. Lauterbach problematisiert in der Missionswissenschaft, u. a. bei A. Heuser, eine vorschnelle, ihrer eigenen asketischen Prämissen unbewusste Verurteilung des prosperity gospel. M. Vähäkangas veranschaulicht die ungelösten Probleme, den Anderen, oft aber nur den »Quasi Anderen« verstehend zu bearbeiten: Nicht die anthropologische Distanz und Methode fehlt dem modern westlichen Theologen im Um­gang mit der Lehre der Kimbanguisten-Kirche von der Inkarnation, sondern die Rückkehr in das christliche Eigene und, so möchte man über Vähäkangas hinaus hinzufügen, die Bestimmung des weiteren Verhältnisses zu den Kimbanguisten, wenn man selber längerfristig mit ihnen zusammengearbeitet hat oder wie der ÖRK im Zweifel ist, ob bei den Kimbanguisten das ökumenisch christliche Minimalbekenntnis noch gilt. Hier geht es um mehr als um zeitlich befristete participant observation. M. Prosén zeichnet die Theologie des gottesdienstlichen Lobpreises einer Pfingstgemeinde in Nairobi nach. N. Kastfelt entdeckt in der Akustik, in Gesang und Instrumenten eine Dimension, die von der Missionswissenschaft bislang vernachlässigt wurde. E. K. Bongmba, ein in den USA lehrender afrikanischer Anthropologe, zeigt an den afrikanischen Pfingstlern und im eigenen Ansatz, wie das Problem der Staatgewalt, sovereignty sich auf neue Weise stellt: Politik ist bei neuen afrikanischen Autokraten ebenso wie der afrikanischen Tradition wesentlich nur die Exekutive; Legislative und Judikative müssen in ihrer Notwendigkeit erst noch erwiesen werden.
Der 3., letzte Teil bietet in sechs Fallstudien das materiale Schwergewicht der Konferenz und des Forschungsprojekts. Drei Autoren, S. S. Eriksen, T. S. Dronen und I. Laland befragen afrikanische Migrantenkirchen in Norwegen, wie sie neue Verwurzelung, relocations, bieten. H. Olsson verfolgt den geistigen Kampf, spiritual warfare, den auf Sansibar eine pfingstlerische Minderheit gegen die in ihrer Sicht von Dämonen beherrschte muslimische Mehrheitsgesellschaft führt. I. Mukanyora, selber vom Volk der Shona, beschreibt den Shona-Propheten und Kirchengründer Johane Masowe und dessen umdeutende Verwendung biblischer Texte zur Darstellung seiner eigenen Sendung. R. Flikke dringt ein in das Welt- und Naturbild einer zionistischen Zulu-Gemeinde. L. Gammelin beschreibt eindringlich, an M. Wilsons Forschungen bei den Nyakyusa anknüpfend, die als Geistbesessenheit erfahrenen Leiden kinderloser Frauen in Tanzania und deren traditionsbestimmte Heilung unter modernen Bedingungen. C. Sundberg berichtet vom Aufstieg und Ende einer kirchlich integrierten spirituellen Heilungsbewegung in Kongo-Brazzaville und ermahnt die evangelische Kirche dort, sich nicht zu unbedacht und oberflächlich vom kulturell-religiösen Erbe loszusagen.
Sämtliche Beiträge handeln vom afrikanischen Christentum, aber nur zwei stammen auch von afrikanischen Autoren. Dies ungewöhnliche Verhältnis ist, leicht paradoxerweise, darin be­gründet und gerechtfertigt, dass nur nichtafrikanische Forscher die Lebens- und Forschungsprobleme haben, um welche das ge­samte Forschungsprojekt sich bemühte: Das christlich Afrikanische ist und bleibt das Andere, nicht das Eigene. Einig ist sich die forschende Gemeinschaft auch darin, dass es um das »gelebte« afrikanische Christentum geht; Intellektuelles, Verkopftes und Spekulatives wird durchgängig abgewehrt. Der Ertrag des Projekts besteht in Dokumenten, in aufgezeichneten Interviews und da-tierten Feldnotizen und, soweit möglich, auch in Statistischem. In der verstehenden Aneignung dieses Materials hält man sich zurück: Es wird gleichsam im Rohzustand dem Leser vorgelegt, der bei der Deutung mitreden darf, beziehungsweise muss. Darin liegt der Wert des Bandes. Es bleibt freilich die im Titel versprochene Einlassung mit faith im afrikanischen Christentum offen: Hier spricht einseitig die Wissenschaft der Anthropologie und bleibt die ökumenische Theologie, von welcher aus und zu der hin interdisziplinare Brücken gebaut werden sollen, einigermaßen schweigsam.