Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2020

Spalte:

847–849

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hart, David Bentley

Titel/Untertitel:

The Hidden and the Manifest. Essays in Theology and Metaphysics.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2017. 368 S. Kart. US$ 42,00. ISBN 978-0-8028-6596-0.

Rezensent:

Markus Höfner

Der Titel eines »nachmetaphysischen Denkens« passt als Überschrift für viele philosophische Diskurse der Gegenwart. Und auch in Theologie und Religionsphilosophie sind die Ansätze Legion, die an einer Überwindung der Metaphysik und ihrer von Heidegger diagnostizierten »onto-theo-logischen« Verfassung arbeiten. All diese Bemühungen jedoch sind David Bentley Harts Sache nicht. Die Vorstellung eines philosophischen oder theologischen Denkens ohne oder nach der Metaphysik gilt dem US-amerikanischen, vom Anglikanismus zur Orthodoxie konvertierten Theologen und Religionsphilosophen vielmehr als dangerous fantasy (X). H.s eigene Überlegungen sind daher dem Ziel verpflichtet »to get beyond getting beyond metaphysics« (X).
Der zu besprechende Band versammelt zwanzig Aufsätze aus den Jahren 1996 bis 2015 und eignet sich damit auch als Einführung in H.s Denken. Einzelstudien zu Gregor von Nyssa stehen dabei neben thematisch fokussierten Texten zur Schöpfungslehre, zur Gotteslehre und zur Eschatologie, religionsphilosophischen Reflexionen und pointierten Debattenbeiträgen. Verbunden sind diese Beiträge durch H.s Kernthese, dass sich die von ihm geforderte Überwindung der Überwindung der Metaphysik als Rückkehr zu einer genuin christlichen Metaphysik zu vollziehen hat – einer Metaphysik, wie sie maßgeblich von Gregor von Nyssa und anderen »Nicänischen« Theologen in Gestalt eines Christian Platonism (X) entfaltet wurde. H. verbindet dabei Überzeugungen östlich-orthodoxer Tradition mit Motiven der Bewegung der Radical Orthodoxy und identifiziert in beiden eine von ihm vorbehaltlos unterstützte »rebellion against modernity« (325). Diese Kernthese wird von H. in unterschiedlicher Weise artikuliert, was sich an drei Beiträgen des Bandes exemplarisch verdeutlichen lässt.
In The Offering of Names: Metaphysics, Nihilism, and Analogy (1–44) schließt H. zunächst an Heideggers Diagnose einer »onto-theo-logischen« Verfassung der Metaphysik an: Weil die »ontologische Differenz« zwischen Sein und Seiendem in der Tradition westlicher Metaphysik vergessen wurde, identifizierte sie das Sein mit dem höchsten Seienden und führte so unweigerlich zum Nihilismus, zur Reduktion von Wahrheit und Werten auf menschliche Selbstermächtigung (vgl. 5–7). Doch auch bei Heidegger selbst, so H.s Kritik, wird die »ontologische Differenz« von Sein und Seiendem notorisch übergangen. Darin erweist sich Heideggers Denken für H. als ein »self-sealing discourse of immance« (8), der ein vom immanent Seienden verschiedenes Sein gar nicht in den Blick nehmen kann. Möglich wird dies nach H. allein durch den Anschluss an die »Christian interruption« (9) der Verfallsgeschichte westlicher Metaphysik in der christlichen Metaphysik der Kirchenväter. Denn in dieser wurde die Differenz von Sein und Seiendem durch die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf artikuliert, so dass die Welt des Seienden als kontingente Gabe des Schöpfers denkbar wurde (vgl. 26–28.42 f.). Die von Heidegger diagnostizierte »Seinsvergessenheit« westlicher Metaphysik erweist sich vor diesem Hintergrund für H. als »Gottvergessenheit« (vgl. 21.39) und die »onto-theo-logische« Verfassung westlicher Metaphysik und ihre nihi-listischen Konsequenzen als Folge der Verdrängung christlicher Metaphysik und Theologie durch eine sich autonom setzende Vernunft.
In The Hidden and the Manifest: Metaphysics after Nicaea (137–166) entfaltet H. diese christliche Metaphysik konkret als »Nicene ontology« (137). Mit der Nicänischen Feststellung der Wesensgleichheit von Vater, Sohn und Geist wurde, so H.s Überzeugung, eine »new Christian philosophical grammar« (147) etabliert, der zufolge Gott als trinitarisches Leben in sich selbst »kommunikativ« ist: »his hiddenness – his transcendence – is always already manifes-tation« (147; meine Herv.). In der Nicänischen Theologie erscheint daher alles immanent Seiende als Konsequenz des »self-donating movement of the Trinity« (157) – womit nach H.s Überzeugung die ›ontologische Differenz‹ von Sein und Seiendem und die nicht univoke, sondern analoge Beziehung zwischen göttlichem und ge­schaffenem Sein unüberbietbar artikuliert ist (vgl. 146–150).
Auf der Grundlage dieser »Nicänischen Ontologie« zielt H.s Beitrag No Shadow of Turning: On Divine Impassibility (45–69) auf den Nachweis, dass der Topos der Leidenschaftslosigkeit Gottes (apa-theia) keineswegs ein »residue of an obsolete metaphysics« (46) darstellt, wie dies viele moderne Theologien voraussetzen. Vielmehr zeigen nach H. gerade die modernen Versuche, Gottes Affizierbarkeit zu denken, exemplarisch das Scheitern nach-metaphysischer Theologie, weshalb er vor allem die Ansätze Moltmanns und Jüngels als Spielarten eines »incautious and vulgar ›Hegelianism‹« (50) schroff abweist. Denn ein Gott, der in der Begegnung mit der geschaffenen Wirklichkeit im Werden ist, kann nach H.s Überzeugung nur der »anthropomorphic myth« (53) eines »höchstes Wesen« sein und bliebe zudem wesenhaft mit den Mächten des Bösen und der Sünde verwoben (vgl. 52–54). Demgegenüber ist es für H. die Pointe des altkirchlichen Topos der göttlichen A-Pathie, dass Gottes Wesen als »source of all being« (51) die Liebe ist. Denn diese kommt so nicht als (reaktives) Pathos in den Blick, sondern als die aktive »gesture of self-outpouring love« (59), in der das trinitarische Leben Gottes unabhängig von aller geschaffenen Realität immer schon begriffen ist. Und auf dieser Grundlage allein, so H., lässt sich die liebende Zuwendung Gottes zum Menschen als Gottes nicht-notwendige Kenosis denken, in der menschliches Leben zur Teilnahme an der göttlichen Liebe befähigt und darin »vergöttlicht« wird (vgl. 63–69).
H.s Texte sind elegant geschrieben und beweisen, trotz mancher Anfragen im Detail, eine stupende theologische und philosophische Gelehrsamkeit. In seinen Überlegungen bringt H. theologische Denkalternativen, die im Mainstream deutschsprachiger Systematischer Theologie wenig präsent sind, als gegenwärtige Optionen ins Spiel. Darin vor allem liegt der Gewinn der Lektüre. Der antimoderne Furor allerdings, den H. mit anderen Vertretern der Radical Orthodoxy teilt, ist hochproblematisch. Denn wenn H.s Plädoyer für eine »Überwindung der Überwindung der Metaphysik« auf eine theologische Überwindung der Moderne hinausläuft, so ist damit nicht nur ein kompakter Begriff der Moderne vorausgesetzt, der für die theologische Würdigung moderner Errungenschaften ebenso wenig Raum lässt wie für eine differenzierte Kritik bestimmter Entwicklungen in dem komplexen Geschichts- und Denkraum, für den der Titel »Moderne« steht. Mit der von H. geforderten Rückkehr zu einer (Nicänischen) christlichen Metaphysik verbindet sich vielmehr auch ein theologischer Überbietungsanspruch, der die »Legitimität der Neuzeit« und aller Formen des Wissens außerhalb einer theologischen Rahmung bestreitet. Eine Theologie, die sich ihrer Bezogenheit auf gegenwärtige (moderne) Kontexte christlicher Existenz bewusst ist und es deshalb unternimmt, tradierte theologische Konzeptionen – auch in Aufnahme von Einsichten nicht-theologischer Wissenschaften – konstruktiv weiterzudenken, wird hier entschieden anders optieren.