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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

806–808

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dafni, Evangelia G. [Ed./Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Divine Kingdom and Kingdoms of Men / Gottesreich und Reiche der Menschen. Studies on the Theology of the Septuagint Vol. II / Studien zur Theologie der Septuaginta Bd. II.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XVI, 239 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 432. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-158201-1.

Rezensent:

Martin Meiser

Ebenso umstritten wie spannend ist die Frage nach theologischen Dimensionen und Aspekten innerhalb der Septuaginta, der sich ein von Evangelia G. Dafni organisierter Forschungsverbund seit mehreren Jahren widmet. Der hier anzuzeigende Band enthält die Vorträge der vierten Internationalen Konferenz zur Theologie der Septuaginta vom 4./5. Mai 2017 in Thessaloniki.
Arie van der Kooij (Theocracy and Aristocracy: On divine kingship and royal priesthood in the Septuagint [Pentateuch and Isaiah], 3–15) findet die bei Josephus, Ap. II 165 bezeugte Bevorzugung der Priesteraristokratie statt der Monarchie als angemessener Form der Theokratie auch in Ex 19,6; 23,20 f.; Jes 402; 9,6 f. belegt. Hans Ausloos zufolge (The Book of Deuteronomy and the Ideal King, 17–32) ist in Dtn 17,14–20LXX die Wahl von ἄρχων statt βασιλεύς für ךלמ nicht auf eine veränderte Textvorlage zurückzuführen (אישנ, wie in 4Q266), sondern will den obersten politisch Verantwortlichen in Israel in antiptolemäischer Absicht als primus inter pares kennzeichnen (30 f.). Die medialen Formen verschiedener Verben (u. a. τιθέναι, λυτροῦν, τάσσειν) in Gen 1,17; 2,8.15; 4,15 bezeichnen so nach Anssi Voitila (Middle Voice in the speech of and about God’s power and domination over the creation in the Greek Pentateuch, 35–47) auf der Basis literarischer und papyrologischer Texte Gottes persönliches Involviert-Sein, seine Macht, inkludieren aber auch die Idee eines Bündnisses zwischen Gott und der Schöpfung bzw. einzelnen Menschen. Gilian Mary Clare Bonney (The concepts of heavenly and earthly kingship and kongdoms as re-flected in the exegesis of Gregor of Nyssa of Numbers 21:4–9; 49–59) vergleicht Konzepte der Königsherrschaft bei Josephus (die Diskussion um das Konzept der Theokratie, contra Apionem II 165, sollte berücksichtigt werden) und Philo von Alexandria (bei ihm steht Moses für das vollkommen verwirklichte philosophische Leben) und be­spricht kurz die allegorische Auslegung von Num 21,4–9 bei Philo und Gregor von Nyssa, bei denen Mose bzw. Jesus als die idealen Könige erscheinen; menschliche »Herrschaft« wird allegorisch als Herrschaft über die Affekte gedeutet. Mario Cimosa (Βασιλεία τοῦ θεοῦ καὶ βασιλεία τῶν ἀνθρώπων especially in some Psalms of the LXX concerning King David, 61–67) gibt einen sehr allgemein gehaltenen Überblick über die tituli der Psalmen, die er als Interpretationen des Psalms hin auf das (supponierte) innere Leben des Königs versteht; im Anschluss an Raymond J. Tournay, Les Psaumes, 1950, erwägt er die davidische Herkunft einzelner Psalmen wie Ps 88[89]; 109[110], ohne das mit einem historisch-kritisch gewonnenen David-Bild auszugleichen. Der Beitrag hätte redaktioneller Nacharbeit bedurft (61 wie 67: »open to …«). Kristin De Troyer (Di-vine Kingdom in the Book of Esther Addition D, 69–76) zeigt anhand von Est 5,1c ad vocem στολήν und λιθῶν πολυτελῶν, wie in der griechischen Übersetzung des Buches Esther der König zu einer priesterlichen Figur wird. Christoph Elsas (Convergences of Zoroastrian kingship from heaven and Jewish kingdom of Ged versus Hellenistic kingship, 77–85) stellt bei zoroastrischen Traditionen den Auftrag des guten Gottes Ahura Mazda an den regierenden König heraus, für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen, was ein starkes Interesse an der Ethik impliziert. 2Makk 1,17 und Sach 9,9 f. werden als gegen hellenistische Königsideologie gerichtet interpretiert. Helen Efthimiadis-Keith (Anamnesis an Apocatastais. A Jun-gian Interpretation of the Eschaton and the Kingdom of God in the Book of Tobit, 87–110) interpretiert die Eschatologie des Buches Tobit vor dem Hintergrund von Carl Gustav Jungs Konzept der Individuation. Das in Tob 14 geschilderte Geschick Israels als Nation spiegelt sich in der narrativen Vita Tobits wider. Das Buch will seine Rezipienten dazu führen, den engen Kausalnexus zwischen Leiden und göttlicher Strafe, Wohlergehen und göttlichem Segen aufzubrechen, eingedenk dessen, dass Gott auch Nichtjuden in seinem eschatologischen Reich integrieren will. Gert Jacobus Steyn (Kingdom and Magi. Comparative notes on LXX Daniel, Philo of Alexandria and Matthew’s Gospel, 111–123) arbeitet die Traditionsgeschichte des Begriffes μάγος auf: In griechischer Literatur wird er mit Sterndeutern und Interpreten überirdischer Visionen assoziiert. Die relative Häufigkeit des Begriffes im Theodotion-Text des Danielbuches im Vergleich zu dessen Old-Greek-Version könnte auf eine Entstehung des Theodotion-Textes im Osten verweisen (118). Mt 2,1–12 sticht von der Bewertung der μάγοι in jüdischen Texten durchaus ab. Hans Eideneier (Griechische Sprache und Religion, 127–139) betont in einem mit großen Strichen gezeichnete Panorama, dass die Vermittlung des Christentums an die griechische Kultur nur möglich war aufgrund der Hellenisierung Roms, der Hellenisierung der jüdischen Religion in Form der Septuaginta und der Aneignung griechischer Rhetorik durch die großen Theologen des 4. nachchristlichen Jh.s. Johann Cook (The Applica­-tion of Greek Philosophical Perspectives in the Septuagint, 141–154) führt maximalistische und (von ihm eher favorisiert) minimalis-tische Positionen zur Frage des Einflusses griechischer Philosophie auf die Septuaginta vor Augen. Die Frage nach Ausmaß und Eigenart geistigen Austauschs zwischen griechischem und nichtgriechischem Gedankengut in der Zeit des frühen Hellenismus verdient in der Tat weitere Aufmerksamkeit – hierzu wäre der am Detail zu orientierende interdisziplinäre Austausch mit der Altphilologie wünschenswert.
Im Mittelpunkt der ausführlichen und detaillierten Studie der Herausgeberin Evangelia Dafni (Die hoffärtigen Könige in Jesaja und Ezechiel. Zur Theologie der Sprache der Septuaginta, 155–221) stehen Jes 24,21–23; 27,1; 10,5–16; 14,3–21; Ez 28,2–10.12–19; 29,2–6; 32,2–12; 31,2–18. Der Masoretische Text, die Septuaginta, aber auch die späteren Rezensionen werden hinsichtlich intratextueller und extratextueller Bezüge gründlich durchgearbeitet, was einen Gewinn darstellt – die zahllosen Beziehungen dieser Art können in dieser Rezension gar nicht gewürdigt werden. Für die griechische Übersetzung werden Anleihen aus der Terminologie u. a. bei He­siods Theogonie und bei Euripides benannt. Als Ergebnisse lassen sich benennen: 1. Die Jesaja-Übersetzung wirkt auf die Ezechiel- Übersetzung ein; beide griechischen Übersetzungen lassen den Vorlagen neue, über den altorientalischen Chaoskampfmythos hinausweisende Dimensionen zuteilwerden. 2. Im Gegensatz zu den Targumim vollzieht die Septuaginta zu diesen Stellen keine personelle Identifizierung, sondern »bevorzugt Übersetzungsäquivalente, die auf das Wirken des Bösen (Mask.) in dieser Welt in der Gestalt eines hoffärtigen Königs, der widergöttlich und menschenfeindlich handelt, verweisen« (220).
Insgesamt bestätigt sich für den Rezensenten die Einsicht, dass sich die Frage nach »Theologie(en) in der Septuaginta« nur in streng text- und detailbezogener Arbeit betreiben lässt, in der die Divergenz der jeweiligen Hermeneutik der einzelnen Übersetzer ernstgenommen wird und die Akzente der einzelnen Übersetzungen auch im Detail in das antike literarische wie historische, jüdische und hellenistische Umfeld der Septuaginta eingebettet werden.