Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2020

Spalte:

801–803

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wills, Lawrence M.

Titel/Untertitel:

Judith.

Verlag:

Minneapolis: Fortress Press 2019. 530 S. = Hermeneia – A Critical and Historical Commentary on the Bible. Geb. US$ 79,00. ISBN 978-0-8006-6105-2.

Rezensent:

Barbara Schmitz

In der Hermeneia-Reihe ist ein neuer Kommentar zum Buch Judith von Lawrence M. Wills erschienen. Eingeführt wird in die Kommentierung durch eine umfangreiche Einleitung (1–170) in neun Kapiteln.
Nach einem kurzen ersten Kapitel, in dem »Judith« als Name und Titel des Buches sowie die Position des Buches im Kanon thematisiert wird (1–4), diskutiert W. im zweiten Kapitel (»The His-torical Context of Judith: Historicity, Date, Author, Location of Composition, Language«, 5–23) den historischen Kontext des Bu­ches, das er an das Ende des 2. bzw. zu Beginn des 1. Jh.s v. Chr. datiert. Besonders interessant sind seine Ausführungen zur viel diskutierten Frage nach der Originalsprache der Juditherzählung, ist doch die von Morton Enslin, Carey A. Moore und Robert Hanhart als Forschungskonsens präsentierte Einschätzung, dass dem griechischen Buch Judith ein hebräisches Original zugrunde liege, in den vergangenen Jahren, vor allem durch Helmut Engel, Jeremy Corley u. a., und im Kommentar von Helmut Engel und Barbara Schmitz deutlich angefragt worden. W. greift den statistischen Zugriff von Raymond A. Martin (Syntactical Evidence of Semitic Sources in Greek Documents, Cambridge, MA 1972) auf, kommt aber auch mit diesem zu keinem eindeutigen Ergebnis: »In my opinion, it is somewhat more likely that Judith was written in a Semitic language, but strong evidence can be amassed on both sides of the question.« (23)
Im folgenden Kapitel zur literarischen Struktur (24–32) stellt W. vor allem die Strukturanalysen zum Erzähltext von Toni Craven und Erich Zenger sowie zu den Reden und Gebeten von Barbara Schmitz vor. Seine eigene Sicht, gerade mit Blick auf das Zusammenspiel von Erzähltext mit den Reden und Gebete, entwirft W. in der Metapher von »libretto-to-music«: »The narrative is the music and the speeches the libretto. The former operates on a more suggestive level, the latter on a more cognitive level, although there are complexities to both. The narrative level, however, communicates on a more satiric, transgressive message, while the speeches serve to inoculate Judith against censure« (27–28). Diese »libretto-to-music«-Perspektive zeigt W. in der folgenden Kommentierung differenziert auf.
Mögliche Intertextualitäten zur Juditherzählung diskutiert W. mit Blick auf die biblischen Texte (hier vor allem Est; Dan; 1 und 2Makk) sowie zu altorientalischen und griechischen Parallelen (33–49) und kommt zu dem Schluss, dass explizite Bezüge nur zu den biblischen Texten aufzuzeigen sind, während die außerbiblischen Parallelen impliziter sind. Wie sehr man diese Bezüge gegeben sieht, hänge von der (offenen) Frage nach dem angenommenen Entstehungskontext der Erzählung als auch von der Kompetenz der anvisierten antiken Leserschaft ab.
Einen aufschlussreichen Überblick bietet W. in Kapitel 5, in dem er die keinesfalls einlinige, sondern wechselvolle und ambivalente Geschichte der feministischen Interpretation der Juditherzählung aufzeigt (50–70). Ähnlich interessant ist das folgende Kapitel, in dem W. die unterschiedlichen Positionen und Einschätzungen zur Theologie des Buches Judith seit dem Jahr 1900 aufzeigt (71–77). Beide Kapitel zeigen, wie die Juditherzählung höchst unterschiedliche Positionierungen und ambigue bis gegensätzliche Interpretationen triggert.
Als ein zentrales Kapitel erweist sich das siebente Kapitel »Genre and Literary Qualities of Judith« (78–106), in dem W., Autor von »The Jewish Novel in the Ancient World« (1995), nicht nur die Genrefragen diskutiert und für die Bezeichnung Jewish novellas plädiert, sondern in dem er auch die für die Einschätzung der Erzählung grundlegende Frage nach Humor, Ironie und Lüge thematisiert.
Ausführlich widmet sich W. sodann der Rezeptionsgeschichte der Juditherzählung in Kunst, Musik und Literatur (107–166), die er in fünf Phasen untergliedert (um 400; 1000–1100; 1350–1850; 1850–1920; 1960 bis heute). Reich bebildert gibt er hier einen sehr guten Überblick über die komplexe und ebenfalls ambivalente Rezep-tionsgeschichte der Erzählung »from every bit as good as Mary to every bit as evil as Salome«, die er als Rorschachtest für die west-liche Kultur versteht (154).
Das neunte Kapitel zu Text und Übersetzung (167–170) leitet zum Kommentar selbst über (173–388). Auf die Übersetzung, nah am Griechischen und doch gut lesbar, folgen Textkritik sowie die vers- bzw. abschnittsweise strukturierten, präzisen und punktgenauen Kommentierungen. Überblicke und Vertiefungen bieten insgesamt 24 Exkurse. Besonders sei auf den Exkurs zu »The Book of Judith and Greek Philosophy« (270–275) verwiesen.
W. hat einen ausgezeichneten Kommentar vorgelegt, der sich durch klare und umsichtige Argumentation auszeichnet. Dabei zeigt W. unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten auf, wobei er die Interpretationsoptionen sorgfältig gegeneinander abwägt und sich im Urteil häufig zurückhaltend zeigt. Nicht zuletzt damit erhalten die Leserinnen und Leser einen zuverlässigen Einblick in die Bandbreite der diversen, mitunter auch kontroversen Judithdeutungen.
Eine Besonderheit von W.s Kommentar ist zudem, dass er die Vulgata-Fassung der Juditherzählung, wenn auch im umfangreichen Appendix, einen eigenen Platz einräumt. Dieser Appendix »Jerome’s Vulgate and Septuagint Compared« besteht aus einer englischen Übersetzung des Vulgata-Textes, der in einer Synopse zum LXX-Text dargeboten wird (402–438). Eingeführt wird in diesen Vergleich durch eine Einleitung (389–401). W. betont darin die hohe Stabilität des LXX-Textes, die – anders als biblische oder nicht-biblische Novellen der Zeit – nicht in voneinander abweichenden Textfassungen vorliegt mit folgender Perspektive: »On first inspection, the salient charastic of the text history of Judith is that it is not interesting. […] Judith, on the other hand, circulated in the greek tradition in textual versions that were fixed as most of the proto-canonical books.« (389) Dass sich dies erst in der Zeit von Hieronymus mit der von ihm vorliegenden Übersetzung ändert, ist nicht ganz einfach zu deuten. Nach der Diskussion der praefatio von Hieronymus und der Diskussion zentraler Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen beiden Fassungen kommt W. in der Frage zu dem Schluss, ob die Differenzen auf eine andere Textvorlage oder auf Hieronymus selbst zurückzuführen sei: »The difference in the two Judiths highlighted by this comparison is quite remarkable, and certain aspects of the difference may be attributed with some likelihood either to Jerome or to his source, but other differences cannot be so easily adjudicated at this time. The discussion of dif-ferences should continue, even as the uncertainty of the situation is recognized.« (401)
Ein Literaturverzeichnis (439–464), Stellenregister (465–485) und ein kurzes Sachregister (485) sowie ein Autorenverzeichnis (485–495) beschließen den Kommentar.