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Ausgabe:

September/2020

Spalte:

781–782

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Meir, Ephraim

Titel/Untertitel:

Interreligiöse Theologie. Eine Sichtweise aus der jüdischen Dialogphilosophie. Hrsg. u. übers. v. E. Morlok.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter Oldenbourg; Jerusalem: The Hebrew University Magnes Press 2016. VIII, 256 S. Geb. EUR 89,95. ISBN 978-3-11-044173-4.

Rezensent:

Martin Hailer

Der anzuzeigende Band ist ein Jahr zuvor ohne das Nachwort von Wolfram Weiße in derselben Verlagskooperation als »Interreligious Theology. Its Value and Mooring in Modern Jewish Philosophy« erschienen. Sein Autor Ephraim Meir ist Emeritus an der Bar-Ilan-Universität in Israel und nahm in den Jahren 2009 bis 2017 die Emmanuel-Levinas-Gastprofessur an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg wahr.
In seinem Vorwort nennt Perry Schmidt-Leukel vier Prinzipien einer interreligiösen Theologie: (1.) echte Offenbarungen sind in der ganzen Religionsgeschichte zu finden; (2.) die Wirklichkeit ist eine; (3.) interreligiöse Theologie ist in interreligiöse Diskurse eingebettet; (4.) die Unabgeschlossenheit dieses Unternehmens (3 f.). Ohne genau diese vier Punkte abzuarbeiten, stimmt M. ihnen im Verlauf des Bandes zu und skizziert diejenigen jüdischen Denktraditionen, die zur Entwicklung einer solchen interreligiösen Theologie beitragen können.
Interreligiöse Theologie ist, wie M. einleitend bemerkt, nicht als religionstheologischer Pluralismus zu verstehen, weil dieser noch der Perspektive einer Religion/Konfession verhaftet sei. Interreligiöse Theologie befasst sich dagegen »mit der Menschheit an sich in ihrer Gegenüberstellung mit Gott und nicht nur mit einer bestimmten Gemeinschaft« (9, vgl. 51.81). Das impliziert das Ein-geständnis, dass alle Religionen unvollkommen sind, unter ausdrücklichem Einschluss der eigenen. Das Ziel ist jedoch nicht eine menschliche Einheitsreligion, vielmehr wird die sogenannte »Trans-Differenz« angestrebt, die sowohl das Eingebettet-Sein kleiner Einheiten in den großen Zusammenhang denken und zugleich den Wert und die Eigenart der kleinen Einheiten wahren können soll: »Einheit unter Berücksichtigung der Unterschiede« (160, ferner 10–13.147–163).
Im ersten Kapitel werden Martin Buber, Franz Rosenzweig und Abraham Joshua Heschel als jüdische Dialogdenker in Richtung einer interreligiösen Theologie vorgestellt. Bubers Dialogphilosophie, Rosenzweigs Überlegungen zu Sprache und Übersetzung und der religiöse Pluralismus bei Heschel sind die dafür wichtigsten Momente. Freilich »war ihre Perspektive begrenzt: sie konzentrierten sich vornehmlich auf das Verhältnis des Judentums zum Chris-tentum« (54), was auf alle Religionen und spirituellen Strömungen auszudehnen sei.
Zwei kürzere Kapitel skizzieren Nähen zwischen Heschels Denken und buddhistischen Motiven und bringen Bemerkungen zu Paul Knitter. Programmatisch ist Kapitel 4 »Bausteine für interre-ligiösen Dialog und interreligiöse Theologie« (79–94). Unter diese Bausteine zählen die strikte Transzendenz der letzten Wirklichkeit, das Zugehen auf eine »interreligiöse Religiosität und Theologie« (81), eine dialogische Grundhaltung, bei der das Ich erst am Du zum Ich wird, die schon genannte trans-differente Haltung und die Bereitschaft, in der eigenen Religion negative Punkte zu sehen.
Ausführlich wird danach das Bibelübersetzungsprojekt von Martin Buber und Franz Rosenzweig vorgestellt, gefolgt von kurzen Beobachtungen zu weiteren jüdischen Denkern, unter ihnen Moses Mendelssohn und Hermann Cohen.
Gegen den Gewaltvorwurf an die Adresse des Monotheismus – hier herangezogen: H. G. Kippenberg, Gewalt als Gottesdienst, München 2008 – führt M. das humanisierende Potential der großen Religionen ins Feld. Der wichtigste Beitrag der jüdischen Tradition dazu ist das dialogische Denken, nach dem es keine in sich abgeschlossenen Ich-Narrationen geben kann: In Beziehung zu sein, macht das Ich nicht ärmer, sondern reicher.
Gegen Ende wird das Projekt einer interreligiösen Theologie noch einmal akzentuiert: Sie »kann akzeptieren, dass es viele Möglichkeiten gibt, um zu einem spirituellen, erleuchteten Leben zu gelangen« (200), sie verzichtet auf Absolutheitsansprüche, sie wird stets kontextuell vollzogen und sie rechnet mit relationalen Identitäten (200–209). Abschließend berichtet M. von einigen in der Hamburger Akademie der Weltreligionen unter seiner Beteiligung abgehaltenen interreligiösen Dialogveranstaltungen (210–224).
Es ist vermutlich richtig, dass hier erstmals aus jüdischer Sicht interreligiöse Theologie vorgestellt wurde (227), jedenfalls wenn man sie in der Schmidt-Leukel/Meirschen Lesart versteht. Zu fragen ist, ob der öfters behauptete Unterschied zwischen ihr und dem religionstheologischen Pluralismus so deutlich ist, wie M. annimmt. Auch ist die behauptete Differenz zur Komparativen Theologie (204) angesichts der faktisch komparativ vorgehenden Religionsdialoge in Hamburg wenig überzeugend. Die grundsätzliche Frage, welche erkenntnistheoretischen Probleme pluralistische Konzeptionen mit sich bringen, kann hier nur in Erinnerung gebracht werden. Ob der am häufigsten herangezogene Martin Buber wirklich panentheistisch dachte (186), muss bei anderer Gelegenheit geklärt werden. M. ist sicher mit den Hinweisen im Recht, dass die dialogische Religionsphilosophie aus jüdischen Quellen einen Beitrag sui generis darstellt. Das ist plausibel, auch wenn die Zeichnung des Gegners (»Identitätskonzeptionen […], die als rein und vom Anderen unberührt angesehen wurden«, 207) schlicht ausfällt.