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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

753–755

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schon, Dietmar [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Serbische Orthodoxe Kirche in den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2019. 272 S. = Schriften des Ostkircheninstituts der Diözese Regensburg, 3. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-3057-8.

Rezensent:

Martin Illert

In der ökumenischen Diskussion hat das hermeneutische Paradigma der kirchlichen Selbstbeschreibung seit geraumer Zeit die Fremdbeschreibungen der klassischen Konfessionskunden abgelöst. Die Konfessionskunde der Vergangenheit vermittelte nicht selten vermeintlich objektive, tatsächlich aber konfessionell und kulturell nachhaltig geprägte Fremdbilder anderer Kirchen. Mit der Rezeption postkolonialer Zugänge wurden die alten Ansätze auch in der Theologie oftmals als Konstruktionen imaginierter Gegenwelten entlarvt, die vor allem dazu dienten, das Selbstbild ihrer Autoren und deren Kirchen durch den Kontrast zum dargestellten kirchlichen Gegenüber zu stärken. Die Selbstbeschreibung kirchlicher Identitäten durch alle ökumenischen Akteure gehört deshalb heute zum Standardrepertoire des ökumenischen Gespräches. Autorinnen wie die bulgarische Historikerin Maria Todorova im anglophonen Sprachraum und die serbische Theologin Irena Zeltner Pavlovi im deutschen Diskurs haben zudem mit Hinweis auf westliche Bilder Südosteuropas überzeugend deutlich gemacht, dass sich die postkolonialen Fragestellungen nicht auf die Frage nach dem Bild eines »globalen Südens« in den Schriften eines »globalen Nordens« beschränken sollten. Unbestritten dient nämlich auch »der Balkan« zusammen mit den dortigen Kirchen bis in die Gegenwart als Lieferant bequemer Vorur teile zur Festigung eines »aufgeklärten« und »li­beralen« Selbstbildes der sich als »westlich« definierenden Welt und der sich in diesen westlichen Kontext einordnenden Theologie.
Der Band des katholischen Regensburger Ostkirchenkundlers Dietmar Schon ist deshalb in mehrfacher Hinsicht wichtig. Nicht allein kommt in dreizehn der insgesamt vierzehn Beiträge des Buches die serbische Orthodoxie selbst zu Wort und erhält so die Gelegenheit, ihre Selbstwahrnehmung einer deutschsprachigen theologischen Leserschaft bekanntzumachen. Vor allem trägt der Band in seiner Konzentration auf die Beiträge der serbischen Theologinnen und Theologen erheblich zur Differenzierung des hierzulande vielfach noch einseitigen Bildes von der Serbischen Orthodoxen Kirche bei: Sämtliche Vorträge aus zwei Fachkolloquien des Ostkircheninstituts Regensburg mit der Orthodoxen Theologischen Fakultät Belgrad aus dem Jahr 2018 zeigen nämlich, dass die gewöhnlich von westlicher Seite reflexartig und exklusiv aufgebotene hermeneutische Kategorie des »Nationalismus« mitnichten ausreicht, um die komplexe Identität der orthodoxen Kirchen Südosteuropas auch nur annäherungsweise zu fassen.
So gehört, wie Dietmar Schon und der Belgrader ökumenische Theologe Rade Kisi in ihren Referaten zur ersten Tagung »Die Serbisch Orthodoxe Kirche im Kontext von Geschichte und gesellschaftlicher Veränderung« herausarbeiten, die Tradition des ökumenischen Dialoges und des interreligiösen Gesprächs seit langer Zeit zur Identität der serbischen Kirche. Dies gilt auch für die Diasporacommunities in Deutschland oder in Südafrika mit ihren besonderen kirchenrechtlichen und kulturellen Herausforderungen, wie die Referate der beiden Münchener Doktoranden Radivoje Simi und Nemjana Andrijaševi ausführen. Dass die politisch-gesellschaftlichen und die rechtlichen Fragen des ökonomischen und kulturellen Umbruchs in Serbien und Europa der Gegenwart eine bestimmende Rolle für die Selbstbeschreibung serbische Kirche spielen, arbeitet der für Österreich, die Schweiz und Italien zuständige Bischof Andrej Ćilerdži ebenso wie die Münchener Doktoranden Dragiša Jerci und Nenad Živkovi heraus. Ferner verdeutlicht die Erlanger Praktische Theologin Irena Zeltner Pavlovi eindrücklich den Umstand, dass neben den Selbstbildern der Kirchenhierarchien und den »westlichen« me­dialen oder kirchlichen Fremdbildern auch kirchliche wie kirchenunabhängige Medien in Serbien selbst die Wahrnehmungen der Realität »Serbische Orthodoxe Kirche« formen.
Unter den theologischen Disziplinen, die die Tagung »Aktuelle Entwicklungen der serbisch-orthodoxen Theologie« vorstellte, spielt die Exegese nach dem Zeugnis der Belgrader Exegeten Vladan Tatalovi und Nenad Božovi eine ebenso bedeutsame Rolle wie die vom Münchener Doktoranden Markus Deli am Beispiel der Origenesexegese vorgestellte Patrologie oder die vom Belgrader Liturgiewissenschaftler Sroboljub Ubiparipovi präsentierte Li­turgik. Wie nachhaltig die serbische Theologie durch ihre or-thodoxe Perspektive auch im deutschen Sprachraum die ausge-tretenen Wege etwa des lutherisch-katholischen theologischen Ge­spräches beleben könnte, ist den Beiträgen des Belgrader Religionswissenschaftlers Marko Viloti zur serbischen Kirche und dem modernen theologischen Denken und des Belgrader Systematikers Zdravko Jovanovi zur zeitgenössischen Ekklesiologie der serbischen Kirche zu entnehmen. Beispielhaft macht etwa ein Blick auf das von Jovanovi entfaltete orthodoxe Verständnis des Konzeptes der apostolischen Sukzession deutlich, dass diese nie allein unter einer »historischen« Perspektive verstanden werden kann, wie vielfach unreflektiert im römisch-katholischen und im lutherischen theologischen Denken angenommen wird. Vielmehr besitzt die apostolische Sukzession für die orthodoxe Theologie immer auch eine eschatologische Dimension, die den theologischen Topos an das eschatologisch-liturgische Geschehen der Handauflegung und damit an die Gegenwart des Heiligen Geistes im endzeitlichen Geschehen des Gottesdienstes rückbindet.
Mit dem Hinweis auf die vernachlässigte ökumenische Relevanz der hier entfalteten Ekklesiologie möchte der Rezensent keineswegs in die ritualisierte Klage einstimmen, ökumenische »Er­kenntnisse« würden nicht genügend »rezipiert«. Es wäre ein irriges Verständnis der Hermeneutik der Selbstvorstellung, wollte man verlangen, dass ökumenische Theologie fortan die Selbstbilder der einzelnen Kirchen unreflektiert zu übernehmen habe. Vielmehr dürfte aus dem breiten Spektrum der im Band berührten Perspektiven etwas anderes deutlich werden: Die Aufgabe einer ökumenischen Theologie sollte sich niemals darauf beschränken, dogma-tischen Konsens zu erarbeiten, ohne die historischen und gesell schaftlichen ebenso wie die liturgischen und theologischen Rahmenbedingungen ihres eigenen Sprechens besser zu reflektieren, als sie dies gewöhnlich für erforderlich hält. Ausgehend von der Selbstbeschreibung der serbischen Kirche könnte eine kritische »Rezeption« durch katholische und protestantische Theologen deshalb darin bestehen, das hier vorgelegte Bild des Anderen zum Ausgangspunkt für die Überprüfung kultureller und politischer sowie konfessionell-kirchlicher evangelischer und katholischer Selbstbilder im ökumenischen Gespräch zu nehmen.
Aus der Sicht des Rezensenten lädt der Band also zu einer kritischen Selbstbefragung der protestantischen und der katholischen Theologie ein, die prüfen könnte, ob sie sich weiterhin damit zu­friedengeben will, die Theologie Südost- und Osteuropas abwechselnd zu skandalisieren und zu ignorieren. Beides tut sie, indem sie die Theologie Ost- und Südosteuropas entweder ungehört ihrem Selbstbild eines »globalen Nordens« inkorporiert oder ihm immer nur dann ihre Aufmerksamkeit schenkt, wenn »der Balkan« als fiktiver Ort der Gewalt, Intoleranz und Voraufklärung zur wohlfeilen Kontrastfolie dient, auf der das Selbstbild einer liberalen, aufgeklärten und den Menschenrechten verpflichteten Theologie umso heller erstrahlt. Implizit lädt der Band seine evangelischen und katholischen Leser deshalb dazu ein, nicht allein mehr über die serbische Kirche, sondern ebenso mehr über sich selbst zu lernen.