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Ausgabe:

Juli/August/2020

Spalte:

675–678

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

König, Christopher

Titel/Untertitel:

Zwischen Kulturprotestantismus und völkischer Bewegung. Arthur Bonus (1864–1941) als religiöser Schriftsteller im wilhelminischen Kaiserreich.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. X, 628 S. = Beiträge zur historischen Theologie, 185. Lw. EUR 124,00. ISBN 978-3-16-156069-9.

Rezensent:

Julia Winnebeck

In seiner Dissertationsschrift untersucht Christopher König, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Kirchen- und Dogmengeschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Mainz und Dozent am Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche im Rheinland, das Werk des »religiösen Schriftstellers« Arthur Bonus. An dieser gut vernetzten Persönlichkeit lässt sich, so These und Ergebnis der umfangreichen Arbeit, die personelle und inhaltliche Verbindung zwischen Kulturprotestantismus und völkischer Bewegung exemplarisch darstellen. Wer also in dem vorliegenden Werk eine klassische Biographie erwartet, wird auf die bestmögliche Art und Weise enttäuscht: Denn wie K. schon in seiner Einleitung formuliert, möchte er in seiner Studie ausdrücklich »keine Gesamtschau eines Intellektuellenlebens« (21) bieten. Stattdessen ist die Arbeit als »Fallstudie zum Wirkungskreis eines religiösen Intellektuellen an den Rändern des Kulturprotes-tantismus im wilhelminischen Kaiserreich angelegt« (18).
Motiviert ist K.s Studie durch die wichtige Beobachtung, dass, während der Kulturprotestantismus breit erforscht ist, die »weltanschaulichen Auseinandersetzungen insbesondere an seinem rechten Rand« (3) einer gründlicheren Erforschung noch harren. Für die exemplarische Erforschung des rechten Randes des Kulturprotestantismus bietet sich Arthur Bonus an, weil er mit seinen zum Teil radikalen Ansichten eindeutig eine Randposition einnahm, gleichzeitig in der kulturprotestantischen Szene aber be­kannt und gut vernetzt war und somit zu den »Schlüsselfiguren [gehört], an denen sich der Einfluss nationalistischer Denkmuster […] im Kulturprotestantismus vor dem Ersten Weltkrieg ablesen lässt« (1).
In insgesamt acht umfangreichen Kapiteln verfolgt K. vor diesem Hintergrund zwei leitende Fragestellungen: Erstens fragt er »nach den Formen und Grenzen der Rezeption von Bonus’ Vorstellungen im Umfeld des liberalen Protestantismus […], die sich insbesondere im Umkreis der Zeitschrift Die Christliche Welt nachweisen lassen« (19). Zweitens fragt er »nach der Interaktion von Bonus mit weiteren Akteuren der bürgerlichen und reformerischen Kulturszene der Jahrhundertwende« (20), und hier insbesondere nach »Interferenzen« (ein Konzept, das K. von dem Soziologen Stefan Breuer übernimmt) mit der völkischen Bewegung. Methodisch geht K. dabei von Arthur Bonus’ Biographie aus, aus der er dann »generationsspezifische Erfahrungen« (77) extrahiert. Entsprechend umfassen die von K. berücksichtigten Quellen neben dem Nachlass von Arthur Bonus (der merkwürdigerweise im Quellenverzeichnis nicht gelistet ist) und seinen Veröffentlichungen zahlreiche weitere Nachlässe, zeitgenössische Schriften und Presseäußerungen (vgl. 558–585).
In der Einleitung (= 1. Kapitel) umreißt K. zunächst das Diskursfeld, in dem sich Arthur Bonus’ Vorstellungen entfalteten und in dem sich Interferenzen zwischen Kulturprotestantismus und völkischer Bewegung beobachten lassen: So partizipierte der völkische Nationalismus K. zufolge »als ›Trittbrettfahrer‹ an Themen wie der […] Verbindung von Kulturprotestantismus und demokratischem Nationalismus« und »auch im Bereich der sozialen Frage« sowie in Form der »Suche nach einer ausdrucksvollen, überkonfessionellen, nationalen Religion« (62) seien »[g]egenseitige Resonanzen« wahrzunehmen.
Unter der Überschrift »Germanisierung des Christentums« bietet K. im zweiten Kapitel eine Darstellung von Bonus’ Netzwerk, in dessen Rahmen sich die im ersten Kapitel dargestellten Interferenzen konkretisierten. In fünf Unterkapiteln zeichnet K. hier »Bonus’ Umorientierung von der Christlichen Welt zum nationaloppositionellen Spektrum von Kunstwart und Diederichs-Verlag« nach: K. interpretiert diese Umorientierung als eine »konsequente Entwicklung« (199; vgl. 75) in Bonus’ Biographie, die ihm den Ausbruch aus dem engeren protestantisch gebildeten, kirchlichen Umfeld hinaus ermöglichte zugunsten des Eintritts in eine »publizistische[] Umgebung […], die für religiöse Fragestellungen aufgeschlossen war, zugleich aber seine nationalkulturellen und modernen Anliegen teilte« (199).
Im dritten Kapitel wird Arthur Bonus’ religiöses Denken sys-tematisch entfaltet. Während in 3.I zunächst dessen Selbstverständnis als »Nichttheologe« – d. h. sein bewusster Abschied von der akademischen Theologie und seine Hinwendung zu einem von Kierkegaard, Schrempf und Egidy beeinflussten existentiellen Religionsverständnis – einer Analyse unterzogen wird, nimmt K. das theologische System von Bonus näher in den Blick. Dabei identifiziert er die »Individualisierung« (3.II) und die »Nationalisierung« (3.III) des Christentums als zwei zentrale Grundprinzipien des religiösen Denkens von Arthur Bonus und als entscheidende Impulse für die von ihm angestrebte Reform des Christentums.
Unter der Überschrift »Deutsches Christentum und ›Moderne Theologie‹« beschreibt K. im vierten Kapitel Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Theologie von Bonus und seinen theologischen Lehrern, d. h. den Hauptvertretern des Kulturprotestantismus, namentlich Harnack, Kaftan und Rade. Während Letztere Bonus’ rhetorischen Stil und überzogenen Antiintellektualismus sowie zum Teil auch seine Germanisierungsideologie ablehnten, waren sie offenbar einig in der Auffassung, dass Bonus einen Nerv traf und dadurch integrierend für die jüngere Generation im Kreis der Christlichen Welt wirkte. Deutlichere Kritik kam von ihnen nur dann, wenn Bonus mit seinen Aussagen den »Kern« des Christentums zu verlassen und eine neue Religion zu propagieren schien.
Nach der theologiegeschichtlichen Verortung im vierten widmet sich das fünfte Kapitel Arthur Bonus’ politischer Sozialisation im Nationalsozialen Verein mit dem Ziel, die »Verflechtung von Nationalismus, Kulturgedanken und Liberalisierungstendenzen […] in ihren Bezügen zum Naumann-Kreis wie zum kulturprotes-tantischen Umfeld« (397) aufzuweisen.
Im sechsten Kapitel geht es dann um Bonus’ Wirken im Ersten Weltkrieg. Während Arthur Bonus mit anderen führenden Kulturprotestanten zunächst in die »nationalistische Euphorie« (448) miteinstimmte, lässt sich bei ihm im Verlauf des Krieges in politischer Hinsicht zunehmend ein Interesse an Reformen (vgl. 6.I und III) und in theologischer Hinsicht die gesteigerte »Wahrnehmung eines Bruchs gegenüber der Vorkriegstheologie« zugunsten des »Ruf[s] nach einer neuen Frömmigkeit« (448; vgl. 6.II) beobachten. Das letzte Unterkapitel in diesem Abschnitt beschäftigt sich schließlich mit Bonus’ Nachkriegswirken auf politischer (6.IV.1) wie theologischer Ebene (6.IV.2).
Das siebente Kapitel fragt nach der Rezeption des nationalistischen Gedankenguts Arthur Bonus’ in den Reihen der Christlichen Welt im Horizont des Nationalsozialismus (vgl. 531). Letztere so-wie Bonus’ persönliche Haltung zum Nationalsozialismus rekonstruiert K. aus dessen Korrespondenz ab 1932 (7.I.). Während Bonus offenbar zunächst noch die Umsetzung der Synthese aus Nation und Sozialismus nach dem Naumannschen Konzept von der NSDAP erwartete, distanzierte er sich angesichts der immer deut-licher zutage tretenden antidemokratischen Haltung und Ras-senideologie zunehmend von der nationalsozialistischen Partei. Trotzdem bezogen sich völkisch-nationalsozialistische Gruppierungen, wie z. B. die »Deutschen Christen« oder die deutsch-gläubige Bewegung um Jakob Wilhelm Hauer, weiterhin explizit auf Bonus’ Werk (vgl. 7.II). Eine klare Stellungnahme Bonus’ zu dieser nationalsozialistischen Vereinnahmung seines Werkes blieb we­gen seiner fortschreitenden Demenz, aber auch wegen einer gewissen Unentschlossenheit aus (vgl. 536, Anm. 59, und 546).
In der Zusammenfassung expliziert K. im Hinblick auf seine zwei leitenden Fragestellungen noch einmal, inwiefern Bonus sich erstens »als Repräsentant einer für seine Generation vielfach als typisch empfundenen neuen religiösen Orientierung wahrnehmen [lässt], den weniger eine vertiefte Kirchlichkeit als vielmehr das ›Suchen‹, der ›Schrei nach Gott‹ in einer kulturkritisch betrachteten, für materialistisch und oberflächlich gehaltenen Zivilisation antrieb« (548). K.s Buch versteht Arthur Bonus somit als eine rebellische und zeitweise durchaus radikale Randfigur des Kulturpro-testantismus, von der es um die Jahrhundertwende gerade im liberalen Protestantismus einige Vertreter gab – man denke bspw. an Carl Jatho und Gottfried Traub (vgl. 4.III.2) –, die durch einen gewissen Antiintellektualismus, starken Reformdrang, scharfe Kirchenkritik und den Wunsch nach religiöser Verinnerlichung miteinander verbunden waren. Vor diesem Hintergrund lässt sich in der konkreten Biographie Arthur Bonus’ zweitens eine mögliche Entwicklungslinie aus dem kulturprotestantischen Umfeld in Richtung völkische Bewegung beobachten. Diese Entwicklung erfolgte bei Bonus in Form einer schrittweisen Erweiterung seines »christlichen Deutungsrahmen[s] […] um völkisch-religiöse, germanenmythische und sozialdarwinistische Elemente« (548). Gleichzeitig spielte Bonus unter der Formel der »›Germanisierung des Chris-ten tums‹ […] einzelne Themenstellungen der völkischen Weltanschauung in den kulturprotestantischen Diskurs« (548 f.) mit ein. Durch diese »gedankliche Verknüpfung von Deutschtum und Religion« konnte er zahlreiche protestantische Leser gewinnen, die sich wie Bonus eine erneute Verbindung von »Christentum und Kultur vor dem Horizont der Gegenwart« (549) erhofften. Während sich in dem Streben nach einer »deutschen Religion« oder einem »germanisierten Christentum« (550) somit eine Schnittmenge zwischen dem Kulturprotestanten Arthur Bonus und der Völkischen Bewegung ausmachen lässt, finden sich bei Bonus jedoch kaum »An­klänge an die völkischen Rassendiskurse und an den aggressiven Antisemitismus« (550), die K. zufolge im kulturprotestantischen Milieu auch kaum Anklang gefunden hätten.
Insgesamt liest sich diese thematisch dichte Studie wie eine Theologiegeschichte für den Zeitraum zwischen der Reichsgründung und dem Zweiten Weltkrieg, bei der zahlreiche Themen außerhalb des kirchengeschichtlichen Mainstream ausführlich zur Sprache kommen bzw. – in K.s eigenen Worten – ein »Unterstrom in der Geschichte des Protestantismus sichtbar« wird, »der in der Forschung zur Intellektuellen- und Religionsgeschichte des Kaiserreiches zumeist ausgeblendet bleibt« (546).
Die Kehrseite der Anlage als Fallstudie, die zu einer Theologiegeschichte angereichert wurde, ist eine gewisse Unübersichtlichkeit. Wer das Werk von Buchdeckel zu Buchdeckel studiert, wird mit einer Fülle neuer Erkenntnisse belohnt. Allerdings eignet sich die Studie eher nicht für eine kursorische Lektüre oder gar als Nachschlagewerk. Zwar bietet jedes Kapitel am Anfang einen kurzen Überblick zum Aufbau, aber es fehlen kurze Zusammenfassungen der Hauptthesen und Ergebnisse am Ende der einzelnen Abschnitte, und aus dem Inhaltsverzeichnis allein ist die Anlage der Arbeit kaum zu erschließen. Dank der Zugabe eines Personen- und Stichwortregisters wird am Ende wohl trotzdem jeder fündig werden. Die Publikation wird zusätzlich bereichert durch einen Anhang in Form eines tabellarischen Lebenslaufs von Arthur Bonus sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis, das außerdem eine umfangreiche Bibliographie von Bonus enthält.