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Ausgabe:

Juni/2020

Spalte:

582–584

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

[Dalferth, Ingolf U.]

Titel/Untertitel:

Das Letzte – der Erste. Gott denken. Festschrift für Ingolf U. Dalferth zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. H.-P. Großhans, M. Moxter u. Ph. Stoellger.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2018. XI, 504 S. Lw. EUR 149,00. ISBN 978-3-16-156091-0.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Festschriften sind ein heikles Genre. Bisweilen ist die einzige Rechtfertigung ihres Erscheinens, dass es sich um eine weit verbreitete Alterserscheinung handelt. Der geehrten Person wird ein »bunter Strauß« – in manchen Fällen ein Euphemismus für Sammelsurium – von Aufsätzen zu unterschiedlichsten Themen und von verschiedener Qualität überreicht, der dem Jubilar Freude bereiten soll, aber kaum das Interesse einer breiteren Leserschaft zu wecken vermag. Aus der Flut derartiger Publikationen sticht die vorliegende deutlich hervor, was nicht nur an ihrer thematischen Konzentration und dem fachlichen Niveau der Beiträge liegt, sondern auch mit Person und Werk des Geehrten zusammenhängt, über das man sich anhand der Bibliographie am Ende des Bandes (467–495) informieren kann. Gott denken – so der Untertitel der vorliegenden Festschrift – ist Dalferths Lebensthema seit seinen wissenschaftlichen Anfängen. Nicht nur nach Gott zu fragen oder von ihm zu reden, sondern ihm auch im Denken den gebührenden Ort und die Ehre zu geben, ist die Aufgabe theologischer Vernunft, deren Denkmöglichkeiten Dalferth durch seine gewichtigen theologischen und religionsphilosophischen Arbeiten, in denen er Einsichten der Wort-Gottes-Theologie und der Hermeneutischen Theologie mit der analytischen Religionsphilosophie und Theologie, mit Semiotik und gegenwärtiger Phänomenologie in ein weit gespanntes, fruchtbares Gespräch bringt, in welchem aber auch vorhandene Spannungen zwischen den unterschiedlichen Theorieansätzen zutage treten. Kombinatorische Theologie im Sinne Dalferths mündet nicht in eine harmonisierende Synthese zwischen Hermeneutik und Semiotik. Sie ist aber gerade darin radikal und produktiv, dass sie ›Gott‹ als Indexwort versteht, das den Menschen und die gesamte Wirklichkeit in eine neue Perspektive rückt, die als diejenige des Glaubens von der des Unglaubens radikal geschieden ist.
Ob man Dalferths kombinatorische Theologie, sein leidenschaftliches Denken Gottes und sein Ringen um größtmögliche gedankliche Präzision am besten mit einer »Cafeteria-Theologie« ehrt, von der die Herausgeber im Vorwort (VIII) sprechen, sei da-hingestellt. Theologie im Zeitalter der von Dalferth in einem 1996 erschienenen Aufsatz kritisierten »Cafeteria-Religion« folgt jedenfalls gerade nicht dem im Obertitel zitierten postmodernen Motto: »Was Gott ist, bestimme ich!« Und glücklicherweise teilen auch die Autoren der Festschrift – Weggefährten, Schüler und Kollegen – diese radikalkonstruktivistische Position gerade nicht.
Die in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen angeordneten 24 Aufsätze in deutscher, englischer und französischer Sprache zeigen die internationale Bedeutung und Vernetzung Dalferths, der an Universitäten in England, Deutschland und der Schweiz tätig war und seit 2007 als Professor für Religionsphilosophie an der Claremont Graduate University in Kalifornien lehrt. Schön wäre es gewesen, die Aufsätze mit Abstracts auf Englisch oder Deutsch zu versehen.
H.-Chr. Askani eröffnet den Band mit einem klugen Aufsatz (1–18), der die Gedankenfigur der Ohnmacht Gottes einer gründlichen theologischen Kritik unterzieht.
St. Berg (19–39) untersucht die Grammatik des Systems christlicher Existenz, wobei die Grammatikmetapher weniger linguistisch-sprachphilosophisch als vom systemtheoretischen Differenzbegriff aus verstanden wird. Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch erfährt durch das Ereignis, für das der Name Jesus Christus steht, eine die christliche Existenz bestimmende Stö-rung. B. Boothe (41–66) setzt sich aus psychoanalytischer Sicht mit Dalferths Gedanken der kreativen Passivität auseinander, indem sie die Phänomene des Wartens, des Wünschens und des Hoffens analysiert. Ausgehend von Blaise Pascals Pensées legt P. Bühler (67–77) dar, dass und inwiefern alle Bemühungen, Gott zu denken, immer nur gebrochen geschehen können. J. Dierken (80–93) rekonstruiert das Werden von Hegels Konzept des Systems als Selbstkonstruktion des Absoluten, das als Phänomenologie weitergedacht und angeeignet werden könne. T. Erne (95–103) geht der Popularisierung des Theodizeeproblems im zeitgenössischen Kino nach, das nicht religiös, aber religionsaffin sei (97). Die phänomenale Bedeutung der Zeit als Horizont von Sein und als Schnittstelle zwischen Immanenz und Transzendenz untersucht E. Gräb-Schmidt (105–125). Dass Gott als der im gekreuzigten Christus offenbar gewordene und folglich von vornherein trinitarisch zu denkende das Apriori allen theologischen Denkens ist – nicht im Sinne Kants, wohl aber im aristotelischen Sinne –, ist die These, die H.-P. Großhans in seinem Beitrag (127–140) vertritt. E. Hall (141–163) entwickelt im Gespräch mit Dalferth und Augustin den kreuzestheologischen Gedanken der ewigen Kontingenz (eternal contingency). E. Herrmann (165–178) sieht eine wesentliche Voraussetzung für die verantwortliche Rede über Gott in einer pluralistischen Gesellschaft in der Unterscheidung zwischen Säkularismus und »Lebensfreiheitsneutralität« (168), die durch die Religionsfreiheit zu schützen ist. R. A. Klein steuert einen Versuch über »Theologie als Subversion Gottes« bei (179–192), der das Phänomen der Verheißung als Unterbrechung von Glaubensgewissheit und Abgrund des Glaubens interpretiert. S. Knuuttila (193–205) diskutiert die Position eines theologischen Realismus bei Dalferth, Coakley und in der frühen christlichen Mystik (Pseudo-Dionysius). D. Korsch (207–219) bereichert den Band mit einer im besten Sinne erbaulichen Meditation über den Gedanken Gottes und die Dimensionen des Selbstseins, die darin mündet, dass das Denken an Gott da geschieht, wo ihm gedankt wird, das Gotteslob ertönt und Gott angerufen wird. C. Landmesser (221–241) legt dar, was es heißt, mit Paulus Gott zu denken, indem das Shema Israel christologisch interpretiert wird. Welchen Beitrag die Phänomenologie für die Theologie leisten kann und inwiefern das Ansinnen einer Phänomenologie der Offenbarung sinnvoll ist, erörtert J.-L. Marion (243–256). Unter Rückgriff auf Th. v. Aquin unterzieht A. K. Min (257–279) die panentheistischen Konzeptionen von A. Peacocke und Ph. Clayton einer fundamentalen Kritik. M. Moxter (281–296) greift Dalferths Programmformel »Gottes Offenbarung in Gedanken gefasst« auf und wandelt sie zur Formel ab: »Gott in Differenzgedanken gefasst«. H. v. Sass (296–314) ist mit einer philosophischen Studie zu den Begriffen Hoffnung und Optimismus beteiligt und vertritt die These, »dass es Hoffnung nur mit Op-timismus geben kann, sodass der Optimismus als notwendiges Integral der Hoffnung charakterisiert wird« (299). Mit der generellen Fragestellung des Bandes, wie sich Gott denken lässt, ist diese Studie allenfalls indirekt verbunden. S. Schaede (315–338) legt eine höchst instruktive theologiegeschichtliche Studie zum Gedanken des Lebens Gottes vor. K. Schmid (339–350) untersucht alttestamentliche Beispiele dafür, wie Gott auf indirekte Weise gedacht wird, ohne ihn explizit zu nennen, und lotet die textstrategischen wie auch theologischen Potentiale dieser Form von impliziter Theologie aus. Im Rahmen einer Hermeneutik der Differenz entwickelt Ph. Stoellger (351–393) den Gedanken, dass Gott nicht nur Medien zum Zwecke seiner Offenbarung und Vergegenwärtigung gebraucht, sondern selbst als Medium begriffen werden kann, um das religiöse Bewusstsein aus dem falschen »Traum der Gottunmittelbarkeit« (351) zu we-cken. E. Stump (395–413) setzt sich kritisch mit R. Swinburnes Deutung des Todes Jesu als Sühnopfer auseinander und entwickelt anhand der alttestamentlichen Überlieferung einen abweichenden Opferbegriff, der ein alternatives Verständnis der durch Chris­tus bewirkten Sühne ermöglicht. Wie Landmesser widmet sich auch H. Weder (415–442) in seinem Beitrag der Frage, wie Gott im Anschluss an Paulus zu denken ist. Zentral ist dabei für W. der »Reflexionsbegriff der Kreativität Gottes« (415). Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag von C. Welz (443–466) zu Anselm v. Canterburys Proslogion, zu dem Dalferth 1984 einen gewichtigen Aufsatz publiziert hat, und der Frage nach dem Gebet als Schlüssel zur Gotteserkenntnis.
Bis auf wenige Ausnahmen greifen die Autoren das Thema »Gott denken« explizit auf. Zugleich treten alle in das Gespräch mit Dalferth ein oder setzen es fort, wo es schon seit vielen Jahren geführt wird. Beides zeichnet diesen Band aus, der nicht nur die Diskussion zu den heutigen Möglichkeiten christlicher Rede von Gott bereichert, sondern auch unter Beweis stellt, wie fruchtbar und perspektivenreich das weitgespannte theologische Denken Dalferths ist.