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Ausgabe:

Juni/2020

Spalte:

581–582

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Mickan, Antje, Klie, Thomas, u. Peter A. Berger [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Räume zwischen Kunst und Religion. Sprechende Formen und religionshybride Praxis.

Verlag:

Bielefeld: transcript Verlag 2019. 238 S. m. Abb. = Rerum religionum. Arbeiten zur Religionskultur, 1. Kart. EUR 39,99. ISBN 978-3-8376-4672-6.

Rezensent:

Johann Hinrich Claussen

Ein großes publizistisches Problem nicht nur in der Theologie, sondern auch in vielen benachbarten Geistes- und Sozialwissenschaften, ist die Überfülle von Tagungsbänden. Es ist zwar zu begrüßen, dass Wissenschaftler zusammenkommen und sich austauschen. Doch warum müssen alle Kongresse und sogar kleinere Workshops notwendigerweise in einem Buch dokumentiert werden? Vielfach hat man den Eindruck, dass mit solchen Publikationen lediglich den Anforderungen der Geldgeber gehorcht wird. Diese möchten für ihre Förderung ein greifbares Ergebnis erhalten, also ein richtiges Buch aus Papier. Oft genug gewinnt man leider den Eindruck, dass die Herausgeber eigentlich lieber etwas anderes tun würden, sich aber genötigt sehen, etwas zu veröffentlichen, von dem sie selbst nur zu gut wissen, dass es keine Leser findet – jedenfalls nicht über den Kreis derer hinaus, die an der jeweiligen Tagung teilgenommen haben. So werden Bücher um Bücher ge­druckt, die kein Publikum erreichen – ja, dies nicht einmal beabsichtigen – und am Ende lediglich die Universitätsbibliotheken verstopfen.
Damit sei nicht behauptet, dass Tagungsbände immer uninteressant sein müssen. Doch damit sie zur Lektüre reizen, müssten sie mit einem ganz anderen Aufwand gestaltet werden. Sie dürften sich nicht länger damit zufriedengeben, die von den Vortragenden mitgebrachten Texte abzudrucken, sondern müssten die Reaktionen darauf während der Tagung, die Gespräche, die kritischen Einwände und die überraschenden Inspirationen dokumentieren. Es ist ja häufig weniger wertvoll, was die Beteiligten an Vortragstexten mitbringen – oft genug sind dies Kollagen von Texten, die sie schon andernorts vorgestellt haben (wenn dies kenntlich gemacht wird, muss dies nichts Schlimmes sein – wegen ihrer Vorarbeiten hat man sie ja eingeladen). Aber der eigentliche Gewinn einer wissenschaftlichen Zusammenkunft sollte doch darin bestehen, dass Thesen nicht nur präsentiert werden, sondern sich im Gespräch verändern. Wenn dies in einem nennenswerten Ausmaß geschieht, könnte ein Tagungsband durchaus gerechtfertigt sein. Nur müssten in diesem – seltenen – Fall nach der Tagung und vor der Drucklegung alle Vorträge umgeschrieben und neue Kapitel hinzugefügt werden, damit ein Buch entstünde, das den Namen verdiente. Da der Wert einer solchen Veröffentlichung für die Beiträger aber zumeist nur darin besteht, dass sie sich um eine Anschlussförderung bewerben oder ihrer Publikationsliste einen neuen Eintrag hinzufügen können, dürfte das unrealistisch sein. Dann aber sollte man sich fragen, ob es nicht günstigere, schnellere, zeitgemäßere und sachlich angemessenere Formen der Tagungsdokumentation gäbe, zum Beispiel die Veröffentlichung auf eine Website oder in einem digitalen Forum.
Der hier anzuzeigende Sammelband zeigt all die erwähnten Schwächen, ohne dabei besonders schlecht zu sein. Er ist »state of the art«, und das dürfte sein Problem sein. Er dokumentiert die Vorträge, die am 25./26. März 2018 auf einem Workshop des DFG-Projekts »Märkte des Besonderen. Religionshybride Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern« von Soziologen, Theologen, Kulturwissenschaftlern sowie zwei Künstlerinnen gehalten wurden. Hochabstrakte Reflexionen über »Interphänomenalität«, menschheitsgeschichtliche Streifzüge durch eine Ästhetik der Dinge, allgemeine Erörterungen über das Verhältnis von Kunst und Religion in Moderne und Vormoderne stehen neben kunsthistorischen Detailstudien und Einblicken in die Praxis der Kunstvermittlung in Mecklenburg-Vorpommern oder in die Töpferarbeiten einer dortigen Trauerbegleiterin. Kein Beitrag nimmt auf einen anderen Bezug. Was das Abstrakte für das Verstehen des Konkreten austrägt – oder umgekehrt –, bleibt offen. Es ist durchaus möglich, dass es während des Workshops zu wechselseitigen gedanklichen Befruchtungen gekommen ist. Aber der Leser erfährt in diesem Buch nichts davon.