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Ausgabe:

Juni/2020

Spalte:

579–580

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Koslowski, Jutta

Titel/Untertitel:

Die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit des Andrej Rublev.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius Verlag 2017 (2., überarb. Aufl.). 186 S. m. Abb. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-89710-726-7.

Rezensent:

Jennifer Wasmuth

Wer sich in knapper Form über die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit des russischen Ikonenmalers Andrej Rublëv informieren möchte, dem sei das handliche Buch von Jutta Koslowski empfohlen. Auch wenn das Buch primär nicht auf eigener Forschungsarbeit basiert und russischsprachige Titel unberücksichtigt bleiben, wie K. auch selbst schreibt (110, Anm. 121), gelingt es ihr gleichwohl, die für das Verständnis der Ikone wesentlichen Aspekte in einer klar strukturierten und gut lesbaren Darstellung zusammenzufassen.
In Kapitel A werden zunächst die biblischen und patristischen Grundlagen skizziert, indem die für die Ikone maßgebliche Erzählung der Erscheinung des HERRN bei Abraham und Sara in Mamre (Genesis 18,1–16) vorgestellt, auf die Schwierigkeiten in der Exegese des Textes hingewiesen und bei den Kirchenvätern anzutreffende Auslegungen behandelt werden, die sich K. zufolge in einen angelologischen, christologischen und trinitarischen Deutungstyp unterscheiden lassen. Sodann entfaltet K. die Entwicklung der ikonographischen Darstellung von Genesis 18 anhand einiger herausragender Beispiele, wie sie in Rom (4./5. Jh.), Ravenna (6. Jh.), Suzdal (13. Jh.) und Novgorod (14. Jh.) überliefert sind und wie sie unmittelbar vor und nach Rublëv in Russland begegnen. Angesichts der bemerkenswerten Verschiebungen, die sich über die Jahrhunderte hinweg beobachten lassen, ist das nicht nur an sich interessant, sondern auch von Relevanz für die komplizierte Frage der Personendeutung auf der Rublëvschen Ikone, die die Forschung seit jeher beschäftigt hat und der K. entsprechend auch ein eigenes Kapitel widmet.
Nach einigen grundlegenden Hinweisen zum orthodoxen Trinitäts- und Ikonenverständnis werden zuvor jedoch in Kapitel B Hintergrundinformationen zum Leben und Werk des Andrej Rub­-lëv gegeben, der in der Zeit von etwa 1360 bis 1430 im Großfürstentum Moskau gelebt hat und als bedeutendster russischer Ikonenmaler gelten darf. Davon zeugen nicht zuletzt die von K. zitierten historischen Berichte, die für die zumeist anonym arbeitenden Ikonenmaler vergleichsweise viele Informationen über den Mönch Andrej und seine Auftragsarbeiten in verschiedenen Kirchen und Klöstern bereithalten. Auch seine Kontakte zu hochrangigen geistlichen Persönlichkeiten werden darin erhellt, hier insbesondere zu Sergij Radone žskij (ca. 1314–1392), dem Gründer der bedeutenden Troice-Sergieva-Lavra, für die die Dreifaltigkeitsikone Rublëvs ur­sprünglich bestimmt war und in der sie ihren Platz als Ortsikone in der Ikonostase der zentralen Klosterkirche einnahm, bevor sie 1929 in die staatliche Tret’jakov-Galerie überführt wurde, wo sie bis heute zu sehen ist.
Mit Kapitel C lässt K. eine detaillierte Beschreibung der Ikone folgen, beginnend mit den äußeren Daten zur Geschichte der Ikone über eine ausführliche Erörterung des Bildgehalts hin zu der Frage der Personendeutung und der theologisch-spirituellen Symbolik. Bemerkenswert erscheint hier insbesondere die Behandlung kompositorischer Gesichtspunkte, die durch aufschlussreiche Ab­bildungen ergänzt wird. Der Farbgebung wird ebenfalls die nötige Aufmerksamkeit geschenkt, ihre Bedeutung erschließt sich allerdings angesichts der allein in Schwarz-Weiß wiedergegebenen Reproduktionen nicht in vergleichbarer Weise. Die diffizile Frage der Personendeutung geht K. schließlich in wünschenswerter Klarheit und Ausgewogenheit an, indem sie ihre eigene Position im Kontext der die bisherige Forschungsdiskussion prägenden Positionen darlegt. Überzeugend argumentiert K. hier, dass der Ikone einerseits programmatisch eine Vieldeutigkeit einbeschrieben ist, die der Unerkennbarkeit des Wesens Gottes korrespondiert, dass andererseits jedoch eine Zuordnung der mittleren Person zu Christus, der linken Person zum Vater und der rechten Person zum Heiligen Geist am wahrscheinlichsten ist, was u. a. im Rückgriff auf die in Kapitel A behandelte Traditionsgeschichte begründet wird. Ob die Hypothese K.s zutreffend ist, dass im Zentrum der Darstellung nicht die Sendung des Sohnes, sondern des Heiligen Geistes steht, wäre zu diskutieren.
Das Buch endet mit einem nur wenige Seiten umfassenden Kapitel über »Die Dreifaltigkeitsikone als Leitbild für die Ökumene«. Ist es hier einleuchtend, wenn auf die breite, über den orthodoxen Raum weit hinausgehende Rezeption der Ikone aufmerksam gemacht und am Beispiel der von Gerhard Rötting gegründeten »Jesus Bruderschaft« die lebenspraktische Relevanz der Ikone für eine ökumenische Gemeinschaft aufgezeigt wird, so bedürfte die Auffassung, dass die Ikone Rublëvs im Zuge eines geistlichen Ökumenismus zu einer ökumenischen Annäherung beitragen könne, weil in der Orthodoxie »die gelebte Spiritualität Vorrang vor dogmatischen Definitionen« (176) habe, einer ausführlicheren Begründung, als sie in dem Kapitel gegeben wird.