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Ausgabe:

Juni/2020

Spalte:

543–545

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rea, Robert F., and Steven D. Cone

Titel/Untertitel:

A Global Church History. The Great Tradition through Cultures, Continents and Centuries.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2019. 847 S. m. zahlr. Abb. Kart. US$ 47,95. ISBN 978-0-567-67304-6.

Rezensent:

Klaus Koschorke

Die Mehrheit der christlichen Weltbevölkerung lebt längst im Süden, nicht mehr in den traditionellen Zentren in der nördlichen Hemisphäre (Europa, Nordamerika); und Kirchengeschichte als akademische Disziplin hat diesen veränderten ökumenischen Rahmenbedingung Rechnung zu tragen. Dementsprechend gibt es vor allem in der anglophonen Welt eine Fülle von Projekten, die unter verschiedenen Titeln wie World History of Christianity, History of the World Christian Movement, Global Church History, Christianity as a World Religion oder History of World Christianity laufen. Konferenzen wie jüngst (2019) in Princeton und Atlanta widmen sich der Historiographie und Methodologie der World Christianity Studies. Neuere Konzepte wie das polyzentrischer Strukturen in der Geschichte des Weltchristentums werden in der englischsprachigen academia intensiv diskutiert.
Neu erschienen (2019) und vor allem für den amerikanischen Markt bestimmt ist das hier zu besprechende Lehrbuch von Robert F. Rea und Steven D. Cone: A Global Church History. The Great Tradition through Cultures, Continents, and Centuries (London/New York 2019). Die Verfasser lehren als Kirchenhistoriker (Rea) und Systematischer Theologe (Cone) an der Lincoln Christian University (Lincoln, Ill.). Die anvisierte Zielgruppe wird wie folgt beschrieben: Das Buch sei »designed for upper-division undergraduates, beginning graduate students, and interested laymen« und suche »readers in both the academy and the church« zu erreichen. Das umfangreiche Werk (847 Seiten) gliedert sich in zwei Hauptteile: einen darstellenden Teil (»Section I: Christianity though the Ages«) sowie einen umfangreichen Dokumentationsteil (»Section II: Documents of Christianity through the Ages«). Die chronologische Gliederung folgt einem traditionellen Muster: »Early Church«/ »The Church from 500 to 1500«/»Reformation Period from 1500 to 1650«/»Seventeenth to Nineteenth Centuries«/»Christianity in the Twentieth Century and Beyond«. Im darstellenden Hauptteil folgen den einzelnen Abschnitten jeweils »Discussion questions«.
Die folgende Besprechung beschränkt sich auf die Frage, wie die »globale« Perspektive umgesetzt bzw. in welchem Umfang die Geschichte des Christentums im heute sogenannten globalen Süden in die Darstellung einbezogen wird. Entsprechende – eher kurze – Abschnitte finden sich in jedem Kapitel. Das frühe »Christentum außerhalb des Römischen Reiches« wird in Kapitel 1 auf zwei Seiten abgehandelt (71 f.), die Entstehung der orientalischen Kirchen Asiens und Afrikas in Zeiten des europäischen Mittelalters (Kapitel 2) hingegen ausführlicher erörtert (104–138). Die iberische Übersee-Mission (Amerika, Afrika, Asien) im Reformationszeitalter wird wiederum eher knapp dargestellt (309–323). Im Kapitel 4 (zum 17.–19. Jh.) findet sich naturgemäß ein größerer Abschnitt zu »Christianity in North America and beyond« (354–385), mit Fokus auf die europäischen Siedlergemeinschaften; die zeitgleiche Geschichte des Christentums in Lateinamerika, Ozeanien, Afrika und Asien wird auf S. 400–426 unter primär missionsgeschichtlicher Perspektive verhandelt. Eine deutlich veränderte Gewichtung findet sich im Schlusskapitel 5 (das das 20. Jh. zum Gegenstand hat). Das europäische Christentum vor, während und nach dem 2. Weltkrieg wird hier eher knapp erörtert (428 ff.), ebenso wie Entwicklungen in Nordamerika (450–465). Die Christentumsgeschichte Lateinamerikas, Ozeaniens, Afrikas und Asiens hingegen erfährt hier eine breitere Darstellung (471–502).
Ausgesprochen dürftig jedoch ist die Berücksichtigung nicht-westlicher Quellen im Dokumentationsteil. Aus der Zeit vor 1450 sind es ganze vier Texte über das Christentum im nicht-mediterranen Asien und Afrika (so die sogenannte »Nestorianer«-Stele aus dem chinesischen Xian und der äthiopische Kebra Nagast). Die iberische Übersee-Expansion und die ihr folgende katholische Missionsbewegung in Amerika, Afrika und Asien im 15. und 16. Jh. gar wird nur mit einem einzigen Quellentext dokumentiert (die Papstbulle Inter cetera von 1493). Im Abschnitt zum 20. Jh. finden sich nur einzelne christliche Stimmen aus Asien (C. S. Song), Afrika (M. R. A. Kanyoro) und Lateinamerika (Gustavo Gutiérrez, Leonardo Boff). Auch im Bildteil finden sich nur vereinzelt Fotos christlicher Führungspersönlichkeiten oder Theologen aus dem globalen Süden.
Erfreulich ist sicherlich die (im Vergleich zu traditionellen kirchengeschichtlichen Curricula) erweiterte geographische Perspektive. Dennoch markiert der vorliegende Band noch keinen signifikanten Fortschritt. Die außereuropäischen bzw. nicht-westlichen Referenzen erwecken wiederholt den Eindruck eines bloßen Ap­pendix bzw. ergänzenden Zusatzes zu einem vorgegebenen Narrativ. Sie wirken weithin wie das, was Jürgen Osterhammel in an­derem Zusammenhang als bloße »Buchbinder-Synthese« bezeichnet hat. Die Bedeutung indigener Initiativen und Rolle der »native agency« im Prozess der globalen Ausbreitung des Christentums, die Eigendynamik lokaler Christentumsformationen, die vielfältigen Austauschbeziehungen und Wechselwirkungen bzw. das Konzept einer globalen Christentumsgeschichte als transregionaler Interaktionsgeschichte – all das kommt nicht oder nur am Rande vor.
Ein konkretes Beispiel: Der Kongo-Katholizismus des 16. Jh.s wird nur ganz kurz erwähnt, als Ergebnis der Aktivitäten portugiesischer Missionare (316: »Portuguese missionaries introduced Christianity to the Congo in 1491«). Der aufregende Prozess einer Selbstchristianisierung des Landes unter einem afrikanischen Herrscher – König Nzinga Memba/Dom Afonso I, der in lebhafter Korrespondenz mit seinem portugiesischen Amtskollegen König Manuel und der Kurie in Rom stand und dessen Sohn Heinrich zum ersten schwarzafrikanischen Bischof der Neuzeit geweiht wurde –, wie ihn etwa der Sozialanthropologe John Thornton oder die Historiker Adrian Hastings und Horst Gründer eindrücklich beschrieben haben, wird völlig ausgeblendet. Dieser Prozess einer Selbstchristianisierung war umso aufregender, als er teils sogar gegen den Widerstand der Portugiesen (die primär am Sklavenhandel interessiert waren) durchgehalten wurde und zugleich – durch die evangelisatorischen Aktivitäten von als Sklaven nach Amerika verschleppten Kongo-Christen unter ihren Landsleuten in der Neuen Welt – transatlantische Auswirkungen hatte. Ebenfalls nur kurz wird an gleicher Stelle (316; cf. 410) auf das Beispiel Äthiopien verwiesen, das immerhin als Modell eines afrikanischen (und von Europa unabhängigen) Christentums in den Debatten afrikanischer Christen im 19. und frühen 20. Jh. eine enorm wichtige Rolle spielte und in Gestalt des sogenannten Äthiopismus Emanzipationsbestrebungen schwarzer Christen auf beiden Seiten des Atlantik inspirierte.
Resüme: Als »globale Kirchengeschichte«, die den dramatischen Umbrüchen und vielen Gestalten des Christentums als einer weltweiten Bewegung »through Cultures, Continents, Centuries« gerecht wird, vermag der vorliegende Band nur bedingt zu überzeugen. Aber er ist zu würdigen als Station eines Lernprozesses, dessen Herausforderungen sich Christentumshistoriker auf der ganzen Welt zu stellen haben und der ein hohes Maß an interdisziplinärer Kooperation erfordert. Die Aufgabe, ein neues Bild der Geschichte des Christentums als globaler Bewegung zu entwerfen und die jeweiligen Regional- oder Kontinentalgeschichten dazu in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, dürfte weiterhin auf der Tagesordnung stehen.