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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

469–471

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Söding, Thomas, u. Wolfgang Thönissen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Eucharistie – Kirche – Ökumene. Aspekte und Hintergründe des Kommunionstreits.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 496 S. = Quaestiones disputatae, 298. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-451-02298-2.

Rezensent:

Martin Hein

Die Reihe der »Quaestiones disputatae« sucht »offene Diskussionen ohne Denkverbote«: so die Verlagspräsentation. Diesem Anspruch stellt sich auch Band 298. Er enthält aus unterschiedlichen theo-logischen Perspektiven und Disziplinen Analysen der »Orien-tierungshilfe« der katholischen deutschen Bischöfe: »Mit Chris-tus gehen – Der Einheit auf der Spur. Konfessionsverbindende Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie« (20. Februar 2018), die vom Ständigen Rat am 27. Juni 2018 nach heftigen internen Auseinandersetzungen (»Kommunionsstreit«) veröffentlicht wurde.
Da der Text bezeichnenderweise nur unter »Dossiers« auf der Homepage der Deutschen Bischofskonferenz zu finden ist, haben sich die Herausgeber entschlossen, zunächst den gesamten Wortlaut der »Orientierungshilfe« abzudrucken (11–40), um dann kurz in ihn einzuführen und auf seine begrenzte Zielrichtung zu verweisen: Es gehe nicht um die grundsätzliche Frage der Interkommunion, sondern allein um die Erörterung der Möglichkeit, ob und unter welchen Bedingungen konfessionsverbindende Ehe-paare gemeinsam kommunizieren dürfen. Die »Orientierungs-hilfe« sei auch keine »lehrmäßige Aussage« (48), sondern habe eine seelsorgliche Ausrichtung: Sie solle »Zeugnis vom eucharistischen Glauben ablegen, in der freudigen Gewissheit, auch denen die Kommunion reichen zu können, die in konfessionsverbindenden Ehen den katholischen Glauben bezüglich des Sakramentes teilen, und im theologischen Ernst, dadurch das Sakrament der Eucharistie stiftungsgemäß zu verwalten« (49).
Es verdient Bewunderung, dass es den Herausgebern gelungen ist, innerhalb kürzester Zeit eine große Anzahl überwiegend rö­misch-katholischer Theologinnen und Theologen zu gewinnen, sich mit der »Orientierungshilfe« auseinanderzusetzen. Dabei kommt – dem behandelten Sujet entsprechend – nicht nur die ökumenische Perspektive in den Blick, sondern kommen auch Stimmen aus anderen christlichen Konfessionen zu Wort, was zeigt, dass trotz der begrenzten Zielsetzung der »Orientierungshilfe« gleichwohl grundlegende ekklesiologische Aspekte berührt sind, die das Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche, aber auch anderer Kirchen betreffen.
Die Beiträge des Bandes sind insgesamt fünf Clustern zugeordnet: »1. Kirche und Eucharistie« (65–134), »2. Sakrament und Glaube« (135–188), »3. Katholizität und Ökumene« (189–296), »4. Gewissen und Norm« (297–372) und »5. Kodex und Praxis« (373–494).
Ohne alle zwanzig Beiträge des Bandes im Einzelnen zu würdigen, sollen doch einige Spitzenaussagen hervorgehoben werden. Thomas Södings Überlegungen (»Eucharistische Koinonia«) suchen gerade in der synoptischen Abendmahlstradition das »ökumenische Potential« (80) zu entfalten, wonach das »Ziel der Eucharistiegemeinschaft […] nicht ins Reich Gottes vertagt« wird (81). Es könne schon jetzt erreicht und biblisch begründet werden. Johanna Rahner (»Eucharistie und Kirchengemeinschaft«) betont: »Eine ge­meinsame Eucharistiefeier ist nicht nur ein ›Gipfelfest‹, sondern Wegzehrung« (106). Für sie »erweisen sich konfessionsverbindende Ehe und Familien tatsächlich als Glücksfall der Ökumene, weil sie zum Ort der konkreten pastoralen Bewährung der theologischen Grundprinzipien vor den Herausforderungen unserer Zeit werden können (108). Dorothea Sattler (»Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis der Eucharistie. Erinnerung an ökumenische Dialoge – um der Zukunft willen«) zeichnet das Anliegen der »Orientierungshilfe« in die bisherigen interkonfessionellen Verstän-digungsbemühungen ein und drückt explizit die Erwartung aus, »ob es im Vertrauen auf Gottes Geist zu einer kirchenamtlichen römisch-katholischen Anerkennung der evangelischen Dienstämter kommen könnte« (206).
Nicht alle Autorinnen und Autoren stimmen unisono in das Lob der »Orientierungshilfe« ein: Für Julia Knop (»Im Glauben vorangehen. Ökumenische Paare können Kommunion feiern«) ist sie »in weiten Teilen konventionell; Innovationen sind mehr auf sprachlicher als auf inhaltlicher Ebene zu finden«. So hebt sie besonders die »durchweg ermöglichend-integrierende statt restriktiv-exkludierende Perspektive und eine respektvolle, bejahende, dankbare Haltung der Bischöfe gegenüber ökumenischen Familien« hervor (158 f.). Franz-Josef Bormann (»Norm und Gewissen. Moraltheologische Überlegungen zu einer problematischen Tendenz in der jüngeren Lehrentwicklung«) kritisiert vergleichsweise scharf den in der »Orientierungshilfe« dargelegten Rekurs auf die eigene Gewissensentscheidung. Er konstatiert einen Dissens zwischen lehramtlicher Norm einerseits und pastoraler Praxis andererseits, der eigentlich nur durch eine »tiefgreifende Überarbeitung der Norm« aufgelöst werden könnte. »Statt jedoch diesen […] notwendigen Schritt zu vollziehen und damit die Ursache der Probleme dauerhaft zu beseitigen, wird eine prima facie niederschwelligere pastorale Umgehungsstrategie ergriffen, die die normative Problematik indivi-dualisiert und auf die persönliche Gewissensebene der Gläubigen verschiebt, um so ein lehramtlich indirekt gebilligtes faktisches Un­terlaufen der fragwürdigen Normen zu ermöglichen« (351). Und Stephan Haering (»Recht verstehen. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Sicht zur Orientierungshilfe deutscher Bischöfe zu interkonfesionellen Ehen und Empfang der Eucharistie«) fragt bei aller Sympathie für die »Orientierungshilfe«, ob die Argumentation der Bischöfe, »dass aus der Situation der sakramentalen interkonfessionellen Ehe ein […] geistliches Bedürfnis« zum gemeinsamen Kommunionsempfang entstehe, das als »Notlage« zu charakterisieren sei, dem Sinn des einschlägigen Canon 844 CIC wirklich entspreche (470).
Wie sieht die Reaktion aus evangelischer Sicht aus? Neben Uwe Swarat (»Gemeinschaft mit Christus und untereinander. Abendmahl und Abendmahlsgemeinschaft in der baptistischen Tradi-tion«) nimmt besonders Friederike Nüssel dezidiert Stellung (»Hoffnung auf mehr. Die Orientierungshilfe zur Kommunionsteilnahme aus evangelischer Perspektive«). Sie begrüßt den expliziten Bezug auf die »Gewissensbildung und Gewissensentscheidung« (215) und sieht die ökumenische Bedeutung der »Orientierungs-hilfe« in zweierlei Hinsichten: Zum einen werde »die Situation der konfessionsverbindenden Ehen […] verbessert, weil nun ein Weg für eine geregelte und regelmäßige Teilnahme an der Eucharistie beschrieben wird und die Notlage in ihrer ekklesiologischen Tiefe herausgestellt wird«. Zum anderen sei es »für den ökumenischen Prozess insgesamt wichtig, dass dieser Schritt, der in ökumenischen Dialogen lange gedanklich vorbereitet und für möglich er­klärt wurde, nun im Anschluss an das gemeinsame Reformationsgedenken getan werden konnte« (222).
Aber der Titel von Nüssels Beitrag weist zugleich über die be­grenzte Thematik der »Orientierungshilfe« hinaus: »Hoffnung auf mehr«. Und die Frage muss lauten: Was »hindert« (Act 8,36) daran, theologisch gut begründet nicht nur konfessionsverschiedene Ehepartner, sondern überhaupt Christen anderer Konfessionen zur Kommunion zuzulassen?
Der »Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen« (ÖAK), dem die beiden Herausgeber und vier Autorinnen des Bandes angehören, hat dazu 2019 das Votum »Gemeinsam am Tisch des Herrn« veröffentlicht. Wer dieses Dokument, das zur gegenseitigen Einladung ermutigt, eingehend studiert, sollte pa-rallel dazu unbedingt den hier anzeigten Sammelband zur Hand nehmen. Seinen Herausgebern wie den Autorinnen und Autoren sei ausdrücklich gedankt. Der »Kommunionstreit« innerhalb der römisch-katholischen Kirche könnte überwunden werden – mit starken Folgen für die Ökumene!