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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

468–469

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Opara, John Ugochukwu

Titel/Untertitel:

Overcoming the Osu Caste System among the Afro-Igbo. Impulses from the Eucharist in the Light of Sacramentum Caritatis.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2019. 281 S. = Ästhetik – Theologie – Liturgik, 73. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-643-91112-4.

Rezensent:

Heinrich Balz

Afrikanische Theologie, seit Jahrzehnten von afrikanischen christlichen Theologen gefordert und in vielfältigen Ansätzen lehrend betrieben, hat das Problem, dass sie oft im Allgemeinen, Grundsätzlichen stehen bleibt und nicht zum Praktischen des in den afrikanischen Kirchen gelebten Glaubens vordringt. Die Bochumer Dissertation des nigerianischen Priesters John Ugochukwu Opara geht darum den umgekehrten Weg und kommt erst auf den letzten Seiten auf Afrikanische Theologie und wie diese zu stärken sei. Davor geht es über 250 Seiten sehr praxisverbunden um das heute in der Katholischen Kirche gültige Verständnis der Eucha-ristie und ihre Inkulturation bei den Igbo oder Ibo, einem der großen Völker Nigerias im Kontext der überkommenen vorchristlichen kulturellen und religiösen Traditionen. Einige formale und sprachliche Nachlässigkeiten stören die Lektüre, verhindern aber nicht den Einblick in solide und konsequente Denk- und Deutungsarbeit.
Sektion I nimmt sich vor, den Graben zwischen Liturgie und Ethik zu überbrücken, entlang an Referat und Interpretation des Sendschreibens Sacramentum Caritatis von Papst Benedikt XVI von 2007. Notwendig ist es, die Liturgie von der Ethik her zu verstehen, aber auch umgekehrt in der liturgischen Feier den Ursprung, die Quelle des ethischen Handelns zu erkennen. Die Eucharistie im Besonderen ist nach Benedikt das Modell einer Gemeinschaftsfeier. Sie ist ein Prinzip des neuen Lebens, Ort der Begegnung mit der Liebe Gottes und Ausdruck des Mysteriums des Glaubens, so wie die Kirche als Ganze für das Vaticanum II »Sakrament des Heils« ist. Die Eucharistie ist ein Mahl mit bestimmenden Kennzeichen: sie nimmt Ostern und das Eschaton vorweg, befreit und erinnert, drückt Dank aus und grenzenüberschreitende Versöhnung. Sie ist Gabe und wirkt, indem sie die an ihr Teilnehmenden verwandelt. All dies trägt O. an den päpstlichen Schreiben entlang vor, mit starker Betonung der Performanz und der Gegenwärtigkeit Christi im gemeinsamen Tun von Priester und Gemeinde. Einziger begrenzter Punkt der Kritik am päpstlichen Schreiben ist die Kritik an der Sprache der Eucharistie: dass diese um der Einheit der Weltkirche willen lateinisch sein solle, meint O. nicht, er will sie in der jeweiligen Landessprache haben.
Lebhafter wird es in der II. mittleren Sektion der Dissertation. Hier geht es, in Parallele zur Gemeinschaft der recht verstandenen Eucharistie, um die Wesenszüge des Gemeinschaftslebens im Igbo-Volk. Sie sind, nach den Yoruba und den Haussa, im Osten das drittgrößte Volk Nigerias. Kultur und Religion sind bei ihnen untrennbar, das Weltbild ist anthropozentrisch, die Zeiterfahrung zyklisch, verehrt werden die Ahnen, man denkt im »Wir«, nur in der Gemeinschaft lebt das Individuum, aber ohne darum rechtlos zu sein, wie O. an verschiedenen einzelnen Zügen aufzeigt. Für alle auftauchenden »Spannungen« hat die Tradition eingespielte Lösungen – freilich gibt es heute ungelöste Probleme auf Seiten des Individuums: die Partnerwahl für die Ehe ist nicht frei, allgemeiner die Gleichheit von Männern und Frauen, alte und neue Formen von Versklavung stören das harmonische Bild, das O. zuerst vorführt. Ist und Soll gehen auseinander: O. schreibt wie ein kritischer Anthropologe, ohne doch die Begriffssprache dieser Disziplin zu gebrauchen. Sowohl zwischen den Gemeinschaften wie auch in ihnen läuft vieles nicht, wie es sollte: Tribalismus, Korruption, Rivalitäten und Hexenwesen stören das harmonische Selbstbild der Igbo-Gesellschaft. Insbesondere das Osu-Kasten-System ist ein Symptom unvollständigen, »reduzierten« Gemeinschaftslebens. Der indische Kastenbegriff wird – unerläutert – angewandt auf die Minderheit der Osu die, obwohl zum Volk der Igbo gehörig, von der Eheschließung mit den Freien, von sozialen Rollen und Rechten immer noch ausgeschlossen sind, und auch als katholische Chris-ten bei der Messe an getrennten Plätzen sitzen. Ihre Herkunft wird mit alten Opferritualen erklärt, sie werden von der Mehrheit der freien Igbo sowohl verachtet als auch gefürchtet. Ihre Ausschließung ist, so O.s Urteil, eine Verkürzung, ein Verrat am älteren ursprünglichen Gemeinschaftsethos der Igbo und kann so im Be­sonderen innerhalb der Kirche nicht bleiben.
Sektion III führt die alte, immer noch lebendige Tradition zu­sammen mit der christlich gottesdienstlichen Gemeinschaft und findet in der Tradition des Oriko-Mahls den Ansatz, wie die Diskriminierung der Osu zu überwinden wäre: ein unregelmäßig und nach Bedarf zu haltendes Festritual, das der Initiation und Re-Integration von Individuen dient, die von der Gemeinschaft der Freien noch, oder aufgrund eigener Verschuldung vorübergehend ausgeschlossen sind. Solches Oriko im neuen christlichen Zusammenhang wieder einzuführen, dazu soll die nach Sacramentum Caritatis ausgelegte Eucharistie – so der Untertitel der Dissertation – die »Impulse« geben. Hierüber aber bleibt das kritische Gespräch mit O. zu führen. Solche Versöhnungs- und Reintegrationsrituale gibt es in vielen west- und zentralafrikanischen religiösen Traditionen, aber sie sind Krisenrituale, nicht wie Messe oder Abendmahl, ka­lendarisch reguläre Begehungen der Gemeinschaft. Und sie betreffen, wenn Vergebung von Schuld, nur das aufzunehmende Individuum, nicht, wie das christliche Sakrament, die göttliche Freisprechung der ganzen Gemeinde. Solche spezifischen Rituale in den regulären christlichen Kult einzuführen wirft, wie die Erfahrung bei den Igbo benachbarten Völkern in Nigeria, aber auch in Kamerun zeigt, erhebliche kultpraktische Probleme auf. Auch Chinua Achebe, der bekannte anglikanisch aufgewachsene Romancier aus dem Igboland, den O. verschiedentlich zitiert, hätte zur Strenge des alten und neuen Festkalenders einiges zu sagen. Die »Impulse« zur christlichen Umwandlung des alten Rituals sind im Oriko gleichwohl vorhanden, wie O. einfühlsam und überzeugend aufweist.