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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

463–466

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Dürnberger, Martin, Langenfeld, Aaron, Lerch, Magnus, u. Melanie Wurst [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Stile der Theologie. Einheit und Vielfalt katholischer Systematik in der Gegenwart.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2017. 336 S. = ratio fidei, 60. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-7917-2881-0.

Rezensent:

Philipp David

Der Band versammelt 20 Studien, die auf Beiträge für die Tagung »Einheit der Theologien? Subjekt, Sprache, Kultur, Praxis« an der Katholischen Akademie Schwerte im Februar 2015 zurückgehen. Der Begriff der Einheit fungierte dort noch als »diskursorientierendes und -anregendes Motiv« (9), das durch die vier Leitbegriffe im Tagungsuntertitel problematisiert wurde. Ergänzt werden die vornehmlich fundamentaltheologischen Beiträge durch zwei Ta­gungsbeobachtungen aus religionspädagogischer und -didaktischer Perspektive. Im Mittelpunkt des Bandes stehe nunmehr »die Frage nach der Einheit der Theologie in der Vielfalt ihrer Stimmen« als »wissenschaftstheoretische Selbstverständigung« (9). Dabei gehe es angesichts von »Differenzmüdigkeit« und »Pluralitätsressentiment« (9) in der römisch-katholischen Kirche gerade nicht um die »Suche nach oder das Ideal einer theologischen Einheitsdenkform« (9 f.), sondern um die Verständigung über Einheit und Vielfalt gegenwärtiger katholischer Systematischer Theologie, und damit um die grundlegende Frage, wodurch Theologie als Wissenschaft konstituiert wird. Ein Reiz des Bandes liegt in seiner Reflexionsform, in der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zu jeweils einem von zehn systematisch-theologischen Hauptvorträgen Stellung nehmen und diesen mit eigenen Akzenten weiterdenken. All das geschehe, das wird extra betont, »im klaren Bewusstsein für das hohe Gut freier theologischer Forschung« (10). Dass mitunter auch Sprachlosigkeit zwischen den einzelnen Ansätzen und Schulen zutage gefördert werde, sei ein erhellender Nebeneffekt des Austausches. Dennoch entschieden sich die Herausgeber für den Begriff »Stile« statt »Schulen«, was ihnen sachgemäßer erschien, da – »bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze« – die Übergänge doch »fluider« (10) wahrgenommen worden seien.
Eröffnet wird der Reigen der zehn Hauptvorträge mit einem analytischen Zugriff von Thomas Schärtl (Regensburg) auf die epis-temischen und wissenschaftstheoretischen Kriterien, denen die Theologie in begrifflicher Klarheit und logischer Schärfe genügen müsse, wenn auch sie dem wissenschaftlichen Ideal des Erklärens eines bestimmten Phänomenbereichs Folge leisten wolle. Damit provoziert er eine Kritik des Kohärentismus, mittels derer Sarah Rosenbrunner (Frankfurt a. M.) dafür plädiert, auf das epistemische Rechtfertigungsprinzip zurückzugreifen, um ausgehend vom Pa­radox der Proposition gute Gründe für eine theologische Wirklichkeitsdeutung aufzubieten. Hans-Joachim Höhn (Köln) entwickelt eine »Existentiale Semiotik des Glaubens« als »existenzialpragmatischen Konstitutionsanalyse der elementaren Formen und Konstellationen menschlichen Daseins, ohne die keine Sinn- und Handlungsorientierung im Dasein möglich ist« (63), in Auseinandersetzung mit den vielen cultural turns und in der bleibenden Spannung von sub ratione dei und etsi deus non daretur, während Miriam Bienert (o. O.) noch einmal grundsätzlich fragt, warum sich Theologie nur zögerlich auf die cultural turns einlasse. Hans-Joachim Sander (Salzburg) nimmt die Dreideutigkeit von Zeit, Raum und Eindeutigkeit Gottes als Ausgangspunkt für seine wissenschaftstheoretischen Reflexionen, um die Abduktion als theologische Erkenntnisform herausstellen, mit deren Hilfe eine »Theologie der Negation bestehender Machtverhältnisse, die Opfer schafft«, als »Heterotopos […] für die [entstehe], die mit Gott handeln« (107). Anne Weber (Paderborn) präzisiert Sanders Ortsbestimmung der Theologie im Horizont ihrer Gegenwartsanalyse, fragt nach der gesellschaftskritischen und kommunikativen Imprägnierung des Kampfes um Anerkennung und sieht in der kommunikativ-komprehensiven Rationalität das Potential zu seiner Entlastung (118). Magnus Striet (Freiburg) plädiert für einen Bund biblischer Theologie mit ihrer Forderung nach Gerechtigkeit, um der Sache nach (Hiobfrage) das Anliegen der »Neuen Politischen Theologie« aufzunehmen, mit dem Freiheitsdenken Kants. Der neuzeitliche Freiheitsbegriff nehme die Leidfrage (mit Adorno: »das Leiden beredt werden zu lassen«) ernst und sei begrifflich konsistent. Martin Dürnberger (Salzburg) nimmt vor diesem wissenschaftstheoretischen Profil der Theologie die Begriffe Freiheit, Geschichte und Gott genauer unter die Lupe, um damit zu schließen – unter Rekurs auf Habermas und Adorno –, dass im »Bewusstsein für das, was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit«, die fast unlösbare Aufgabe der Theologie verkapselt sei: »weder von der bedrückenden Macht des Leids, noch von der eigenen Ohnmacht dieser Erfahrung sich dumm machen zu lassen« (141). Thomas Marschler (Augsburg) zeichnet die »Geburt« der katholischen aus der evangelischen Dogmengeschichte nach, markiert ihre Differenzen und sieht die Bedeutung der Dogmengeschichte als kirchlicher Wissenschaft innerhalb der Dogmatik in der Bestimmung ursprünglicher Sinngehalte dogmatischer Aussagen. Die Kirche sei das formale Subjekt der Einheit der Theologien vor der materialen Kontinuität ihrer Inhalte. Beides hinterfragt Aaron Langenfeld (Paderborn) grundlegend, der für eine »dogmengeschichtlich andemonstrierbare Vielfalt der Theologie« und ein hohes Maß an »experimenteller Freiheit« (179) für die Theologie plädiert.
Nach dem Übergang von den fundamentaltheologischen Beiträgen, die mehr oder weniger explizit von einem Gespräch mit Jürgen Habermas geprägt waren, zur Bedeutung der Dogmengeschichte für die Dogmatik, folgt nun eine Rückbesinnung auf Karl Rahners transzentaltheologische Entfaltung der Verwiesenheit des Menschen ins Geheimnis von Roman A. Siebenrock (Innsbruck), die Melanie Wurst (Frankfurt a. M.) in ihrer Zeitbedingtheit würdigt, um dann zeitgemäßere Vokabeln zu verlangen, die Menschen ihren Lebensvollzügen würdigen. Klaus von Stosch (Paderborn) fordert einen Paradigmenwechsel hin zu komparativen und dialogischen Denkbewegungen über religiöse Überzeugungen als Ausdruck menschlicher Letztorientierung in Bezug auf die letzte Wirklichkeit, wofür es auch die Etablierung von Theologien unterschiedlicher Religionen an gemeinsamen Fakultäten brauche. Beim Erlernen von Sprachspielen und Weltbildern anderer Religionen gehe es darum, eine qualitative Vertiefung christlicher Theologie zu erreichen, damit diese aus katholischer Glaubensverantwortung eine neue Sichtbarkeit und Durchschlagskraft gewinne. Fana Schiefen (Münster) formuliert Anfragen an das Programm einer Komparativen Theologie der Religionen und entlarvt es als einen schwachen Inklusivismus, der sich der Lehrtradition der katholischen Kirche verpflichtet wisse und noch nach einem konstruktiven Umgang mit dem religiösen Pluralismus suche. Saskia Wendel (Köln) plädiert luzide für eine rationale Theologie, die Offenbarung als Deutungskategorie statt als Glaubensgrund bzw. »Begründungsinstanz für die ›Bestandsicherung‹ von Glaubensüberzeugungen« (255) versteht und damit als Überzeugung, dass wir uns selbst in unserer Existenz einem schlechthin Unbedingten verdanken. Angestoßen ist die begründungslogische Entlastung des Of­fenbarungsbegriffs und der Ansatz beim Religionsbegriff (»Religionen als Deutungspraxen«) nicht zuletzt durch einen massiven Plausibilitätsverlust der Theologie als universitäre Wissenschaft im Blick auf ihre Funktion zur Ausbildung für das kirchliche Amt und die Lehramtsausbildung, der dazu nötige, die Existenz der Theologie als universitäre Wissenschaft aus sich selbst heraus zu begründen. Die Kennzeichnung »Offenbarungstheologie« sei hierfür denkbar ungeeignet (259). Ursula Diewald (München) nimmt diesen Faden auf und liest Wendels Beitrag in Richtung auf eine melioristisch-pragmatistische Sicht auf den Glauben, für die sie sich mehr Beachtung wünscht. Erwin Dirschl (Regensburg) unternimmt phänomenologische Analysen zum Leib, den er theologisch als Präsenzraum Gottes und des Menschen interpretiert, wohingegen Magnus Lerchs (Wien) Überlegungen dahin gehen, Dialogmöglichkeiten zwischen Phänomenologie und Transzendental- bzw. Subjektphilosophie auszuloten. Dorothea Sattler (Münster) entwickelt in zehn Thesen geisttheoretische Reflexionen in Ökumenischer Theologie, auf die Christian Stoll (Wien) antwortet und das Konzept des Heiligen Geistes als Einheitsprinzip des Christentums christologisch hinterfragt.
Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beobachtungen und Analysen der Tagung, die nachträglich verfasst wurden und »Lernprozesse abbilden« (9) sollen. Paul Platzbecker (Bochum) stellt seine religionspädagogischen Beobachtungen unter den Titel »Parshipping im interdisziplinären Diskurs?!« und plädiert für eine transzendentale Reflexion der Freiheit als Denkform, die als gemein-same Basiskategorie von der Fundamentaltheologie wie auch von einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik fungieren könne. Eva-Maria Spiegelthaler (Freiburg) fragt vier Hauptartikel durchstöbernd religionsdidaktisch »Und die Praxis? Überlegungen zur Relevanz der Theologie für den christlichen Religionsunterricht« und sieht Theologie und Religionsunterricht vor der gemeinsamen Aufgabe, Glaubenswissen als »›lebensbedeutsames Orientierungswissen‹ zusammenzustellen und zur Sprache zu bringen, um so den Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Welt standzuhalten« (327).
Damit wäre nach den hier versammelten fundamentaltheolo-gischen Grundklärungen und den Praxisanforderungen auch das Thema für eine mögliche Folgetagung aufgerufen, in der das »lebensbedeutsame Orientierungswissen« material zur Anschauung und Diskussion gebracht werden könnte. Aufschluss über die Beitragenden, ihre akademischen Wirkungsstätten und ausgewählte Publikationen bietet das abschließende Autorenverzeichnis. Nicht zuletzt ein Ausdruck dafür, dass die Einheit der katholischen Theologie gegenwärtig eher in ihrer disparaten Vielfalt zu finden ist, in der es um Einübungen in Differenzbewusstsein und Pluralitätsfähigkeit geht.