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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

448–450

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Viertbauer, Klaus, u. Georg Gasser [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Analytische Religionsphilosophie. Akteure – Diskurse – Perspektiven.

Verlag:

Stuttgart u. a.: J. B. Metzler Verlag (Springer Nature) 2019. VII, 358 S. Geb. EUR 99,99. ISBN 978-3-476-04734-2.

Rezensent:

Hendrik Klinge

Philosophische Strömungen, zumal solche der Gegenwart, zu charakterisieren, abzugrenzen und im besten Fall mit einem griffigen Etikett zu versehen, stellt beinahe eine Unmöglichkeit dar – wenn ein solches Vorgehen überhaupt wünschenswert ist. Für diejenige einflussreiche, wenn nicht gar dominante Richtung philosophischen Denkens, die als »analytische Philosophie« firmiert, trifft dies im besonderen Maße zu. Kann doch das zu Charakterisierung verwendete Etikett »analytisch« als ein Kennzeichen verantworteten philosophischen Denkens überhaupt gelten. Wenn nun Philosophie per se dazu verpflichtet ist, Texte und Probleme in angemessener Weise zu analysieren, stellt sich aber die Frage, welche Philosophie überhaupt als »nicht-analytisch« gelten kann. Die Antwort lautet oft schlicht: die französische. Doch klingt hier bereits ein pejorativer Unterton mit, der darauf zielt, Denker wie Derrida oder Lyotard eines widervernünftigen Obskurantismus zu zeihen. Wo solche Polemik vermieden wird, ist es üblich, »analytische Philosophie« mit einem gewissen Stil des Philosophierens zu assoziieren, der die Klarheit und Präzision der Argumentation gegenüber der vermeinten Tiefsinnigkeit »großer Gedanken« favorisiert. Es ge­hört zu den Vorzügen des vorliegenden Bandes, dass er die Probleme der Etikettierung und Abgrenzung nicht nur adressiert (4 f.), sondern bereits in seiner Disposition eine Lösung anbietet. Statt die hier verhandelte Strömung durch die immer gleichermaßen ober flächlich wie unscharf bleibende Aufzählung vermeintlicher Eigentümlichkeiten zu charakterisieren, stellen die Herausgeber, beide ausgewiesene »Analytiker«, an den Anfang ihres Handbuchs Beiträge zu den wesentlichen, weithin als paradigmatisch empfundenen Denkerinnen und Denkern, deren Werke als grundlegend für ebenjene Strömung angesehen werden können.
Mit der Religionsphilosophie haben die Herausgeber dabei eine der spannendsten und gegenwärtig am intensivsten diskutierten Subdisziplinen der analytischen Philosophie gewählt. Für ihr Handbuch, eine Frucht des multinationalen, in Innsbruck angesiedelten Projekts »Analytic Theology and the Nature of God«, konnten sie dabei namhafte Kennerinnen und Kenner der Materie gewinnen, die ihre akademische Heimat nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der evangelischen und katholischen Theologie besitzen. An den ersten Teil, der sich neben den gegenwärtigen Protagonisten auch Vordenkern wie Bernard Bolzano und William James widmet, schließt sich eine Darstellung der wesentlichen thematischen Schwerpunkte oder »Diskurse« der analytischen Religionsphilosophie an. Neben Beiträgen zu Standardthemen wie die Existenz Gottes, das Theodizeeproblem und die Frage der Wunder, die die analytische Religionsphilosophie seit ihren Anfängen be­schäftigen, finden sich auch solche zu Fragestellungen, die erst in jüngerer Zeit in den Fokus der analytischen Religionsphilosophie gerückt sind (vgl. etwa 245–254). Was die Beiträge beinahe ausnahmslos auszeichnet, ist, dass sie einen vergleichsweise voraussetzungsarmen Zugang zu den Themen ermöglichen und den Stil analytischen Denkens präsent halten, ohne »kontinental« geprägte Leser zu überfordern. Wer etwa nach einem ersten Zugang zu der spezifisch analytischen Behandlung der Gottesbeweise sucht, ist mit dem Beitrag von Wilfried Löffler gut beraten (91–109). Christian Tapps Ausführungen zu Design-Argumenten sind indes zwar, ge­rade in ihrer Abgrenzung gegenüber der Intelligent-Design-Bewegung, brillant, setzen aber bereits eine Vertrautheit mit dem analytischen Denkstil voraus (110–123). Verfehlt wäre es dabei, von den Artikeln lediglich einen Überblick über Argumente und Theorien zu erwarten. Die Autorinnen und Autoren des Bandes stellen nicht nur verschiedene Theorien dar, sondern entwickeln eigene Antworten und Lösungen – und zwar nicht gleichsam im Epilog, nachdem das Terrain bestehender Theorien mühsam abgeschritten ist, sondern so, dass das argumentative Ziel vom Beginn an vor Augen steht. Exemplarisch sei hier der Beitrag von Heiko Schulz zum Verhältnis von Wunder und Naturgesetz genannt (221–230), der die wesentlichen Argumente der gegenwärtigen Debatte kritisch prüft und, im Rückgriff auf Luther, einen innovativen Ansatz präsentiert (227 f.).
Der letzte Teil des Bandes ist neueren Entwicklungen der analytischen Entwicklungen wie dem »Offenen Theismus« gewidmet. Dass hier der Prozesstheologie eine zentrale Rolle zukommt, mag zunächst überraschen, weicht doch der Stil der Prozesstheologen von dem der analytischen Philosophen durchaus ab. Ob die Be­gründung, die für diesen Einbezug gegeben wird, wirklich ausreicht (295 f.), ist dabei insofern zweitrangig, als der Beitrag in gewinnbringender Weise die gegenseitigen Bezugnahmen von analytischer Philosophie sensu stricto und Prozesstheologie nachzeichnet. Abgerundet wird der Band durch eine Liste deutschsprachiger Literatur zum Thema, die gerade für »Neueinsteiger« in die analytische Religionsphilosophie hilfreich sein dürfte. Der Band wird somit dem Anspruch eines Handbuchs in vollem Umfange gerecht: Er bietet einen Überblick über die zentralen Themen und ermöglicht einen ersten Zugang, ohne dabei Abstriche bei der positionellen Prägnanz in Kauf zu nehmen. Eine grundsätzliche Aufgeschlossenheit gegenüber analytischer Philosophie ist dabei freilich vorausgesetzt. Wer sie ohnehin nicht mag, wird sie auch hier nicht lieben lernen. Wer ihr jedoch zumindest mit Sympathie be­gegnet, wird hier reiche Ernte einfahren. Bedauernswert ist einzig, dass mit Querverweisen innerhalb des Bandes sehr sparsam verfahren wird. Eine etwas großzügigere Streuung hätte es dem Leser etwa ermöglicht, von den äußerst gelungenen Porträts Antony Flews (27–30) und Dewi Z. Philipps (46–55) direkt zu Sebastian Gäbs erhellenden Ausführungen über Flews Falsifikationismus (210 f.) und Philipps’ Minimalismus (213 f.) zu springen.
Die Frage, ob der Band alle relevanten Aspekte behandelt, ist ebenso müßig wie die, worin das Wesen der analytischen Religionsphilosophie besteht. Die Herausgeber konzedieren selbst, dass bei der Auswahl der Themen eine gewisse Willkür schlicht nicht zu vermeiden gewesen sei (10). So bleibt dem Rezensenten, die von den Herausgebern dieses gewiss bald zum Standardwerk avancierenden Bandes gebotene Liste weiterer möglicher Themen um eines zu ergänzen: Der Band bietet zwar einen profunden Beitrag zum Thema Theismus und Moral von Armin Kreiner (196–207), doch wäre es wünschenswert, diesem Beitrag bei einer Zweitauflage einen an die Seite zu stellen, der die neueren Entwicklungen einer Ethik auf dem Feld analytischer Religionsphilosophie behandelt. Die Debatte ist mittlerweile weit über die Beschäftigung mit dem Euthyphron-Dilemma (199 f.) hinausgegangen. Robert Adams, Witwer der im ersten Teil vorgestellten Marilyn McCord Adams, hat nicht nur zu den Fragen der göttlichen Allgüte (139 f.) und der des Wunderglaubens (222) interessante Ansätze vorgelegt, sondern hat auch einen bedeutenden Grundlegungsversuch der religiösen Ethik im analytischen Stil unternommen, der im US-amerikanischen Be­reich intensiv diskutiert wird. Das Gleiche gilt von der nur en passant erwähnten (140) »Divine Motivation Theory« Linda Trinkaus Zagzebskis. Dieser Wunsch ist jedoch weniger ein Einwand gegen das exzellente Handbuch als Ausdruck der Überzeugung des Re­zensenten, dass die ethische Dimension analytischer Religions-philosophie im deutschsprachigen Raum bisher unzureichend be­rücksichtigt wurde.