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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

423–425

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Ehmann, Johannes [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Kirchen der Union. Geschichte – Theologie – Perspektiven.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2019. 276 S. m. zahlr. Abb. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-374-06009-2.

Rezensent:

Albrecht Philipps

Der von dem Heidelberger Kirchengeschichtler Johannes Ehmann herausgegebene Band zu den Kirchen der Union versammelt eine Reihe von Aufsätzen zur Geschichte und Theologie der Unions-kirchen und zeigt zugleich moderne Perspektiven von kirchlichen Unionen auf. Damit wird der grundlegende Ansatz von kirchlichen Unionen im Licht der 200-jährigen Unionsfeiern ab dem Jahr 2017 bereits in der Konzeption des Buches deutlich: »Union« bezeichnet keinen in sich abgeschlossenen Vorgang der Kirchengeschichte, der vor zweihundert Jahren etwa in Preußen, in Kurhessen, Nassau, Rheinhessen, Waldeck, in der Pfalz und in Baden initiiert worden wäre. Kirchliche Zusammenschlüsse hat es seitdem und davor im­mer wieder gegeben. Sie werden auch aktuell in vielen Kirchen der Ökumene vollzogen.
Damit wird die Union zu einem Prüfstein der Ökumene. Sie ist und war ein Ansatz der Umformung kirchlicher Strukturen und theologischer Konzepte an die modernen Anforderungen des Chris-tentums, sei sie gleichsam von oben verordnet oder, wie in den jungen Unionskirchen Asiens und Afrikas, ein eigenständiges Er­gebnis von Zusammenschlüssen vormaliger Missionskirchen. De­finiert wird »Union« als »die vertragsweise, sanktionierte und re-zipierte Vereinbarung bekenntnisverschiedener protestantischer Kirchen zum Zweck der Kirchbildung« (17).
Zunächst stellt Ehmann über das Zeitalter des Konfessionalismus die hervortretenden unterschiedlichen Ausprägungen im Protestantismus dar. Der Wille zur Einheit der Kirche war von der Spannung zwischen einer »interkonfessionellen Polemik« und dem »Wille[n] zur Verständigung« (21) geprägt. Polemik und Irenik gingen dabei Hand in Hand. Die Verständigungsbemühungen zielten darauf ab, die Gegenseite von der lehrmäßigen Korrektheit der eigenen Position zu überzeugen. Exemplarisch beschreibt er die theologischen Ansätze reformierter und lutherischer Irenik von Zacharias Ursinus, David Pareus, Bartholomäus Pitiscus, Lucas Osiander, Georg Sigwart und Georg Calixt. Ein besonderes Augenmerk legt Ehmann auf die Union in der Kurpfalz. Hier wurden schon im 17. Jh. nach dem Dreißigjährigen Krieg Unionsversuche von Lutheranern und Reformierten »als Teil allgemeiner Integration« (31) unternommen, was schließlich unter der Regentschaft von Kurfürst Karl Ludwig (reg. 1648–1680) zu einer »Eintrachtskirche« von Lutheranern und Reformierten in Mannheim führte, in der sie voneinander getrennt »unter einem Dach Gottesdienst feiern sollten« (32). Jede Konfession blieb bei ihrer Lehre. Die Gemeinden behielten ihre Selbständigkeit. Die »Mannheimer Konkordienkirche« (ebd.) wurde 1680 eingeweiht, in der reformierte und lutherische Pfarrer wechselseitig Vertretungsdienste übernahmen und für die eine eigene, gemeinsame Gottesdienstordnung erstellt wurde. Reformierte und Lutheraner in der Pfalz bezeichneten sich fortan als »Evangelische«. Die beiden längeren Kapitel über die preußische Union ab 1817 und die südwest- und mitteldeutschen Unionen geben einen umfänglichen Einblick in die geschichtlichen Zusammenhänge anhand konkreter, regionaler Beispiele. Zusammenfassend wird festgestellt: »Keine der Unionen ist ohne massiven Einfluss oder auch Druck des Staates zustande gekommen.« (73)
Der zweite Teil des Bandes befasst sich mit der Theologie der Unionskirchen. In einem Durchgang zu den wichtigsten, zum Teil unbekannten Vermittlungstheologen des Luther- und Reformiertentums des 18. und 19. Jh.s wird erkennbar, wie um eine verbindliche Lehr- und Bekenntnisgrundlage der Unionen gerungen wurde. Dabei wurde die subjektivitätstheoretische Grundausrichtung von Pietismus und Aufklärung in das kirchliche Wollen integriert. Es zeigt sich auch hier wieder, wie die Unionsbemühungen und ihre Nähe zum Parlamentarismus eine »allmähliche Loslösung vom Staat und […] vom landesherrlichen Kirchenregiment« (107) auf den Weg brachten. Die Orientierung an und die Rezeption von Schleiermachers Theologie kann dabei als die verbindende, wenn auch in unterschiedlicher Ausrichtung sich vollziehende Grundhaltung verstanden werden. »Die Union wird zum Vehikel des freien Protestantismus; die Vermittlung von Religion und Kultur rückt in den Vordergrund.« (148)
Die Feiern zu den Unionsjubiläen ab 2017 richteten ihren Blick vielfach auf kirchengeschichtliche Prozesse und theologische Konzepte, die für die Landeskirchen, die sich in der Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK) zusammengeschlossen haben, von Bedeutung sind. Ehmann stellt dabei zutreffend fest, »dass die Union dort am intensivsten Aufmerksamkeit erfährt, wo ihre Bildung am schmerzvollsten durchlitten wurde – im Rheinland und Westfalen« (150)
Die zweite Hälfte des Buches richtet nun einen Blick auf die Verbreitung der Unionen außerhalb Deutschlands, die unter vollkommen anderen Voraussetzungen und mit anderen Zielrichtungen ausgestaltet wurden und bis heute entstehen; man denke etwa an die Bildung der Église protestante unie de France (EPUdF), die 2013 zu ihrer ersten Synode in Lyon zusammentrat. Joël Dautheville und Jean-François Collange tragen zu dieser Unionsbildung ein sehr aufschlussreiches Kapitel bei. Ebenso lesenswert sind die Ausführungen von Susanne Labsch zur Waldenserkirche in Italien. Die geschichtliche Herleitung geht in eine aktuelle Darstellung der Union von Waldensern mit Methodistengemeinden über und beschreibt deren sozialpolitisches Engagement als Beitrag dieser kleinen evangelischen Minderheitskirche zur Modernisierung Italiens besonders durch die Integration von Flüchtlingen. Auch zu Unionsbildungen in Schottland, Schweden und Indien bietet dieser Band gute Informationen. Das längere Kapitel zur United Church of Christ (UCC) in den USA von Barbara Rudolph, die als rheinische Oberkirchenrätin mit der Arbeit zur UCC-Kirchen-gemeinschaft befasst ist, beschreibt den Unionsprozess von ur­sprünglich deutschen und angelsächsischen, reformierten und kongregationalistischen Kirchen zu einer der großen Mainstreamkirchen in den USA mit 38 Conferences und rund einer Million Mitgliedern. Die UCC zeichnet sich durch eine große soziale Wachheit, eine ökumenische Ausrichtung und eine diakonisch ausgerichtete Gemeindearbeit aus. Gewünscht hätte man sich in diesem Kapitel vielleicht noch einen Hinweis in den zahlreichen Fußnoten und Literaturangaben auf die eingehende Studie zur Kirchengemeinschaft zwischen Evangelischer Kirche der Union und United Church of Christ von Elga Zachau aus dem Jahr 2009.
Das Kapitel der badischen Kirchenrätin Anne Heitmann zu den sich zurzeit vereinigenden Kirchen (United and Uniting Churches) als Bericht der 9. Konsultation der unierten und sich vereinigenden Kirchen im ÖRK in Chennai, Südindien, im November 2015 stellt fest, dass die unierten Kirchen anders als Lutheraner, Reformierte, Anglikaner, Kongregationalisten und Methodisten »keine eigenen globalen Strukturen« (255) aufgebaut haben. Sie haben zum größten Teil ihre Mitgliedschaft in den konfessionellen Weltbünden beibehalten, aus denen sie stammen. Unierte Kirchen wollen mit Recht keine weitere konfessionelle Weltgemeinschaft gründen, um neue Unionsbildungen nicht zu verhindern. Im Hintergrund steht dabei die Bereitschaft, eigene Kirchenstrukturen aufzugeben, um eine größere Einheit im Sinn einer »Kenosis-Ekklesiologie« (260) zu ermöglichen. Unierte und sich vereinigende Kirchen sind in ihrem Selbstverständnis der Botschaft von Versöhnung und Frieden verpflichtet und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Ökumene.