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Ausgabe:

Mai/2020

Spalte:

416–418

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Weigandt, Peter

Titel/Untertitel:

Zeit und Ort im Markusevangelium.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2018. 192 S. Geb. EUR 39,95. ISBN 978-3-534-40009-6.

Rezensent:

Johannes U. Beck

Peter Weigandt, der neben seinem akademischen Wirken hauptberuflich als Pfarrer und Seelsorger in der Altenhilfe tätig war, legt – nachdem er sich 2006 zusammen mit K. Schwarzwäller dem »Leben im Alter« gewidmet hatte – mit seiner Arbeit zum Markusevangelium nun ein dezidiert exegetisches Spätwerk vor. Das in seinen frühen Veröffentlichungen erkennbare Interesse für Handschriften spiegelt sich dabei vor allem in den ausführlichen textkri-tischen Anmerkungen bei der Analyse der markinischen Ortsangaben in Kapitel 3 wider. Insgesamt setzt sich W. nur mit wenigen aktuellen Publikationen zum Markusevangelium – und dies dann fast durchweg kritisch – auseinander, so mit den Arbeiten von P.-G. Klumbies und dem von B. Bosenius präsentierten Entwurf zum Raum im Markusevangelium (vgl. meine Rezension in ThLZ 142 [2017], 355–357).
Im Anschluss an R. Koselleck versteht W. Zeit und Ort als »nicht veränderbare, ›metahistorische‹ Vorgaben« (9), so dass nach der Kongruenz zwischen der dem Markusevangelium zugrunde liegenden »kognitive[n] Karte« und den »tatsächlichen Gegebenheiten und Verhältnisse[n]« (23) zu fragen sei. Zugleich bestimmt er bereits zu Beginn »den ursprünglichen Sinn und Zweck der Orts- und Zeitangaben« im Markusevangelium darin, »dem Leser den Ablauf des Geschehens nahezubringen.« (24) Dies können sie dann, wenn sie sich »zu einem sinnvollen Ganzen, einem ›Chronotopos‹« (9) verbinden lassen. Zielt diese Fragestellung also zwar auf »ein literarisches Problem« (22, Anm. 29), blendet W. jedoch für ihre Beantwortung jede narrative und theologische Analyse aus (vgl. 24–26). Gemäß der immerhin angedeuteten hermeneutischen Vorannahmen scheint Kriterium der Stimmigkeit des markinischen Raum-Zeit-Gefüges nämlich nicht die Kohärenz der erzählten Welt zu sein, sondern die »Realität« (9) der ›metahistorischen Vorgaben‹, die Plausibilitätsbedingung der markinischen Angaben seien (22–23.27.58–59). Insofern wird jene literarische Leitfrage konsequent mit den Mitteln historischer Methodik behandelt.
Dem Eingangskapitel folgend analysiert W. die markinischen Zeit- und Ortsangaben in jeweils einem Kapitel daraufhin, inwiefern sie in ihrer Bezogenheit aufeinander »eine Art zeitlichen Bewegungsprofils« (30) bzw. ein »verständliches und zugleich sinnvolles Itinerar« (56) Jesu zu erkennen geben. Während sich in Mk 1–10 die Zeitangaben »oft nur auf das gerade Geschilderte beziehen« (38), wodurch »die chronologische Struktur […] ziemlich unbestimmt« (51–52) bleibt, zeigt sich in Mk 11–16 »ein deutlich gegliedertes Be­wegungsprofil« (44), innerhalb dessen Mk 11–13 durch eine »Art von zeitlicher ›Dehnfuge‹« (39, Anm. 67) nochmals von Mk 14–16 abgehoben ist. Auch wenn sich mit Hilfe der chronologischen Angaben »keinerlei verläßliche absolute Daten« (55) eruieren lassen, sind nach W. die Ortsangaben »von den realen historisch-topographischen Gegebenheiten wie von der Route her gesehen sowohl angemessen als auch möglich. Markus weiß offensichtlich in der Topographie und Geographie Palästinas seiner Zeit Bescheid […]. Auf seiner ›kognitiven Karte‹, in der erzählten Welt, spiegelt sich die reale Welt.« (118–119) Diese kognitive Karte gebe jedoch weniger die historischen Verhältnisse zur Zeit Jesu als vielmehr diejenigen zur Zeit der Abfassung des Evangeliums »um die Mitte der siebziger Jahre« (79) wieder. Funktion der markinischen Ortsangaben sei zunächst »die Lokalisierung der mit ihnen verknüpften Ereignisse« (119) und sodann Gliederung und Zielführung des Geschehens auf Jerusalem hin (121–123), womit – der Engführung der Fragerichtung geschuldet – das markinische Raumkonzept zumindest aus literarischer Sicht freilich unterbestimmt bleibt. Zwei weitere Ka­pitel thematisieren schließlich die Verbindung von Ort und Zeit. Dabei seien in Mk 1–16 sieben »Chronotopoi« erkennbar, die zu­sammen als »wohlüberlegtes Zeit-Raum-Gefüge das Markusevangelium« (147) strukturieren.
Wie W. herausstellt, bietet das kürzeste Evangelium auch absolut die meisten Ortsnamen (120), was nach deren Zusammenhang und Funktion fragen lässt. Diesem oft zu wenig beachteten Aspekt Rechnung zu tragen, ist ein großer Gewinn der Arbeit. Umso mehr vermisst man die Berücksichtigung narrativer und theologischer Aspekte der Topographie. Die nach W. für den Aufbau des Markusevangeliums relevanten Elemente (155–158) sind für die Erschließung der Gesamtkomposition allein noch nicht hinreichend. Be­dingt ist jenes Vorgehen durch die Annahme, nach der »Karte« der erzählten Welt als literarischer Größe sei nicht literarwissenschaftlich, sondern historisch zu fragen, da sie nur dann »verständlich« und »sinnvoll« sei, wenn sie »den damaligen historisch-topogra phischen Verhältnissen« (58) entspreche. Diese hermeneutische Disharmonie bleibt unreflektiert, was umso misslicher ist, als W. »Grundlagen« klären und »Höhenflüge« (10) meiden möchte. Formal zeichnet sich das Werk durch eine wohltuende Kürze und Prägnanz aus, die auch Interessierte außerhalb des fachlichen Binnendiskurses freuen dürfte.